Eine kleine Schreibübung

Anbei eine neue Schreibübung, dieses Mal aus dem Fantasy- und Schreibforum, die ich gerne mit euch teilen möchte. Vorgegeben war, dass man etwas zu einer geheimnisvollen Person schreibt, die neu in eine Bar / ein Restaurant etc. kommt. Ich habe ein ganzes Kapitel für mein „Coloria“ darüber geschrieben, weil die Aufgabe vom Fantasy- und Schreibforum so gut in mein Konzept gepasst hat. Ich bin gespannt auf euer Feedback!

Gruß

Super Girl

Der geheimnisvolle Fremde (Kapitel 24 von „Kurzgeschichten aus Coloria“)

„Ryberei, ryberei, die Gefahr ist vorbei! Endlich wieder Frieden, für die, die wir lieben! Ryberei, ryberei, die Gefahr ist vorbei“, schallte eine fröhliche Melodie durch die Rennbergstube. Die Stube war rappelvoll. Neben vielen Gästen, die gekommen waren, um den jüngsten Sieg zu bejubeln, entdeckte ich auch viele bekannte Gesichter.

Zwischen dem Refrain und der zweiten Strophe von „Ryberei“ entdeckte ich Jakob, meinen treuen Gefährten. Er hüpfte hoch und klopfte mir dabei lachend auf die Schulter. Allerdings roch er nach Zwergenbier und das nicht zu knapp. Für einen Jungen, der zwei Köpfe kleiner war als ich, hatte er ein großes Herz und genau das mochte ich an ihm.

Da eilte eine freudestrahlende Jenny herbei. Sie umarmte mich und rief: „Wir haben es geschafft. Wir haben Lord Fink endgültig besiegt. Kira, was ziehst du für ein Gesicht? Das muss groß gefeiert werden! Oder geht es dir etwa noch schlecht? Soll ich einen Heiler holen?“
„Nicht nötig, es geht schon. Ich glaube nur, dass mir das Zwergenbier nicht bekommt. Es ist einfach zu stark für mich.“
„Ach Kira, wenn du schon den Endkampf mit Lord Fink überlebt hast, dann haut dich das bisschen Bier noch lange nicht um“, wandte Henri lallend ein, der zu uns gewankt kam. Dabei wurde er von Evelyn und meinem Bruder Kurt gestützt.

Kurt lächelte, Evelyn hingegen seufzte: „Dass Jungs immer so viel Alkohol trinken müssen.“
Insgeheim gab ich der Wüstengnomin Recht, denn ich konnte den Alkoholkonsum meiner männlichen Gefährten ebenfalls nicht leiden. Dass ausgerechnet Henri, der sonst immer artig war, beim Zwergenbier so oft nachfassen konnte, war mir ein Rätsel.

Ein glücklicher Zufall ersparte mir, dass ich mich vor Henri rechtfertigen musste. Ein neuer Gast betrat den Schankraum. Den Fremden hatte ich noch nie zuvor gesehen. Er war nicht größer als ein gewöhnlicher Bergzwerg. Doch was ihn so geheimnisvoll machte, war seine Kleidung. Er trug eine ihm viel zu lange Robe, stützte sich auf einen knorrigen Stab und trug einen Hut, der ihm ins Gesicht rutschte. Sofort dachte ich an einen Zauberer aus Regenbogen-Eis. Aber wie war das möglich? Ein Zwerg und ein Zauberer? So etwas hatte es bislang noch nicht gegeben, jedenfalls nicht, dass ich wüsste.

Ich war so sehr in meine Grübeleien über den Neuankömmling vertieft, dass ich gar nicht bemerkte, wie sich der fremdartige Kerl unseren Barhockern näherte.

Henri war es mithilfe von Kurt und Evelyn gelungen, auf einem Barhocker Platz zu nehmen, ohne dabei zu stürzen. Jakob hingegen lachte amüsiert und deutete dabei auf den Fremden.
„Was ist denn das für ein Kerl?“
„Gute Frage, das wüsste ich selber gern.“
Mit diesen Worten wandte ich mich meinem zwergischen Freund zu.
„Bitte, trink kein Zwergenbier mehr, Jakob. Nicht, dass es dir noch so ergeht wie Henri. Der kann kaum noch aufrecht sitzen, geschweige denn ohne Hilfe laufen. Eine Feier zu Ehren unseres Sieges ist zwar schön, aber man muss es nicht gleich übertreiben!“

„Das Mädchen hat Recht. Und vor allem Zwergenbier ist nicht zu unterschätzen!“
Es war das erste Mal, dass ich den Fremden sprechen hörte. Er nahm kurz seinen Hut ab und verbeugte sich vor mir. Doch Jakob konnte nicht an sich halten und lachte noch mehr, dieses Mal über die verwuschelte Frisur des Fremden.
„Man lacht nicht über die Haarpracht anderer Leute“, empörte sich der kleine Kerl.
„Mein Name ist Igradus. Wo bekomme ich hier einen ordentlichen Schluck zu trinken? Und wo finde ich diejenigen, die es gewagt haben, Lord Fink im Kampf zu besiegen?“

Schlagartig verstummte die fröhliche Melodie und alle im Raum erstarrten. Wer den Fremden zuvor noch nicht bemerkt hatte, blickte nun forschend in seine Richtung. Wer war dieser Kerl? Was erlaubte er sich, einfach in unsere Feier hereinzuplatzen? Solche und andere Fragen schossen mir durch den Kopf.

Henri war der Erste, der seine Sprache wiederfand. „Das sind wir. Wir kamen, sahen und besiegten ihn!“ Er ballte seine linke Hand zur Faust und schlug sie in die rechte Handinnenfläche. Daraufhin begann Jakob schallend zu lachen. Blödes Zwergenbier. Es machte aus meinen Freunden hirnlose Idioten. Im nächsten Augenblick schämte ich mich für sie.

„Er sagt die Wahrheit, das sind wir, verehrter Herr“, erwiderte nun Evelyn im höflichsten Tonfall. Sie verbeugte sich ihrerseits vor dem Fremden.
„Ich bitte um Entschuldigung für unsere Jungs. Sie sind normalerweise nicht so aufgedreht“, platzte es aus mir heraus. Aber ich verlor allmählich die Geduld mit Jakob und Henri.

Kurt, der als Einziger in unserer Gruppe keinen Alkohol trinken wollte, machte es genau richtig. Er wusste, was das Zwergenbier mit einem anstellte, wenn man zu viel davon trank. Ich bemerkte, dass mein Bruder von einem Bein aufs andere trippelte. Entweder vor Ungeduld oder weil er auf Toilette musste. Schließlich fragte Kurt den kleinen Kerl: „Sind Sie ein Zwergen-Zauberer? Ich habe mal in einer Legende von diesem Volk gehört. Es soll sehr selten sein.“
„Es ist keine Legende, Junge. Sonst würde keiner dieses Volkes leibhaftig vor dir stehen!“, rief nun der Fremde an meinen Bruder gewandt.
„Was haltet Ihr davon, ehrenwerter Igradus, wenn Sie ein Bier bestellen und sich zu uns gesellen? Dann könnten wir in aller Ruhe besprechen, was Ihnen am Herzen liegt“, versuchte es Evelyn erneut höflich.
„Das ist eine hervorragende Idee. Ich nehme einen mild gehopften Gerstensaft mit einem Hauch von Zitronensaft. Dasselbe bitte dreimal für die netten Mädchen hier!“

Nach dem zweiten Biermischgetränk wurde Igradus fröhlicher. Er erzählte uns einige Anekdoten aus seinem Leben. Selbst Evelyn lockerte sich und Jenny löcherte den Zwergen-Zauberer mit allerhand Fragen. Keiner fand den Fremden unheimlich.

Erst als Igradus erwähnte, dass er ein Mitglied im Rat der Farbenvielfalt war, verstummten alle Gespräche schlagartig. Was hatte das zu bedeuten?

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Hallo Supergirl,
du beschreibst die Feier, die Stimmung in der Gruppe und das Zwergenbier sehr lebendig, ich mag diesen Schreibstil.
Deine „kleine Schreibübung“ scheint eine Verbindung zwischen zwei Passagen voller Action zu sein, ein Zwischenstück, in dem die Leser mal atemholen und die Atmosphäre deiner Welt genießen können. Das wird sicherlich gut in deinen Roman „Coloria“ und in den dortigen großen Spannungsbogen passen. So für sich allein genommen hat diese „Schreibübung“ allerdings wenig Handlung, eigentlich wird erst im letzten Satz Spannung erzeugt, als schlagartig alle Gespräche verstummen. Man merkt, es ist eigentlich keine eigenständige Geschichte, sondern ein Ausschnitt aus etwas Größerem.

Das stimmt, es ist ein Ausschnitt aus einem größeren Projekt. Genauer gesagt ist diese Geschichte das 24. Kapitel von „Kurzgeschichten aus Coloria“ (aktueller Arbeitstitel), dem insgesamt 4. Band von „Coloria“, der in Planung ist. Die meisten Kapitel in diesem 4. Band müssen erst noch geschrieben werden. Und für nach dem 24. Kapitel ist dann noch ein letztes 25. Kapitel geplant. Danach darf „Ende“ darunter geschrieben werden. Aber wie gesagt, die Übung hat vom Forum aus gut in meine Welt gepasst, deswegen habe ich sie gleich „eingearbeitet“. Und der Rest von Band 2 bis 4 ist noch in der Mache.

Gruß

Super Girl

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Gefällt mir so gut, dass ich mich am liebsten gleich dazu gesellen würde. Vielleicht mit einem herb Gehopftem? Lediglich der doppelte Barhocker war ein kleiner Lese-Stolperstein für mich (Aber wer bin ich und was schreib ich, um mich darüber zu mokieren?).