Liebe Schleifi,
Der “gut recherchierte Roman” – also dieses Schlagwort --, kam auf in der Literaturkritik, als der Totalangriff der sog. Dekonstruktivisten (auch “Postmodernen” genannt") auf die “klassischen” Vorstellungen dessen erfolgte, was bis dahin speziell Literatur und allgemein Kunst hieß.
Es ging dabei also um eine Art “Gegenschlag”, der sich gegen Leute wie Jaques Derrida, Francois Lyotard, damals auch (noch) Michel Foucault und andere Schwergewichte des sog. Neostrukturalismus richtete. Sie sprachen dem Autor – mal sehr platt formuliert – schlicht seine (klassisch vermittelte) Autorenrolle ab und wollten eine streng rezeptionistische Denke etablieren, also vergröbert gesprochen etwa dergestalt, daß sich ein Text quasi “selbst erzähle” und damit praktisch gar keinen Autoren habe, sondern bestenfalls einen eben je gerade im Moment der Lektüre existierenden Rezipienten, dessen interpretatorische Leistung allerdings auch nie Allgemeinverbindlichkeit erreichen würde, sondern als höchst subjektiv, also privat einzuordnen sei, abhängig von der jeweiligen konkreten Rezeptionssituation.
Das “gut Recherchierte” sollte diesem dissoziativen Trend in der Literaturtheorie entgegenwirken. – Auf eine gewisse Weise wurde dieses Ziel m.A.n. auch erreicht, allerdings nun dergestalt, daß (wie meiner Ansicht nach [aber nicht nur meiner!]) die Literatur darunter Schaden genommen hat, weil diese Idioten aus der Kritikerzunft, die den “Recherche”-Wahn etablierten, natürlich ersterns mediokre Gestalten waren (man denke nur an solch Halbgewalkte wie den unsäglichen Reich-Ranitzki oder auch Karaseck e.a.) und zweitens dadurch anpassungswillige Autoren – also letztlich nur marktorientierte, die es leider schon immer zuhauf gibt, seitdem allerdings im absoluten Übermaß! – auf eine Schiene gedrängt wurden, die fürs “Literarische an sich” geradezu tödlich ist: Nämlich auf jene, bei der ihr die substantiell wichtige Fiktionalität geradezu systematisch ausgetrieben wird, womit sie sich von profanen Texten nicht mehr durch diverse ästhetische Eigenschaften abzusetzen vermag und folglich, vom Kunststandpunkt aus betrachtet, gar keine mehr ist, sondern bestenfalls belehrende Prosa und schlimmstenfall dilettantischer Kitsch bzw. Trash.
“Am Markt” hat sich dieser Sumpf inzwischen so tief eingegraben, daß die hohe Gefahr des Überhandnehmens von schlabbrig-übler Einheitssoße kaum noch von der Hand zu weisen ist. Was dagegen hülfe, wäre natürlich gerade das Wiederstarkmachen der Fiktion. Leider erfolgt das allerdings gerade auf Wegen, die der Literatur auch keinen Gefallen tun, weil das bloße Breitschmieren rein fiktionaler BallaBalla-Stories*** (aus den akut inzwischen überhandnehmenden einschlägigen Genres) die “Krankheit der Literatur” dann eben nur auf andere Weise verschärfen, sozusagen vom anderen Extrem her!, aber auch nicht zu heilen vermögen … nicht mal im Geringsten!
***ich beziehe mich dabei v.a. auf ausufernde Elaborate, die angefüllt mit Einhörnern, Elfen, Zauberern und ähnlichem infantilen Kram daherkommen und ansonsten nichts, aber auch gar nix anzubieten haben als davon evozierte maßlose mentale Ödnis; davon unabhängig gibt es natürlich auch lesenswerte, ja, sogar sehr interessante und wahrscheinlich heutzutage auch wichtige sog. Fiction-Literatur
Mein Punkt anbei all dessen ist also: Gerade Historisches reflektierende Literatur – im Grund genommen gilt das aber für alle seriösen lit. Genres – bedarf natürlich eines gewissen, an mehr oder weniger allgemeinen Überzeugungen hängendem fundamentum in re, es sollte also bitteschön nicht vollkommen Abwegiges wild und unreflektiert zusammenphantasiert werden (darauf habe ich in der Fußnote oben angespielt), jedoch ohne daß daraus der Anspruch abgeleitet werden könne, dabei würde … ähm … “wahr gesprochen”; denn wo der Geltungsanspruch auf Wahrheit mitgesetzt ist, kann es sich per se nicht mehr um Literatur – oder Kunst – handeln, weil das Fiktionale, das zwar Mögliche, aber nicht realisierte also, ästhetischen Gegenständen nun mal substantiell ist (womit Wahrheit obsolet wird): Wäre es anders, würde ja ersichtlich gar kein Kriterium existieren, das z.B. wiss. oder alltagsweltliche Prosa von Literatur abzugrenzen vermochte!
Da das Letztere mit Gewißheit logisch integer ist, verzichte ich auf nähere Explikation, auch – aber nicht nur – weil es nicht meiner Vorstellung davon entspricht, aufs Ästhetische zu reflektieren: Denn darüber labern (und klänge es noch so gelehrt) bringt nicht viel. Es muß sich, dem berühmten Tractatus-Diktum gemäß, vielmehr zeigen, also immer bezogen auf je konkrete literarische Texte und ihre Rezeption.
Um das noch kurz beispielhaft zu machen: Als der von mir geschätzte Umberto Eco seinen berühmten Roman* Der Name der Rose* veröffentlicht hatte, gab es aus Historiker- und tlw. auch geistesschichtlich orientierten Kreisen der einschlägigen Wissenschaften die eine oder andere Kritik an der einen oder anderen hinsichtlich dessen relevanten Marginale im Roman. – Ich finde das (noch heute) geradezu lächerlich! Denn Leute, die sich über so etwas ereifern, haben m.E. rein gar nicht verstanden, was ein literarisches Werk von einem wiss. Text grundlegend unterscheidet! Nämlich u.a. die Tatsache, daß es sich ein lit. Text ohne eine jegliche Not “leisten kann”, realhistorisch im Vagen (oder gar bisher unbekannt) Bleibendes einen im fiktionalen Rahmen je plausiblen Sinn zu verleihen. – Und daneben: Gerade Eco mit derlei beckmesserischer Scheiße gekommen zu sein, war schon an sich jämmerlich, weil ja dieser Mann nun wahrlich wußte, was er tat, als er die Niederschrift des Romanes bewerkstelligte: sowohl was die ästhetische Dimension angeht – U.E. ist immerhin auch der Verfasser des einschlägigen Traktates namens Das offene Kunstwerk! --, als auch die sachliche: Denn Eco war im Mittelalter natürlich auch hinsichtlich seiner geistesgeschichtlichen Bedeutung durchaus zuhause, was es geradezu bizarr erscheinen lassen muß, wenn ihm dann solche Vorhalte gemacht wurden. Tatsache ist: Er hat halt einen Roman über bestimmte Vorgänge während des 14. Jhd. geschrieben und keine Fach-Monographie dazu! Es steht ja außer Frage, daß er den grundsätzlichen Rahmen des heute Wißbaren über diese Zeit nirgends überschritten hat (dazu ist er viel zu souverän mit der Materie umgegangen), sondern ihm wars u.a. darum gegangen, die dabei mitimplizierten Lücken unseres Wissens darüber mit literarischen Mitteln, also fiktionalen, anzufüllen … und das ist natürlich im gewählten Rahmen einer ästhetischen Annäherung absolut legitim!
Jo, soviel mal dazu als meine two cents.
Es grüßt Palinurus