Ich arbeite an einem (vermutlich…) Dreiteiler. Fantasy/Dark-Future-Setting.
Teil 1, Draft 1 ist zu 80% fertig. Ein Handlungsbogen, komplett in Ich-Perspektive (Protagonistin) geschrieben.
Teil 2, Draft 1 zu 50% fertig. Zwei Handlungsbögen. Einmal die Protagonistin (dessen Geschichte weitererzählt wird) und einmal eine Nebenfigur, die ich entwickle.
Jetzt mein “Problem”, die Nebenfigur (erzählt im perso Erzählstil) findet ein Kompendium, dass größtenteils wie ein Tagebuch geschrieben ist, also Ich-Erzähler. Ähnlich wie in Die Unendliche Geschichte, ein Buch-im-Buch.
Da jedoch die Protagonistin auch im Ich-Erzähler geschrieben ist (zumindest Teil 1) überlege ich gerade, ob ich die Geschichte der Protagonistin in Teil 2 im personalen Erzählstil (tight 3rd person) schreiben soll.
Würde euch, als Leser sowas abschrecken, der Switch von Ich zu 3rd person? Oder ist das einfach schlechter Stil? Ich möchte diese Erzählperspektive im zweiten Teil deshalb wählen, da Protagonist und Antagonist viel Zeit miteinander verbringen und ich das besser in 3rd person schreiben kann.
Auf die Fragen kann man ja nicht allgemeingültig antworten. Aber ich hätte für mich selbst einen guten Grund, warum ich das lassen würde:
Man stelle sich vor, ich - der Leser - mochte die Ich-Perspektive aus Teil 1. Die Protagonistin und ich werden Freunde. Vielleicht ja sogar so sehr, dass ich gerade deswegen Teil 2 kaufe.
Meinst du, ich könnte irgendwie verstimmt sein, ob deines Kunstgriffes? Ja, Mann! Ich wäre ganz sicher enttäuscht! Oder sogar wütend. Du beraubst mich einer liebgewonnene Konstante und das nehme ich höchst persönlich. Da auch nicht auf Einsicht des Lesers hoffen alá “Hach, der Autor wollte da folgendes Problem lösen…” Nix da! Als Käufer von Teil 2 bringe ich eine Erwartungserhaltung mit und die Zeit zum Verhandeln ist nach den ersten 350 Seiten von Teil 1 vorbei.
Du kannst es natürlich als Autor dennoch einfach so machen. Aber dann werde bitte das Genie, dass das sauber hinbekommt und dem man das verzeiht
Wenn Teil 2 deine Perspektiven unausweichlich bestimmt, dann schreib Teil 1 nochmal um. Ist viel Arbeit? Umso besser!
Auf mich persönlich würde es etwas zusammengeschustert wirken, wenn innerhalb einer Serie die Art der Perspektive ohne Begründung einfach wechselt. Oder ich käme auf den Gedanken, dass der Autor bei der Fortsetzung auf irgendwelche Schwierigkeiten bei der Verwendung der Ich-Perspektive gestoßen und nun einen easy way out gesucht hat, statt einer eleganten Lösung. Am saubersten wäre wohl, auch Teil 1 in 3rd-person-view umzuschreiben, damit alles einheitlich ist.
Eine andere halbwegs akzeptable Möglichkeit wäre, dem Leser innerhalb der Geschichte einen nachvollziehbaren Grund zu liefern, warum dieser Wechsel von Ich-Perspektive auf 3rd person erfolgt, also bspw. beginnt dein zweiter Teil damit, dass B verhaftet wurde und in eine Zelle mit C gesteckt wird. Während er auf seinen Prozess wartet, kommen beide ins erzählen. Irgendwann fällt von B der Satz: “Ich frage mich, was aus Prota geworden ist? Ich habe nichts mehr von ihr gehört.” C: “Interessiert dich das wirklich? Ist aber eine längere Geschichte. Ich habe mit ihr mal ein halbes Jahr im Correction Tower von San Angeles City im Kittchen verbracht/mit ihr im Untergrund gekämpft/whatever. Also, das war so…”
Wenn du kommentarlos die Perspektive wechseln willst, kannst du eigentlich nur auf das schwache Gedächtnis und die Kritiklosigkeit deiner Leser hoffen. Dabei hilft es vielleicht, Band 2 erst deutlich nach Band 1 zu veröffentlichen, aber trotzdem werden genug Leser übrigbleiben, die verärgert sein werden - siehe Kommentar von @Stolpervogel
Grundsätzlich macht es keinen guten Eindruck die Erzählperspektive des Protas zwischen den Bänden zu wechseln. Das wirkt schlampig und unprofessionell.
Ich würde das beibehalten - wegen der Identifikation - wenn das im Band 1 gelungen ist! Aber nur dann! Und würde mir etwas anderes für den 2. Band mit der Nebenrolle einfallen lassen, um sie zu kennzeichnen oder zu unterscheiden.
Aber ich würde ein Experiment machen:
ein paar wichtige Abschnitte aus Band 1 in der anderen Perspektive schreiben und beide Varianten **ausgedruckt **nebeneinander legen.
das Gleiche mit den bestehenden und erweiterten Möglichkeiten der Erzählperspektiven für Band 2.
Die Versionen (also evtl. zwei Kapitel von jedem Band) würde ich 5-7 erprobten Testlesern mit entsprechendem Fragebogen (es geht dabei ausschließlich um die Wirkung der Perspektive!) geben. Und ich würde dabei darauf achten, dass etwa die Hälfte beide Versionen in unterschiedlicher Reihenfolge liest. Als Blindprobe quasi!
Das Ergebnis / die Rückmeldung sorgfältig auswerten.
Und erst danach würde ich entscheiden was wirklich Sinn macht!
Es ist so, dass Teil 1 so endet, dass Sie tatsächlich (wie von Ralf geschrieben) in so einer Art Gefängnis landet. Sie ist dem Antagonisten ausgeliefert und kann nicht fliehen. Sie muss dort sein, muss diesen Weg gehen.
Ich werde tatsächlich mal ein paar Kapitel auf 3rdP umschreiben und vergleichen bzw. vergleichen lassen. Ich glaube aber, dass ich den Ich-Erzähler für die Protagonistin brauche. Glaube ich…
Der Hauptgrund, warum ich bei zweimal Ich-Perspektive vorsichtig bin ist Sabaa Tahir. Ihre Elias&Laia Geschichten sind durchweg im Ich-Erzähler. Alle Personen werden immer im Ich geschrieben, was ich persönlich nicht gut finde. Gekauft werden die Bücher trotzdem
Bitte noch mehr! Ich werde versuchen, Kapitel zu überarbeiten und werde diese hier einstellen. Dauert aber noch!
Mal 'ne Gegenfrage:
Warum hast du dich damals bei Teil 1 für die Ich-Perspektive entschieden?
Da wäre ja verschiedenes denkbar:
Die Perspektive liegt dir persönlich, Geschichten in Ich-Perspektive sind gerade total angesagt und verkaufen sich besser, die Geschichte würde nicht funktionieren ohne diese spezielle Perspektive, dir war gerade danach, usw. Gibt ja alle möglichen Motivationen und vielleicht hilft dir das auch bei der Entscheidung über das weitere Vorgehen.
Das habe ich mich auch gefragt. Mal abgesehen davon, dass ich persönlich die Ich-Perspektive nicht so mag in Romanen (diese ‘Märchenperspektive’ ist gut bei Kindergeschichten), solltest du unbedingt auf den personalen Erzähler 3. Pers. wechseln. In dieser Perspektive kannst du ja ebenfalls alles was der Prota sieht, hört, fühlt, denkt usw. gut für den Leser rüberbringen. Die inneren Gedanken, Monologe werden dabei in der ersten Person geschrieben, was ja ebenfalls sehr unmittelbar wirkt.
Ich würde also an deiner Stelle:
Teil 1 umschreiben auf Personal 3.th
In Teil 2 ebenfalls für den Hauptprota und für die Nebenprota jeweils in Personal 3.th.
Die Wiedergabe des Kompendium dann in der Ich-Perspektive und dieses auch textlich etwas anders dargestellt. Z.B. wie ein Brief in Kursiv oder einer anderen Schrift.
So geschrieben würde die Ganze Buchfolge damit einem eingängigen Stil folgen, der nicht zu einer Verwirrung führt.
Viel Freude und Geschick beim Verfassen deiner Trilogie.
Ich wollte eine starke Bindung mit der Protagonistin. Außerdem tue ich mich leichter im Ich-Erzähler zu schreiben. Ich bin nicht sicher, ob sich die Geschichte tatsächlich nur in diesem Stil erzählen lässt. Die Geschichte beginnt so:
*"Ich werde euch erzählen, wie die Menschheit fast ausgelöscht wurde. Ich werde euch erzählen, wie wir den Planeten fast zerstört haben. Ich werde euch erzählen, wie die Magie wieder einen Weg in unsere Welt fand und woher die Dämonen kamen. Ich werde euch erzählen, wer der Magier war und warum er tat, was er tat. Und ich werde euch erzählen, was das alles mit mir zu tun hat und wie ich in diese ganze Geschichte passe.
Mein Name ist Mae Valentine Gauthier. Ich bin 23 Jahre alt, ewiger Single, lebe und arbeite im ehemaligen New York, genauer im zerstörten Manhattan."*
Nach dem dritten Mal, dass die Dame ankündigt, mir etwas zu erzählen, wird sie dazu keine Chance mehr bekommen - Buch ist dann nämlich gerade zugefallen. Meine Schmerzgrenze liegt hier bei den heiligen Dreien.
Sonst: Mit 23 war noch nichts “ewig”, auch nicht ein Singleleben. Aber gut, Mae darf das für sich ja glauben.
Ok, also letztlich persönliche Präferenz.
Ist denn die starke Bindung mit der Prota im zweiten Teil nicht mehr so wichtig? Denn das wäre die logische Konsequenz, wenn du deine Lieblingsperspektive aufgibst.
Die Frage ist auch, ob die zwei Ich-Perpektiven wirklich so verwirrend sind, wenn es nur in einem Tagebuch vorkommt. Ich denke, du kannst da schon deinen Lesern etwas mehr zutrauen oder - wenn du ganz auf Nummer Sicher gehen willst - es mit formalen Besonderheiten verdeutlichen, wie es oben @Waba schon geschrieben hat:
[INDENT]Endlich ist es soweit. Ich habe die ganze Nacht an diesem Datenterminal verbracht, um die Zugangskontrollen zu überwinden und diese elende Level-4-Verschlüsselung zu knacken. Nun habe ich Zugang zu dieser Datei. Aufgeregt klicke ich sie an und warte, bis sie sich öffnet.
*Logbuch des Captains - Sternzeit 5.8.47,3
Über die Langstreckensensoren erhielten wir seltsame Trigentiumwerte im Subraumbereich. Ich habe…"
*[/INDENT]
Auf die Art sollte wirklich jeder verstehen, dass hier verschiedene Ichs etwas erzählen.
Ähnlich wie @Stolpervogel gefällt mir dieser “Ankündigungsanfang” aus verschiedenen Gründen nicht. Da solltest du m. E. nochmals rangehen.
Diese mehrfache (FÜNF-Fache) Ankündigung ist - määh
→ Nicht ankündigen: Erzähle es einfach!
→ Du stellst damit Deine Prota als schlappe Labertasche vor! Die möglicherweise nichts auf die Reihe kriegt.
→ Laß Deine Prota von jemand anders einführen, der sie als Zeitzeugen in einer Geschichtsstunde mit gebracht hat. Da hast Du ganz andere Möglichkeiten als so eine überdrehte aber nichtssagende Einführung.
→ Ein Roman braucht HANDLUNG und Dialoge und nicht die Ankündigung davon.
Und - da stimme ich Stolpervogel vollkommen zu - mit 23 gibt es keinen “ewigen” Single.
Ach ja - und das Tagebuch würde ich ganz einfach wie bei Lang-Zitaten in der Literatur ganz üblich einrücken. Das ist eine optische Markierung, die das sofort absetzt und erklärt.
Aus eurer Retrospektive mag das ja stimmen. Mit vierzig aufwärts verdreht man über so eine Aussage von einem jungen Menschen gern die Augen.
Aber mit 23 kann sich das schon mal ewig anfühlen (zumal die Zeit langsamer zu vergehen scheint, wenn man jung ist).
Sorry, das musste ich nur mal kurz loswerden…
Ich finde den Anfang okay. Klar, der haut mich jetzt noch nicht totaaal vom Hocker, aber ein Grund, das Buch zuzuklappen wäre er noch nicht. Ein paar Seiten, mich zu überzeugen, würde ich der Geschichte noch zugestehen. Und ich würde bei einer Perspektive bleiben. Egal, ob nun Erste oder Dritte Person. Lese beides gern, wenn es gut geschrieben ist.
Mir gefällt der Anfang. Ich lass mir gern was ankündigen. Weihnachten wird doch auch viel spannender dadurch, dass es vielfach angekündigt wird, anstatt dass man einfach eines Tages Geschenke ausgehändigt bekommt …
Ich würde danach weiterlesen.
Echt? Ich würde dir zustimmen, wenn ich das Wort “vielfach” streichen dürfte. Bei mir tritt der Effekt ein, dass ich mir denke: Ja, ja, ja. Das weiß ich nun.
NAJA - damit outet sich der Autor aber eben unweigerlich als unerfahrener Jungspund.
Und das sollte nicht unbedingt so offensichtlich sein. Zielgruppe hin oder her.
Ganz kurz: es ging mir nicht um Kritik an den paar Zeilen. Ich werde niemals den ersten Draft rausgeben. Trotzdem schonmal danke für den Input. Es ging mir darum zu zeigen, dass es vermutlich am besten funktioniert, wenn ich es als Ich-Erzähler schreibe.
Der Anfang ist übrigens das Versprechen an den Leser, dass er all diese Fragen beantwortet bekommt, wenn er weiterliest. Ob das so Einzug findet in die Version, die ich Testlesern gebe ist nicht wahrscheinlich.
Und nur, weil ich meine Figur als - beziehungstechnisch - unerfahren schreibe, bedeutet das nicht, dass der Autor dies ist. Ich schreibe über einen jungen Nazi, also ist der Autor unweigerlich ein Nazi?
@Waba und Ralf: danke für den Input zu meiner eigentlichen Frage. Das ist wirklich hilfreich!
Genau! Ist es denn wirklich so verwirrend? Ich glaube das kann tatsächlich nur geklärt werden, wenn mal ein paar Testleser darüber gehen.
Grundsätzlich höre ich hier schon raus, dass ein Wechsel der Erzählperspektive wohl nicht auf Gegenliebe stoßen würde - ich nehme mich hier selbst nicht raus.
Würde ich so nicht sagen. Es gibt Beispiele, wo das funktioniert, z.B. Twilight Teil 4, wo der komplette Mittelteil des Bandes aus Sicht von Jacob in der ersten Person geschrieben ist.
Auf der anderen Seite fühle ich mich als Leser durchaus in der Lage, die Personen zu unterscheiden, auch wenn sie beide in der 1. Person singular schreiben, wenn die Tagebucheinträge als solche zu erkennen sind.
Ich bin der Meinung, es geht beides, es kommt allein auf Deine Umsetzung an.
Jain Es wirkt aber durchaus so.
Es gibt schreib-technisch meiner Ansicht nach sehr viele und deutlich bessere Möglichkeiten den Prota zu charakterisieren. Besonders in der Einführung.
Du haust einen Block von “tell” raus, den ich im besten Fall als Plan ansehen würde.
“show, don’t tell!” - dürfte sehr viel wirkungsvoller zur Identifikation und Spannung beitragen.
Gerade die Start-Szene als Schlüssel-Szene sollte typische für Deinen Stil sein.
Und das reißt mich nicht vom Hocker. Auf mich wirkt das plump und unausgereift.
Und was den Charakter oder die Einstellung des Protas im Vergleich zum Autor betrifft:
Das, was der Autor nicht denken oder fühlen kann, das kann er auch nicht beschreiben.
Darum ist jede Figur - und die Protas im Besonderen - immer Teil der Person des Autors (psychologisch gesprochen).
Das heißt natürlich nicht, dass Du als Krimiautor Mörder bist oder in Deinem Fall ein Nazi. Aber Du hast Persönlichkeitsanteile, die es Dir erlauben Dich in die Rolle / Figur hineinzuversetzen.