“Fiction und Faction”](‘http://www.staatsarchiv.bs.ch/nm/2017-05-29-fiction-faction-magnet-basel.html’) war der Titel einer Abendveranstaltung im Juni im Staatsarchiv Basel, bei dem es darum ging, wie Autoren mit historischen Fakten und Figuren in ihren Werken umgehen.
Da mich das Historische als Genre als angehende Historikerin am meisten anzieht, treibt mich selber diese Frage ebenfalls um: Was “darf” man über die Fakten hinaus und wie malt man das ganze so aus, dass es sowohl literarisch fesselnd und unterhaltsam als auch historisch fundiert bleibt?
Die Veranstaltung hat mich in dieser Hinsicht mit mehr Fragen als Erkenntnissen zurückgelassen, daher möchte ich das hier in dieser Runde noch einmal zur Diskussion stellen.
Teilnehmer des Abends war zum einen Gregor Spuhler, der mit “Gerettet – zerbrochen” über Rudolf Merzbacher ein Psychiatriethema ganz klassisch anhand von Archivquellen aufgearbeitet hat. Das ist sozusagen der eine Pol: das fundierte, aber gut lesbare Sachbuch, das ganz dicht an den Fakten bleibt.
Die andere war Ursula Krechel, die aus der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte kommt, nicht aus der Historik. Sie hat von Theaterstücken über Hörspiele bis zu Büchern irgendwie schon alles mal gemacht und arbeitet ebenfalls gern mit Archivmaterial, dann aber mit mehr Freiheiten. An dem Abend stand vor allem ihr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneter Roman “Landgericht” im Fokus. Auch dieser auf Archivmaterial basierend, aber eben literarisch verarbeitet.
Ich fand es sehr spannend, dass sich Frau Krechel selbst nicht bei den historischen Romanen verortet, sondern energisch dagegen verwahrt hat. Sie hält das ganze Genre offenbar für wenig wertvoller als Groschenromane (Zitat: “bis auf ganz wenige Ausnahmen”, leider hat sie nicht gesagt, welche), was man ja schon an den Coverabbildungen sähe. Bis dahin hatte ich den Eindruck gehabt, sie hätte auch nichts anderes gemacht, als Archivmaterial auszuwerten und um die Fakten eine romanhafte Geschichte zu weben. Aber offenbar hatte sie wirklich das Anliegen, die Hauptfigur als historische Person so stehen zu lassen. Bewusst eine Distanz zu ihr zu wahren. Weshalb sie auch keine Dialoge oder innere Gedanken erfände oder vortäuschen würde, sich in die Person hineinfühlen zu können.
Ich habe hinterher mal ein wenig bei Amazon in die ersten Seiten reingelesen und bin mir nun nicht mehr sicher, ob das tatsächlich stimmt oder sie sich selbst nicht etwas vormacht. Vielleicht erfindet sie keine Dialoge, aber sie schreibt doch sehr detailliert, nur halt indirekt, sozusagen aus der objektiven Erzählerperspektive, über Gefühle, Empfindungen, das Geräusch beim Suppeessen, die elektrisierende Wirkung der ersten Berührung … Wo ist da der Unterschied zum erfundenen Dialog, ausser dass es keine wörtliche Rede ist?
Interessant auch, dass die negativen Rezensionen ihr genau das vorwerfen: Zu wenig Dialoge, zu hölzern, zu langatmig, man bekomme keine echte Sympathie für die Figur.
Wirklich geklärt hat sich für mich die Frage, wie man aus Facten Fiction macht, daher nicht.
In dem Vortrag hat mich ihre Beschreibung anfangs elektrisiert: Archivmaterial zwar erzählerisch aufarbeiten, dabei aber ganz dicht und aus der Historikerperspektive an der historischen Person bleiben, das schien mir ein Weg, wirklich historische Romane zu machen, ohne in den Kitsch abzugleiten. Aber jetzt frage ich mich, ob das so überhaupt geht oder man da am Ende weder Fisch noch Fleisch ist.
Und vor allem, wie man das anstellt, wenn man nicht über Lindau in den 1950er-Jahren, sondern beispielsweise über, hm, Nördlingen in den 1590er-Jahren schreiben will? Wie rekonstruiert man da Details? Wie kommt man an diese Personen näher heran, wenn man in den Akten nicht mehr als drei dürre Zeilen hat?
Wie denkt ihr darüber?