Diamonds Are A Girls BesGrrrrr!
»Was ist denn das?«, fragte Tim, eigentlich Artimas; mein bester Freund. Er war und ist so etwas wie mein aromantischer Soulmate.
»Ja, genau«, antwortete ich abwesend und starrte in meine Teetasse.
Er stand auf, ging zum Spiegel an der Wand gegenüber, nahm etwas vom Rahmen und kam zurück.
»Ich meine das hier.«
Tim hatte dieses Ding in der Hand.
»Weiß ich nicht. Irgendeine kaputte Maske. Habe ich vor einigen Monaten gefunden.«
»Echt? Wo denn?«
»Drüben bei den Fichten, meine ich. Ist auch egal. Kann mich nicht mehr wirklich daran erinnern.«
»Hmm. Scheint sowas wie Seide zu sein. Ich frage mich, wie die Kristalle da eingeklebt wurden? Sieht so natürlich aus.«
»Bist du jetzt auch noch Maskenbildner, oder was?«, entgegnete ich spöttisch.
Tim hielt die Maske zum Fenster hin hoch und starrte durch die Augenlöcher.
Plötzlich zuckte er zusammen. »Oh, my crap!«
»Was?«, fragte ich nach einem Gähnen.
»Jetzt stell mal die blöde Tasse weg!«, ereiferte er sich. Er hielt die Maske enthusiatisch vor mein Gesicht. »Das könnten irgendwelche Edelsteine sein, so wie die glitzern – ist garantiert kein Glas. Selbst wenn es nur Svarotschi, Svalof… Egal, selbst wenn es nur Kristalle sind, wie dieses Juwelierzeugs, ist das schon was. Die könnten was wert sein.«
»Quatsch.«
»Und wenn doch?«
»Klar – und die wachsen im Wald wie Pilze.«
»Komm schon, Gabel. Ist doch egal. Ich frage mal Lena, die kennt vielleicht einen an der Uni.«
Tim nahm sein Smartphone, tippte darauf herum und fing an zu murmeln.
Er war schon immer leicht zu begeistern. Diese Eigenschaft wußte ich an ihm sehr zu schätzen, auch wenn es hin und wieder lästig rüberkam.
Ich starrte erneut in meinen Tee und dachte minutenlang an nichts Bestimmtes. In letzter Zeit lief es für mich nicht besonders gut, aber das war mir egal. Mir fehlte jeglicher Ansporn. Alles wirkte wie in Watte gepackt. Ich konnte diese Mattigkeit nach aussen hin relativ gut verbergen, doch innerlich fühlte ich mich leer; so, als ob mir irgendetwas genommen wurde. Es gab da diese Lücken, die ich nicht dingfest machen konnte. Ich bin in meinem Leben noch nie wirklich depressiv gewesen, aber, wer weiß, vielleicht schlitterte ich nun in eine echte Depression und hatte keine Kontrolle darüber. Das bereitete mir Sorgen. Ich sah mich fast schon dabei, wie ich Tabletten und Kapseln in eine Wochenbox sortierte.
»Hallo? Gabriella?!«
Ich wandte mich Tim zu. »Sorry. Was?«
»Lena kennt wen, so über zehn Ecken. In der Kristallogie. Den habe ich angerufen. Morgen fahren wir hin und lassen die Kristalle checken.«
»Okay«, antwortete ich zögerlich. »Machen wir.«
Danach gingen wir beide hinaus.
Das Wetter war genau richtig für einen Herbstspaziergang.
Am nächsten Tag fuhren wir zur Universität. Dort fühlte ich mich sofort alt. Junge Leute in Scharen zu sehen, die am Anfang ihrer beruflichen Wege standen, ist nichts für schwache Nerven über dreißig.
Im Labor der Kristallogie ankommen, kam uns ein Mann mit Bart und Brille entgegen.
»Hallo. Jürgen Wittmer. Angenehm. Einfach Jürgen.«
Wir tauschten Begrüßungen aus.
»Ähm, Jürgen. Könnten sie einen Blick auf zwei Kristalle werfen? Wir meinen, das es Edelsteine sind. Nur welche, ich meine, falls?«, fragte Tim etwas ungelenk. Er sah zu mir herüber.
»Oh, ja, hier.« Ich kramte in meiner Handtasche herum und holte die Maske hervor, eingehüllt in ein nicht mehr ganz so sauberes Spültuch. Tim warf mir einen vorwurfsvollen Blick entgegen.
»Gar kein Problem, zeigen sie mal her.«
Herr Wittmer wickelte das Tuch auf, sah die Kristalle und erstarrte für einen Moment. »Wunderschön! Unglaublich«, murmelte er fast unhörbar. Das kam mir befremdlich vor. »Nichts Besonderes, da muß ich sie leider enttäuschen. Diamanten, so wie diese… Ich denke-« Er schaute mich an und schien nervös zu werden. Seine Hände zitterten leicht.
»Wie bitte, was war das?«, fragte ich.
»Ich meine: die Kanten, so wie diese, zeugen von einem groben Abrieb. Ich könnte eine Lupe holen, um das zu untersuchen. Warten sie hier, ich mache noch schnell einen Säuretest.«
Herr Wittmer ging mit der Kokonmaske flinken Schrittes in den Raum nebenan und schloß die Tür.
»Säueretest?«, flüsterte Tim skeptisch.
Ich zuckte mit den Schultern.
Zeit verging.
6 Minuten.
Es konnte jetzt wohl nicht mehr lange dauern.
20 Minuten.
Ich saß auf einer Fensterbank und schaute hinaus.
37 Minuten.
Tim lief nervös hin und her. »So, jetzt reichts aber.«, sagte er und ging zur Tür. »Hallo? Herr Wittmer?…«
Er betrat den anderen Raum. Kurz darauf sah er aus dem Türrahmen heraus zu mir. »Du, der ist weg! Weg!«
Ich lief in den Raum und sah eine offene Tür auf der anderen Seite. Diese führte in ein Treppenhaus.
»Das gibt’s doch nicht.«, sagte ich leise.
Wir gingen die Treppen hinunter und endeten in einer Tiefgarage.
»Wie kann das angehen. Wo ist der hin?!«, ereiferte sich Tim.
Ich sah ihn an. »Vielleicht habe ich das vorhin doch richtig gehört.«
Die Heimfahrt konnte deprimierender nicht sein. Wir schwiegen die ganze Zeit über. Herr Wittmer schien verschwunden zu sein. Alle Versuche Ihn in ans Telefon zu bekommen, waren vergeblich. Seine Frau wußte von nichts.
Tim setzte mich zuhause ab und fuhr ebenfalls heim.
Ich schloß die Vorhänge in meinem Schlafzimmer und legte mich ins Bett.
Hallo, Watte im Kopf, da bin ich wieder , dachte ich noch und schlief ein.
Nach einem wirren Alptraum erwachte ich schweißgebadet und tastete hastig meinen Körper ab. Alles schien in Ordnung zu sein. Erleichtert warf ich mich zurück. Irgendwann legte ich mich auf die Seite – und erstarrte vor Schreck. Auf dem zweiten Kissen neben mir lag die Maske mit den zwei hühnereigroßen Kristallen. Ich wollte gerade aufschreien, doch dann
Deja Vu
kam mir das Ganze so bekannt vor.
Deja Vu
Aus irgendeinem Grund fing ich zu heulen an, deckte die Maske halb zu und schlief wieder ein.
Das Smartphone vibrierte früh. Es war Tim.
»Gabel, stell dir vor… Lena rief mich eben an und sagte mir, ich soll auf die Localpage von DeStudi gehen.«
Ich ging zu meinem Schreibtisch und öffnete mein Notebook.
»Whoa, was?«, rief ich laut, nachdem ich die Headline eines Artikels gelesen hatte.
PROFESSORENKOLLER IM FLUGZEUG
»Hammer!«, rief ich ins Phone und stellte es auf Lautsprecher, um mir den Artikel anzusehen. Die zugehörigen TikToks waren sehr befremdlich.
Wie es schien, hatte sich Wittmer mit den Kristallen auf den Weg nach Amsterdam gemacht und einen Flug nach Dubai genommen. Ich fragte mich, wie er die Edelsteine in das Flugzeug bekommen hat? Glück oder Erfahrung?
Auf halber Strecke fing er damit an sich in bester Karen-Manier daneben zu benehmen. Dinge wie: Sie sind weg! Sie sind weg! Arschlöcher! Diebe!
Danach begann er damit, andere Passagiere zu betätscheln, um sie zu durchsuchen. Zudem öffnete er Gepäckklappen, durchwühlte Taschen und so weiter.
Das alles kam offensichtlich nicht gut an.
Sie sind weg! Sie sind weg!
Ich bekam einen Schreck, lief in mein Schlafzimmer und war erleichtert, die Maske auf dem Kissen zu sehen, so verrückt die Umstände auch schienen.
»Ganz im Ernst«, hörte ich Tim mit trauriger Stimme durch mein Smartphone sagen, »Spontan nach Dubai abzuhauen machst du nicht, um zwei Bergkristalle zu klauen. Die müssen viel Wert sein, sonst setzt du deine Karriere nicht aufs Spiel. Nur, wo sind die jetzt? Ich fürchte du hast das Nachsehen dabei. Am Besten ich komme gleich mal rüber und bring Brötchen mit.«
Wie sollte ich ihm das mit der Maske auf dem Kissen nur beibringen?
Oh, my crap.
»Croissants! Toll, danke.« sagte ich erfreut und nahm eines aus der Tüte.
Tim sah mich skeptisch an. »Alles in Ordnung?«
Ich goss ihm Kaffee ein.
»Ja, klar, warum?«
»Äh, Kristalle, Wittmer, Diebstahl, futsch?«
»Oh, das meinst Du. Nee, solche Kleinigkeiten lasse ich gar nicht erst an mich ran.«
»Ist nicht dein Ernst, oder?«
»Warum nicht? Es könnte so sein.«
»Aha! Also ist es doch schlimm für dich. Du weißt schon. All das Geld, das es hätte sein können.«
»Nö, nicht so wichtig.«, wiegelte ich ab.
»Jetzt mache ich mir noch mehr Sorgen um dich. Im Ernst.«
»Das Leben geht auch so weiter, oder? Lass uns lieber auf die Gegenwart konzentrieren.«
»Echt? Phrasendreschen?«
Ich trank einen Schluck und sah hinaus. Danach stand ich seufzend auf, holte die Maske aus dem Schlafzimmer und legte sie auf den Küchentisch.
Tim wurde blass, sagte aber nichts.
»Keine Ahnung«, begann ich. »Die war einfach wieder da.«
»Bin ich jetzt voll psycho, oder du? Ich war mir sicher, dass Wittmer die Maske mitgenommen hat, aber jetzt…«
»Du meinst, er hat sie mir zurückgegeben, um dann wegzugehen, weil irgendein Säuretest sehnsüchtig auf ihn wartete?«, fragte ich.
»Vielleicht haben wir das alles irgendwie falsch wahrgenommen. Wahrscheinlich stand Wittmer ohnehin schon unter großem Stress und hat das irgendwie auf uns übertragen. Eigentlich konnte er uns nicht einmal hundertprozentig sagen, was das jetzt mit den Kristallen auf sich hat, sondern ist am Herumeiern gewesen.«
Meine Wahrheit war eine andere, als die von Tim, aber das sollte nicht das Problem meines besten Freundes werden. Deshalb entschloss ich mich zu lügen
»Weißt Du was? Recht hast du. Ich gebe es zu.«, entgegnete ich. »Die Maske war in meiner Tasche. Ich wollte dich nur foppen. Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen.«
Ich prostete ihm zu und trank einen weiteren Schluck Kaffee.
Tim war nicht amüsiert. »Das war jetzt richtig mies von dir. Arsch! Die ganze Nacht habe ich deswegen wach gelegen.«
Er wischte einige Minuten wütend auf seinem Phonedisplay herum.
»Hier. Das ist der richtige Laden für dich«, sagte er dann missmutig.
»Ähm, was wäre, wenn ich die Steine gar nicht verkaufen will?«
»Ist jetzt ein Witz, oder?« Tim sah verärgert drein.
Verflixt, das hätte jetzt anders laufen sollen!
»Na dann. Weg mit den Dingern!«
Schluß mit Frühstück.
Wir waren uns sicher. Juwelier Schmölz & Bock sollte es sein. Das Geschäft hatte von außen alles zu bieten, was seriös so hergibt; inklusive zwei Security Guards. Es gab jedoch ein Problem vorweg, an das wir bislang nicht gedacht hatten. Wie kann man wertvolle Edelsteine verkaufen, ohne beweisen zu können, wo diese herkommen? Es schien, als ob das nicht so einfach ginge. Dennoch wollten wir es wagen, vor Ort mehr darüber herauszufinden.
Im Geschäft kam uns eine adrette Frau entgehen, die uns zurückhaltend höflich anlächelte. Auf dem Namensschild an ihre Bluse war ihr Name zu lesen: Martina Schmölz.
»Guten Tag. Was kann ich für sie tun?«, fragte sie lächelnd.
Ich lächelte zurück. »Guten Tag. Es gibt vorweg ein kleines Problem; und zwar sind wir uns nicht sicher, wie es zu verfahren gilt. Ich bin im Besitz von Edelsteinen, die möglicherweise von gewissem Wert sind, habe aber keinen Besitznachweis. Muss ich mir deshalb Sorgen machen?«
Frau Schmölz sah etwas irritiert drein. »Im Normalfall ist das kein Problem, solange die Steine im Preis einen gewissen Betrag nicht übersteigen. Alle Edelsteine die darüberliegen, müssten dann zunächst gesetzlich geprüft werden. Die Abgabenverordnung stellt diesbezüglich einige Regeln auf. Haben sie die Steine dabei, dann könnten wir diese zunächst einmal schätzen. Handelt es sich um bearbeitete Steine?«
Tim und ich sahen uns an. »Die Steine waren Teil eines Kunstobjektes, also bitte nicht wundern«, log er.
»Oh? Jetzt haben sie mich aber besonders neugierig gemacht.«
Ich nahm die Maske aus meiner Tasche – diesesmal hatte ich sie in ein Samttuch eingewickelt und nicht in einen alten Geschirrlappen. Im Anschluß legte das Tuch auf eine Glasvitrine und klappte das Tuch auf. Die Juwelierin beugte sich über das Tuch, um die Kristalle zu begutachten. Ich fummelte derweil nervös und etwas zu lange an der Maske herum, um sie repräsentativer zu machen.
Speichel tropfte aus ihrem Mund.
»Was zum-?«, bemerkte ich laut ich und sah auf. Frau Schmölz blickte gierig auf die Steine. Der Mund stand halb offen – sie war wie erstarrt. Dann aber stand sie plötzlich ruckartig gerade da und blickte uns mit wilden Augen an. Ihre Hand fuhr unter die Vitrine. Einige Sekunden später schossen die beiden Security Guards herein.
»Betrüger! Betrüger!«, schrie die Juwelierin.
»Holla!«, sagte Tim erstaunt.
Ohne groß zu zögern wurden wir festgehalten und in ein anderes Zimmer gezerrt. Ich protestierte lauthals. Nach einigem Gerangel und jeder Menge hitziger Diskussion wurden unsere Hände rücklings mit Plastikbindern an Stühle gefesselt.
Legal was das sicherlich nicht.
Danach verließen die Wachmänner das Zimmer und sprachen mit der Juwelierin. Worum es ging, konnten wir durch die geschlossene Tür nicht verstehen, aber das Gespräch schien von leise und normal, über aggressiv und dramatisch, in einen seltsam verschwörerischen Ton überzugehen. Dann wurde es still.
Wir erwarteten, dass bald die Polizei kommen würde; doch nichts geschah.
Tim stand irgendwann mit dem Stuhl im Rücken auf, bearbeitete den Türgriff mit seinem Kinn und ging schlussendlich zurück in den Laden.
Dann kam er zurückgewankt. »Ich werd` hier echt verrückt! Weg. Schon wieder! Alle weg. Die Steine auch – und Wittmer hatte die vorgestern auch mitgenommen, da bin ich mir sicher – egal was du behauptest! Basta!«
Es gelang uns mit großem Aufwand an eine Schere zu kommen, die auf dem Schreibtisch lag. Damit konnten wir uns befreien. Zu unserem Glück hatte Frau Schmölz die Ladentür zugesperrt. Wir verschwanden, so schnell es ging, durch die Hintertür; ganz genau wie die unerwarteten Juwelendiebe vor uns.
Abends dann saßen wir auf meiner Terasse, starrten in die Dunkelheit, wärmten uns an einer Feuerschale auf und tranken kalten Glühwein aus einem Zwei-Liter-Tetrapack – irgendwelchen billigen Chateau-Du-Piss, mit Zimt und Zucker.
»Das war sowas von scheisse!«, lallte Tim – zum dritten Mal.
»Jep.«, antwortete ich – zum dritten Mal.
»Zweimal Aschlo… Arschloch-Alarm extrem, in nur zwei Tagen. Da steckt doch System dahinter.«
»Sowas von.«
Er drehte sich zu mir. »Ich sag´s mal direkt auf Deutsch: You are a shitty asswipe!«
»I know.«
»Ich wollte dich nur foppen«, äffte er meine Stimme nach. »Ja, Kacke war das. Wittmer hatte die Maske. Dann war die wieder da! Und nun: wieder wwech! Nomaal ist das nicht.«
»Nee«, antwortete ich müde.
»Du hast diese Maskenfuckding nicht bei den Fichten gefunden, stimmts?«, fragte Tim.
»Ich habe echt keine Ahnung.«
»So richtig gut gingschs dir in letzter Zeit nicht, oder?«
»Nein. Ich fühle mich immer neben der Spur; wie betäubt. Vor allem, wenn ich allein bin.«
Tim sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen und glasigem Blick an. »Was, wenn das so ein paranormales Zeugs ist? Weißt schon, so Besessenheit und Geister. Vielleisch deine Mutter, die ist doch hier gestorben. Wenn die Steine morgen oder so wieder da sind, glaube ich das wirklich.«
»I know.«
»Also echt, wie uns die Juwelentante angeguckt hat. Irre.«
»Wie kann jemand so viel sabbern?«, wunderte ich mich.
»Nich´ normal, das sach ich dir.«
»Auf keine Fall.«
Später brachte ich Tim ins Gästezimmer. Danach legte ich mich in mein Bett, kämpfte aber innerlich gegen den Schlaf an. Nee. Normal war das alles ganz sicher nicht.
Irgendwann dachte ich über das Schlafwandeln nach. Dann wurde es stürmisch. Schnee peitschte von allen Seiten auf mich ein, doch das störte mich nicht.
Ein windumtostes Plateau!
Was? Das kam mir bekannt vor, obwohl ich nicht viel sehen konnte, weil
alles in Licht badete.
Ich hielt eine Hand zum Schutz vor meine Augen und blinzelte. War dort eine Gestalt zu sehen, mit offenen, einladenden Armen? Das Licht schien vom Kopf her zu kommen. Ein Headlight vielleicht?
Quatsch!
Nicht? Was dann? Moment mal, hatte die Gestalt Flügel?
Plötzlich fiel es mir wieder ein.
Das Plateau. Mein Bauch.
Der Geruch von verbranntem Fleisch.
Wie in Trance ging ich der Gestalt entgegen.
»Hallo, Anker.«, hörte ich diese sagen.
»Serih. Was ist mit meinem Schmerz?«, fragte ich frei heraus und war erstaunt darüber.
»Du kämpft gegen dich selbst.«
»Ich möchte mich nicht jeden Tag an die Leiden erinnern müssen, die ich erlebt habe. Phantomschmerzen sind einfach nur Mist.«
»Dein Schmerz wird dir hier und jetzt genommen werden.«
»Wie? Einfach so?«
»Ja. Und nun nimm gefälligst die Trophäe an, Dickkopf.«
»Trophäe?«
»Na, der Kokon! Bist du etwa dumm?«
»Ich will den nicht.«
»Klappe halten und zuhören. Die Trophäe ist eine Auszeichnung – dein Zeichen. So etwas ist unablehnbar – und vor allen Dingen unverkäuflich.«
»Mein Zeichen? Was? Das… und außerdem war es Tim, der…«
»Tss-tss. Anderen die Schuld zuschieben. Wie stillos. Du kannst diese Auszeichnung nicht loswerden. Deine Watte im Kopf, wie du es nennst, kommt nicht von irgendwo her. Jeder Versuch dein Schicksal aktiv zu ignorieren, indem du bestrebt warst die Kokonmaske fortzwerfen, abzugeben oder zu zerstören, hat dich seelisch kompromittiert; und derer gab es es einige. Aber das machen wir jetzt anders.«
»Was, wieso einige?«
»Du hast so manches vergessen. Hier eine kleine Aufzählung meiner Favoriten: Nummer eins: Kokonmaske im Mülleimer entsorgt. Nummer zwei: in eine Schrottpresse geworfen. Nummer drei: in der Nordsee versenkt. Nummer vier: in ein Osterfeuer geworfen. Nummer fünf: als Päckchen an eine zufällige Adresse in Australien verschickt – mein persönlicher Favorit; zudem kommen noch die aktuellen Episoden hinzu. Da tut sich doch ein Verhaltensmuster auf, möchte ich meinen. Statt den Kokon zu assimilieren, stößt du diesen ab. So etwas macht krank. Glücklicherweise bist du es nicht. Nur leicht verstimmt. Auf eine sehr selbstbemitleidende Art.«
»Wie jetzt, assimilieren? Soll ich das Ding etwa mit Rosinen und Milch essen? Ein Beipackzettel wäre hilfreich gewesen – und vielleicht einen Diamantenmühle, dann hätte ich mir ein Maskenbrot backen können.«
»Spotte nur. So etwas findet immer einen Weg.«
»Ich kapiere das nicht. Warum kann ich nicht einfach in Ruhe gelassen werden?«
»Dadurch, dass du mir, wenn auch anfangs unwissentlich, eine Hilfe in größter Not warst, bist du auferstanden; das hast du immer noch nicht begriffen. Du warst dafür vorgesehen.«
»Aber…«
»Wenn es soweit ist, wirst du es verstehen, doch, wie bereits erwähnt, machen wir das jetzt ganz anders. Sei still und genese einfach.«
»…!«
»Jaaa, so ist es besser.«
»…!«
»Öffne deinen Mund.«
Zögerlich tat ich wie geheißen.
Mein Kopf wurde zu einem großen Brunnen.
Die Lichtgestalt kam mir entgegen. Sie hielt die Kokonmaske in der Hand und warf diese in mich hinein. Danach war ich wieder wie zuvor.
Die Serih hob feierlich ihre rechte Hand und legte sie auf meine Schulter.
»Ab sofort bist du meine Emissärin, Gabriella Monfera – und nur du allein. Siehe, was kommen mag.«
Alles badete in noch mehr Licht. Es ließ mich nicht erblinden.
Ich erwachte entspannt in meinem Bett und tastete mein Gesicht und den Körper ab. Alles war in Ordnung. Meine selbstauferlegten Lücken und Barrieren schienen verschwunden zu sein. Irgendwann stand ich auf und bemerkte, dass etwas auf dem zweiten Kissen lag.
Ein DIN A4 Bogen?
Was war das denn jetzt?
Darauf waren nur einigen Zeilen zu lesen. In Arial – wie langweilig.
Eine Kontonummer, ein Codewort, eine Telefonummer.
Sollte das ein Witz sein? War das vielleicht Tim?
Wohl eher nicht, Emissärin.
Ja, genau… und ich allein. Was würde als nächstes geschehen?
Sollte das jetzt so werden, wie auf einen Handwerker zu warten?
Hallo, Klempnerei Serih am Apparat. Wir kommen in vier bis sechs Wochen ganz sicher und eventuell, so zwischen acht und sechzehn Uhr.
Als ob ich sonst nichts zu tun gehabt hätte.
Hast du nicht.
Stimmt.
Keine echten Lebensziele, mein Leben war bislang nur ein Dahinplätschern.
Deine Zeit wird kommen, Gabriella Monfera.
Egal, erst einmal Kaffee.
Ich trommelte Tim aus dem Bett.
Am Tisch zeigte ich ihm den Bogen Papier mit den Daten darauf.
Er zuckte zusammen. »Oh, my crap!«
Sofort gab er mir mein Smartphone in die Hand und drängelte.
Wie sich herausgestellte, war es mein neues Konto. Über Geld musste ich mir zukünftig keine Gedanken mehr machen. Woher auch immer es kam, ich war mir hundertprozentig sicher, dass es sich um moralisch sauberes Einkommen handelte.
Tim war total von den Socken, als ich ihm sagte, dass die Hälfte davon ihm gehören wird.
Immerhin war er ja mein aromantischer Soulmate – und der ist jede Menge wert.