alles klar, dann here we go. Nicht erschrecken, das wird jetzt ne etwas längere Angelegenheit. Zum besseren Durchblick:
- Zitate aus deinem Text sind schwarz.
- Anmerkungen von mir sind blau & kursiv
- Änderungsvorschläge sind grün & kursiv
Renĵe saß lange dort. Draußen in der Kälte, im Licht der Göttin der Sonne fühlte er sich am wohlsten.
Guter Start, zwar nicht hochdramatisch, kann man aber ohne weiteres lassen. Allerdings sollte jetzt ziemlich flott etwas passieren.
Er kannte ihre zerstörerische Kraft und wusste, dass sie ihn zu schmelzen vermochte, doch die Herrin des Eises sorgte dafür, dass sie hier, in ihrem Revier nicht dazu fähig war, genug Macht zu erlangen, um es tatsächlich zu können.
Das ist so ein Satz, der viel zu geschraubt und in sich viel zu sehr ‘verschwurbelt’ ist, formuliere es lieber einfacher, z.B.:
Er wusste natürlich um ihre zerstörerische Kraft, doch hier, im Reich der Herrin des Eises, hatte sie nur wenig Macht und er nichts zu befürchten.
Dennoch waren die Nemřan gezwungen, sich zu verstecken – nicht vor der Sonnengöttin selbst, sondern vor einem zerstörerischen Volk, das man Menschen nannte. Sogar, wenn er nur ihren Namen hörte, erschauderte der Mann. Doch nicht vor Kälte – Renĵe war es nicht möglich, zu frieren. Er erschauderte, weil allein ihr Name sich so schrecklich anhörte. Menschen – dieses Wort verhieß eine nicht enden wollende Qual, wie sie blumig und blutig in den alten Geschichten geschildert wurde. Wenn Renĵe jemals einen von ihnen sehen sollte, würde er ihn umbringen.
Auch hier würde ich radikal kürzen, du erklärst viel mehr, als es an dieser Stelle nötig ist. Vorschlag:
Dennoch waren die Nemřan gezwungen, sich zu verstecken – nicht vor der Sonnengöttin selbst, es gab da eine viel größere Gefahr. Ein Volk voller Grausamkeit und Zerstörungswut, schon der Name verbreitete blankes Entsetzen: Menschen.
Mehr brauchts erst mal nicht, der Leser ist jetzt angefixt und möchte wissen, was da dahintersteckt. Alles Weitere würde ich später bringen, wenn es wirklich gebraucht wird.
Plötzlich stellten sich alle Härchen auf seinen Armen auf. Ein seltsames Knistern lief durch die Luft, und er riss die Augen auf. Sein Blick huschte hin und her, doch er sah nichts Ungewöhnliches.
Falls sich die Nemřan in irgendeiner Form körperlich von den Menschen unterscheiden, wäre hier eine gute Gelegenheit, etwas davon anklingen zu lassen, könnte ja auch sein, dass der das Knistern bis in die kleinsten Schuppen oder Federn spürt.
Sein Kopf dröhnte von ihr, …
Sein Kopf dröhnte wie eine geschlagene Glocke
…, fragte Renĵe verwirrt.
Weglassen! Es ist völlig klar, wer das sagt und auch, dass er etwas verwirrt ist.
Redebegleitsätze (= sagte er, dachte sie etc.) sparsam verwenden, wirklich nur dann, wenn nicht ganz sicher ist, wer das jetzt von sich gibt.
»Es geht nicht immer um Status, Dummerchen.«
Normalerweise pflegen Götter ihre Anliegen nicht ausführlich zu erklären
„Ich habe aber dich ausgewählt und meine Gründe dafür.“
Das ‘Dummerchen’ würde ich weglassen, klingt sehr überheblich. (Falls das so gewollt ist, lass es drinne).
… erklärte er.
Hier genauso, weg damit.
Seine Schwester, seinen Vater, vermutlich selbst seine Mutter, obwohl sie immer sagte, dass sie an ihn glaubte.
Interessiert hier niemanden, kann weg und, falls nötig, später erwähnt und/oder vertieft werden.
»Bei meinem Auftrag handelt es sich vielmehr um eine Sache des Charakters, nicht um Machtspielchen«,
Die ‘Machtspielchen’ finde ich eher unglücklich ausgedrückt, sie treffen imho nicht so ganz den eigentlichen Sinn. Wie wärs alternativ mit etwas wie ‘Titel’ oder ‘Ansehen’? Auch der ‘Status’ würde hier gut passen.
… erklärte sei Eřla mit einem Anflug von Verärgerung in der Stimme.
Und noch mal: Weg mit dem Begleitsatz, stattdessen kurz und knapp:
Jetzt klang sie ein wenig verärgert.
… und antwortete rasch …
Streichen!
„… also, trotz meines Charakters.“
Diesen letzten Zusatz würde ich auch weglassen, er weiß ja nicht so genau, welche Charaktereigenschaften sie sich wünscht.
»Du weißt doch nicht einmal, worum es geht!«
Er zog den Kopf ein. Verdammt, jetzt war sie wütend.
»Kind?«, fragte sie jetzt sanfter.
»Ja?«
Man erreicht im Leben nichts, wenn man keine Risiken eingeht«, belehrte Sei Eřla ihn.
»Ich bin zufrieden, wie es jetzt ist«, erklärte er selbstsicherer, als er sich fühlte.
»Das kannst du dir gerne weiter einreden«, meinte Sei Eřla.
Streichen, das alles bläht den Text mit unnötigem Ballast auf. Falls du es doch behalten willst, schmeiß auch hier zumindest die Begleitsätze raus. Und bitte lass sie nicht dauernd ‘Kind’ sagen, vielleicht gehts ja nur mir so, aber mich nervt das total.
Renĵe war zwar immer noch nicht zufrieden mit der Wendung des Gesprächs, …
… immer noch nicht überzeugt von seiner Eignung, …
„Du sollst dem Mann, den ich in deine Obhut übergebe, das Leben retten und seine Existenz vor den anderen Nemřan geheim hältst. Und wenn er geht, …“
Da hängt die Grammatik, ist wahrscheinlich beim Ändern des Satzes passiert. Ich würde auch ein kleines bisschen ändern:
… seine Existenz vor den anderen deines Volkes verbergen. Wenn er dich verlässt, …
Renĵe war sprachlos. Zu den Städten der Menschen?
Hier wäre jetzt ein guter Moment, die ‘schrecklichen Menschen’ ein klitzekleines bisschen zu vertiefen, z.B.
- Zu den Städten der Menschen? Niemand, der seinen Verstand beisammen hatte, ging freiwillig zu den Menschen, was bei allen Göttern hatte sein Schützling dort zu schaffen?*
Auch hier auf keinen Fall mehr erklären, das würde die frisch aufgebaute Spannung wieder killen. Heb dir das für später auf, Leser sind begeisterte Entdecker, sie wollen mitfiebern und Geheimnisse und Zusammenhänge selber erforschen, und sie keinesfalls zu früh und einfach so nebenbei fertig aufbereitet vorgesetzt bekommen.
Lianë Sei …
Seiner Lebensgefährtin (oder was sie halt ist)
… würde es nicht gefallen, wenn er ihr etwas verheimlichte, doch es stand Renĵe umso weniger zu, die Wünsche der Herrin des Eises abzuschlagen, oder etwa nicht?
Der Satz ist auch sehr in sich verschraubt und irgendwie seltsam. Machs doch nicht so kompliziert, z.B.
„… doch es stand weder Renje noch sonst einem Sterblichen zu, der Herrin des Eises einen Wunsch abzuschlagen.“
Deshalb senkte er den Kopf und verneigte sich vor der knisternden
Präsenz, die ihn umgab. »Ich verspreche es, Sei Eřla.«
Renĵe spürte, wie die Präsenz verblasste, als die Herrin bedeutete:
»Versprechen bricht man nicht, mein Kind – vor allem nicht die mir gegebenen.«
Dann war ihre Präsenz verschwunden.
Die dreimalige ‘Präsenz’ in diesem Abschnitt solltest du entschärfen:
„… ich verspreche es, Sei Erla.“
Die Stimme schien zu verwehen wie eine Schneeflocke im Wind, nur ihre letzten Worte hallten eindringlich durch seinen Verstand: „Vergiss nicht, dass man ein mir gegebenes Versprechen niemals bricht!“
Dann war alles totenstill.
… das die Herrin Pfeile in den Schnee gegraben hatte.
Machs ruhig ein bisschen mystischer, so denkt man, sie hätte Straßenschilder ausgelegt:
… dass die Herrin eine leuchtende Spur in den Schnee gebrannt hatte.
… obgleich es hier oben nur einmal alle Jubeljahre taute.
Kann weg, uninteressantes Füllmaterial.
… einer Stätte aus schwarzen, gefrorenen Kiefernnadeln …
Eines der Adjektive oder sogar beide streichen, die Kiefernnadeln alleine reichen schon völlig aus. Da sie nicht weiter wichtig sind, würde ich sie nicht so ausführlich ausschmücken.
Es war ein Mensch.
*Ausgezeichneter Abschluss des Einleitungskapitels, damit ist die Geschichte gestartet und kann Fahrt aufnehmen. *
Der Leser hat die nötigen Appetithäppchen bekommen, die Lust auf mehr machen:
- Was sind die Nemran für ein Volk?
- Warum sind dort die Menschen so gefürchtet und verhasst?
- Was ist Renje für ein Typ? Er scheint ja mit sich und der Welt ein paar Probleme zu haben.
- Was hat es mit dem Schützling der Göttin auf sich?
Damit ist schon mal die Basis für jede Menge an wunderbaren Konflikten gelegt, genau das, was eine gute Story braucht.
*Als Nächstes könntest du ein bisschen mehr über Renje erzählen, wie, wo und mit wem er lebt. (Vorher, also im oben besprochenen Kapitel, wäre es zu früh, zuerst muss sichergestellt werden, dass sich der Leser überhaupt für ihn interessiert). Dadurch bekäme man auch einen ersten Eindruck vom Volk der Nemran. *
Was sagt Renjes Freundin zu alledem? Und wie stellt Renje es an, damit sein Schützling nicht entdeckt wird?
*Das ist viel Raum, um die Charaktere deiner Protagonisten interessant herauszuarbeiten, bevor du ihn (oder beide) dann auf große Fahrt schickst. *
Ich bin gespannt!