Aw: Erzählperspektive
Das ist halt die basale Entscheidung, über die man sich VOR dem Schreiben klar sein muss. Wie möchte ich erzählen? Aus welcher Perspektive, wie soll der Erzähler aussehen? Liegt mir das? Kann ich das? Kann ich das durchhalten? Wichtig ist, dass dies stringent, durchgängig ist.
Geschichten, bei denen der Erzähler und vor allem die Art der Perspektive wechselt, sind verwirrend und gehen daher meist in die Hose.
Früher (und immer noch) war und ist die Perspektive meist die des neutralen Erzählers. Das ist auch, was man in vielen Schreibkursen angeraten bekommt.
Der Erzähler weiß nichts vom Innenleben der Figuren, er schwebt als unsichtbarer Engel über der Szene und beschreibt, was er sieht, ohne Emotionen und ohne am Geschehen teilzunehmen.
Gefühlsausdrücke passieren einzig über die wörtliche Rede “Ich bin sooo glücklich!” oder eine - immer noch neutrale - Beschreibung einer Emotion: “Er zuckte mit den Schultern.”.
Vorteil wie Nachteil des neutralen Erzählers: Die Geschichte selbst muss das Geschehen tragen. Der Autor selbst muss keine gewagten Wortspiele dauerhaft durchhalten, um den Leser mit mehr oder minder brillanter Schreibe im Buch zu halten - die Geschichte selbst macht’s. Die Kunst liegt hier im lebendigen Bild der Szene. Wenn man gelungen neutral eine Mimik beschreibt, ohne die inneren Gefühle zu beschreiben, hat das “Wucht”. Wenn die Szene so “lebt”, dass der Leser die Gefühle der Protagonisten “mitbekommt”, oder sie unter die Nase gerieben zu bekommen - das ist Kunst.
Könner dieser Perspektive sind Andreas Eschbach (dürfte bekannt sein ;)), Robert P. Parker, Raymond Chandler mit ihren “trockenen” Krimis und viele, viele, viele weitere Altmeister.
Als eine Stufe schwieriger gilt die Erzählung aus der Ich-Perspektive, denn wichtige Dinge kann man nicht einfach so einfügen - sie müssen ja dem Ich-Erzähler erst zur Kenntnis gekommen sein, damit er sie erzählen kann.
Die “Kamera” klebt quasi am Kopf der Hauptperson, was einen Block weiter an einem anderen spannenden Ort geschieht, kann nur per “Trick” erzählt werden (durch eine Erzählung einer dritten Person zu unserer Hauptperson, aktuell noch schwieriger, durch bspw. einen Anruf einer am fremden Ort befindlichen Person oder derlei).
Da hier einige Erfahrung vonnöten ist, wird Anfängern abgeraten, diese spannende Erzählform zu wählen - macht man’s doch, muss man sich halt durchbeißen.
Ein “Trick” ist hierbei, dass der ältere Hauptdarsteller seine Geschichte erzählt und daher in Rückblenden auch Parallelhandlungen bringen kann (“Wie ich damals erst später erfuhr, ging zu genau der Zeit in der Nachbarstadt eine Bombe hoch”). Das muss beherrscht sein und kann schnell als das wirken - und den Leser herausreißen - was es ist: Ein mehr oder minder billiger Trick.
Modernes (gekonntes) Beispiel ohne Rückblenden: Barry Eisler mit seinem “Tokio Killer” (auf Englisch noch besser - John Rain).
Ebenfalls sehr lesenswert, MIT Rückblenden des “alten” Erzählers: John Maddox Roberts, die SPQR-Reihe über einen Detektiv im alten Rom, oder auch Bernard Cornwell mit der Uthred-Saga aus der Zeit der Wikinger.
In letzter Zeit treten häufiger junge Autoren mit “allwissenden” Erzählern auf (für all das gibt’s auch schicke Fachtermini, die ich mal weglasse). Vorteil: Der Autor kann auch die Emotionen der Beteiligten schildern. Nachteil: Man muss das auch durchhalten. Rutscht man für eine Weile in den neutralen Erzähler, reißt das den Leser möglicherweise aus der Geschichte. Das muss gekonnt sein.
Aktuelle Autoren, die von diesem “allwissenden” Stil leben - humorig: Terry Pratchett. Düster mit brillantem “Hineinziehen”: Joe Abercrombie. Aber auch Goethe hat schon solche Werke in dieser Perspektive verfasst.