Experte für Psychotherapie gesucht

Liebe Forenmitglieder,

für mein Schreibprojekt suche ich händeringend Jemand, der sich mit Psychotherapie auskennt. Ich habe bereits versucht Psychologen zu kontaktieren, was an sich auch kein Problem war, nur, konnten sie mir aufgrund Zeitmangel oder Unlust keine Auskünfte geben.

Mich interessiert vor allem, wie eine Sitzung abläuft,

ob eine Sitzung spontan verlängert werden kann,

was passiert, wenn der Klient sich nach einem Gespräch nicht verabschieden, sondern bleiben möchte,

und vieles mehr.

Mir ist es wichtig glaubhafte Reaktionen/Handlungsweisen zu schildern, was ohne Eigenerfahrund nur geht, wenn ich Informationen von einem Experten bekommen würde.

Für Ratschläge oder Gesprächsangebote bin ich sehr dankbar!

Beste Grüße!

Weltatlas

Aw: Experte für Psyhotherapie gesucht

Hallo Weltatlas, :slight_smile:

ad eins: sehr unterschiedlich, abhängig von Klient, Therapeut, Setting und Thema.

ad zwei: kann schon, geschieht aber eher sehr selten, da der Termintakt dadurch zerstört wird. :smirk:

ad drei: Das ist mir in all den Jahren nie passiert. Im Zweifelsfall wird er vielleicht höflich rausgeschmissen und die weitere Therapie steht in Frage. Das ist immerhin eine Nötigung und ein Bruch des Arbeitsbündnisses.

Vielleicht hilft Dir das weiter. Kurze Rückfragen bitte lieber über PN.

Aw: Experte für Psyhotherapie gesucht

Hallo Weltatlas:

- ob eine Sitzung spontan verlängert werden kann:

Sollte es innerhalb der Sitzung zu einer Krise kommen, ist das sehr wohl möglich, und wenn es zu einer ersnthaften Krise (z.B. Suizidgefährdung) kommt, auch unumgänglich. Der Psychotherapeut handelt fahrlässig bis grob fahrlässig, wenn er das nicht erkennt und/oder nicht darauf reagiert.

was passiert, wenn der Klient sich nach einem Gespräch nicht verabschieden, sondern bleiben möchte:

Auch das hängt von den Umständen ab. Aber alleine die Tatsache, dass ein Klient nicht gehen will, deutet auf eine Krise hin. Ein guter Psychotherapeut wird angemessen daruaf reagieren. Alle Reaktionen des Klienten sind möglich: Von “Okay, dann geh ich mal besser, bis nächste Woche” bis Heulkrampf mit anschließender Einweisung oder Handgreiflichkeit mit Polizeiintervention. Diese Extreme sind natürlich nicht die Regel, sondern die Ausnahme bei ambulanten Therapien. Stationär sieht das schon anders aus.

Frohes Schaffen

Martin

Aw: Experte für Psyhotherapie gesucht

Hallo Weltatlas.

Ich versuche mich auf das Thema so einzulassen, daß es auch andere interessieren kann, trotzdem auf Deine eigenen Fragen einzugehen.

Also: Zunächst lasse ich hier das Thema der Behandlung von Kindern und Jugendlichen aus, bei dem man eigenständigen Erfordernissen folgt.

Die erste Grund-Unterscheidung betrifft die Tatsache, ob es sich beim Psychotherapeuten um einen Diplom-Psychologen mit anerkannter Zusatzausbildung zur Ausübung der Psychotherapie handelt, oder um einen dazu berechtigten Arzt. Obwohl ich kein Deutscher bin und erst seit 2007 in Deutschland, bin ich natürlich über die hiesige Lage gut informiert. (Die Lage in Österreich, in den deutschsprachigen Kantonen der Schweiz und in Südtirol kenne ich kaum.)

Hier gibt es Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzte für Psychosomatik und Psychotherapie und Ärzte mit der Zusatzausbildung zur Ausübung der Psychotherapie, sowie Psychologen, die Psychotherapeuten sind.

Viele der Genannten sind in Kliniken tätig. Dort nennen sowohl die Ärzte und und die Psychologen (sowie wie übrigens das gesamte Klinikpersonal auch) die Behandlungsbedürftigen „Patienten“. (Was ich rein persönlich für sinnvoller erachte.)

Etwa drei Viertel der niedergelassenen Psychologen nennen sie „Klienten“. Manche von Ihnen, zumal wenn sie aus dem Klinikbereich herkamen, oder wenn sie sich auf die Behandlung auch schwererer Störungen und auf die häufigere Mitarbeit mit einem befreundeten Arzt eingelassen haben, nennen auch ihrerseits die Behandelten „Patienten“.

So.

Jetzt wird 's leider komplizierter. (In einer Erzählung welcher Art auch immer kommt es selbstverständlich im Übrigen darauf an, die entsprechenden Realitäten nicht kompliziert darzustellen, analog der Bemühung, eine nicht allzu realitätsferne Polizeiarbeit wiederzugeben, ohne die reale Komplexität polizeilichen Vorgehens eins zu eins zu übernehmen…)

Es kommt darauf an, zu welchem Methodenschwerpunkt die niedergelassenen Psychotherapeuten tendiert haben, bzw. in welchem sie ausgebildet wurden.

Bei Verhaltenstherapeuten gibt es etwas mehr Raum für ein gewisses Oszillieren von Terminanfang und -ende, jedoch in einem normalerweise moderaten Rahmen, schon in Hinblick auf praktische Erfordernisse und Rücksicht auf die andere Patienten.

Je mehr der Therapeut zum gesprächstherapeutischen im engeren Sinne tendiert, oder gar zum psychoanalytischen Vorgehen, desto mehr werden dann Fragen der Pünktlichkeit und Ungestörtheit eine vielfache Rolle in der Therapie spielen.

Nun, was meistens übersehen wird: ca. sechzig Prozent der Therapien finden als Gruppentherapie statt, einige zehn Prozent als Paartherapie mit wiederum eigenen Erfordernissen. (Die Familientherapien lasse ich außen vor, weil dort auch mehr-generationelle Faktoren eine größere Rolle spielen.)

Psychodrama-Therapeuten und Gestalt-Therapeuten führen bei Erwachsenen beinah ausschließlich Gruppentherapien vor. (Tendenzen zu einer – professionell etwas gebremsten – „Individual-Spontaneität“, finden sich noch am ehesten bei den sehr seltenen gestalttherapeutischen Einzelsitzungen.)

Unter „Spontaneität“ stelle ich mir **an dieser einen Stelle **etwas eher Unprofessionelles vor. Solcher Art Eingebungen gehören normalerweise (mit Ausnahmen also…) nicht zum „Geschäft“. Anders verhält es sich bei Krisen. Auf die Komplexität des entsprechenden Vorgehens ginge ich nur ein, wenn Du es ausdrücklich wünscht. Man kann es ja mit der Genauigkeit auch übertreiben…

Wie eine Sitzung abläuft?

Bei mir lief es so, daß ich nach Ende einer Therapiestunde zu den Sprechstundenhilfen (kleiner Praxisgemeinschaft von zwei Ärzten und einem Psychologen in Israel) lief. Dort bekam ich in die Hand die Patientenkartei. Ich lief zum Wartezimmer persönlich, rief den entsprechenden Patienten zu mir, ging vor, machte die Tür des Gesprächszimmers auf und gab dabei dem Patienten die Hand. Diese Art der „intimeren“ Einführung wird von vielen Therapeuten bevorzugt. Daß der Therapeut hinter seinem Schreibtisch sitzt und die Sprechstundenhilfe den Patienten hineinläßt, kommt sehr selten vor. (Zumindest in Israel…)

Ich saß außerdem während der Therapie nicht hinter dem Schreibtisch und trug dabei normalerweise keinen weißen Kittel. Jeder in der Praxis hatte eine bequeme Sitzecke, bei welcher Therapeut und Patient nicht frontal gegenüber, sondern in einem Winkel von ca. 30° zueinander saßen. Die Sitzungen dauerten fünfzig Minuten. Fünf Minuten vor Schluß erwähnte ich freundlich und ohne spezielle Betonung, daß „wir“ noch fünf Minuten hätten. Geraucht durfte in den gesamten Praxis-Räumen nicht werden, also auch nicht während der Therapien. Es gibt nur wenige Therapeuten, die es anders halten. Telefonate oder Störungen gab es nicht. Einige Therapeuten halten es damit nicht ein, was nach meinem sehr persönlichen Urteil „so“ nicht sein sollte, und gar nicht in-frage kommen dürfte.

Deine letzte Frage habe ich nicht richtig verstanden.

Meinst Du eine Art Laune? Das geht nicht; es wäre un-therapeutisch und kein sonderliches Ruhmesblatt für den Therapeuten, denn das Erstinterview (90 Minuten) und das Gespräch zur Nachbearbeitung (50 Minuten) dienen ja nicht nur zur allgemeinen Diagnosestellung, sondern auch zur Festlegung des Verfahrensmodus, so daß jemand, der nicht die Zuverlässigkeit für eine solche Sitzungsabfolge hätte, nicht dazu auserkoren werden sollte.

Anders bei einer Krise. Da verweise ich auf die obigen Bemerkungen.

Weitere Fragen beantworte ich gerne.

Herzlich
Abifiz

@Suep hat sich gerade heute angeboten.

Hallo Weltatlas,

ich wurde eben auf deine Frage aufmerksam gemacht.
Du hast ja schon gute Antworten bekommen, aber ich kann vielleicht noch etwas ergänzen.

Ich beziehe meine Antwort auf niedergelassene Kassenpsychotherapeuten. Psychotherapeuten, die nicht kassenzugelassen sind, sind in mehrfacher Hinsicht freier und weniger an Regeln gebunden. Das klingt erstmal besser, ist es aber nicht unbedingt. So haben sie keine Fortbildungsverpflichtung und haben die recht hohe Schwelle der Kassenärztlichen Zulassung nicht genommen. Dahinter kann sich vom therapeutisch genialen Freigeist bis zum unfähigen Blender jeder verbergen. Der Begriff Psychotherapeut ist gesetzlich nicht geschützt.

Einige weitere Informationen wurden schon in Antworten vorher gegeben und zu den verschiedenen Fachbezeichnungen findet man auch viel im Netz.

Die meisten niedergelassenen, kassenzugelassenen Psychologischen Psychotherapeuten in Deutschland haben keine Sprechstundenhilfen, sondern sind allein in ihrer kleinen Praxis, die meist einen Therapieraum hat, eine sehr kleine Wartezone und ein kleines Büro. Viele haben das Büro, also in der Regel Schreibtisch, Rechner und Aktenschrank auch im Therapieraum mit drin.

Eine Psychotherapiestunde (Verhaltenstherapie oder Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie in Einzeltherapie) dauert 50 Minuten und findet in der Regel wöchentlich oder 14-tägig statt. In Ausnahmefällen gibt es Doppelstunden, die aber vorab als Doppelstunden geplant sind, und für die es immer einen besonderen Anlass gibt. Spontan verlängert werden kann in der Regel nicht. Das hat einerseits organisatorische Gründe, aber auch Gründe, die die therapeutische Beziehung betreffen.

Im Notfall, aber wirklich nur im Notfall, sieht es anders aus, das wurde ja schon beschrieben.

Wenn der Klient oder Patient gern bleiben möchte, wird er freundlich hinausgebeten. Das ist so gut wie nie ein Problem, weil in der Regel nach ihm jemand kommt, der ebenfalls in Ruhe seine Therapiesitzung wahrnehmen möchte. Normalerweise ist die Solidarität unter Patienten groß.

Ich hoffe, ich konnte weiterhelfen.

Weitere oder vertiefte Fragen gern per PN an mich.

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