Festessen - Auszug aus meinem Roman "Weihnachten in der Lockdown-WG" 😄

Andreas war heilfroh, als er endlich die zugegeben etwas übersichtliche Vorspeise vor sich stehen hatte. Die Fahrt zum Restaurant war eine einzige Rutschpartie gewesen. Zwar waren die Straßen teilweise geräumt, aber den steilen Berg zum Heidelberger Schloss hinaufzufahren, war eine Herausforderung gewesen. Viele Fahrzeuge waren liegengeblieben oder rutschten ihnen auf dem Hang entgegen. Trotzdem hatten sie es geschafft, unversehrt bei dem Restaurant anzukommen, wo sie sogar noch ihren reservierten Tisch bekamen, obwohl sie fast zwei Stunden zu spät waren.
Doch als sie sich in dem Restaurant umblickten, schien es vielen ähnlich zu ergehen. Die meisten Tische waren leer und das Telefon klingelte Sturm, da die Gäste ihre Verspätung ankündigen oder absagen wollten.
Sobald Andreas und Diana an ihrem Tisch saßen, der äußerst edel gedeckt war mit einer weißen Tischdecke, gestärkten Servietten, Kristallgläsern und silbernen Platztellern, versuchten sie, sich ein wenig zu entspannen. Zur Feier des Tages bestellten sie Champagner, der etwas schal schmeckte und die Stimmung nicht wirklich heben konnte.
Der Gruß aus der Küche und ihre Vorspeisen ließen vermuten, dass der Koch mit der Molekularküche experimentierte und sie das Restaurant voraussichtlich hungriger wieder verlassen würden, als sie gekommen waren. Es befanden sich nur ein paar Kügelchen auf dem Teller mit etwas Schaumigem dazwischen, das angeblich geräucherter Lachs und eine „Air“ von Sahnemeerrettich sein sollte.

Andreas konnte nicht umhin, dauernd an den Rückweg zu denken. Er schielte immer wieder Richtung Fenster, vor dem unablässig die weißen Flocken herabrieselten. Diana dachte vermutlich die ganze Zeit an Merlin, zumindest machte sie ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Ihre Konversation lief äußerst schleppend. Anfangs bemühten sie sich noch, ein Gespräch in Gang zu bringen, was sie mittlerweile aufgegeben hatten.
„Ich hoffe, meine Rouladen mit den hausgemachten Spätzle kommen nicht auch in Kügelchenform“, meinte Andreas gerade, während Diana versuchte, eine Lachskugel mit der Gabel aufzusprießen, was ein unmögliches Unterfangen zu sein schien. Mit einem lauten Quietschen der Gabel auf dem Teller flutschte das Molekularbällchen davon und verschwand auf nimmer Wiedersehen auf dem lachsfarbenen Teppich.
„Dir sind gerade fünf Euro weggeflogen“, stellte Andreas trocken fest. Tatsächlich sollten die drei Kügelchen, die nicht einmal nach Fisch schmeckten, und der Schaum fünfzehn Euro kosten.
„Könnten wir vielleicht etwas Brot bekommen?“, fragte Andreas den vorbeieilenden Ober, der dies mit einer völlig übertriebenen Verbeugung beantwortete. Er hatte so einen unglaublichen Hunger, dass er gleich die Tulpen in der Vase essen oder sich auf die Suche nach dem Lachskügelchen auf dem Boden machen würde.
Als der Kellner kurz darauf einen Brotkorb und die beiden Hauptspeisen brachte, hätte ihm Andreas vor Dankbarkeit beinahe die Füße geküsst. Zum Glück hatte der Koch beim Hauptgang nur das Gemüse in Kugelform präsentiert, der Rest sah aus wie ein normales Essen. Vorsichtig probierte Andreas und ließ ein erleichtertes „Gott sei Dank. Das schmeckt wenigstens!“ verlauten, was ihm einige entgeisterte Blicke der Tischnachbarn bescherte.
Auch Dianas Forelle nach Müllerin Art, die gerade fachmännisch von dem Ober zerlegt wurde, sah vorzüglich aus. Immerhin etwas. Eine Weile aßen die beiden schweigend und schienen etwas zur Ruhe zu kommen. Zumindest Andreas fühlte sich nach der Mahlzeit wieder wie ein Mensch.

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