(Betrifft die Bio meiner Protagonistin Juliane Mattheus aus Die zwölf Nächte von Wien)
Eine meiner Testleserinnen meinte, ich solle diesen Text unbedingt in Die zwölf Nächte einarbeiten, von wegen Hintergrundinfos als flash back, aber ich weiß nicht so recht. Wie seht Ihr das?
Die hohe Feuerhalle war erfüllt vom Duft der weißen Lilien.
Juliane stand an dem kleinen Pult.
»Ich werde hier keine eigenen Worte sagen. Ich lasse meinen Vater sprechen.«
Sie räusperte sich und begann vorzulesen.
»… ein kurzer Ausflug in eine zu lange Vergangenheit. Träume. Ich hatte zu viele davon. Mein schönster jedoch wird bald schon in Erfüllung gehen. Die Welt dreht sich, die Sterne wirbeln über mir, Stürme toben, die Wolken fliegen dahin, nur ich bin in der absoluten Ruhe, während das Chaos mich umwütet. Da ist kein Bedenken mehr, keine Frucht, keine Intention, aufzuspringen und zu flüchten. Je mehr der Wahnsinn um sich greift, desto ruhiger werde ich. Ich habe Geschichte immer geliebt. Und ich weiß, weil ich mich viel mit ihr beschäftigt habe, dass sie sich gerne wiederholt, auch wenn wir Menschen meist viel zu beschränkt sind, das zu bemerken. Wir rennen wie die Rehe in der Dämmerung über die Straße, um auf ihr zu sterben, und schlussfolgern nichts aus den Kadavern unserer Artgenossen am Straßenrand. Aber berührt mich das alles noch? Ich versuche, in mich zu gehen. Erforsche mein Innerstes. Es ist wie ein Streichen über diesen Knochenbruch, der vor langer Zeit schon verheilt ist. Da war etwas. Einmal, früher. Es schmerzt nicht mehr. Auch nicht, wenn ich an den Unfall denke. Die Erinnerung an den Schmerz ist ausgelöscht, die Erinnerung an den Hergang ist ausgelöscht. Das Loch im Knochen ist da. Ich kann es fühlen. Aber es berührt mich nicht mehr. Genauso ergeht es mir mit dem Rest der Welt. Er ist da. Ich nehme ihn zur Kenntnis. Ich kann ihn nicht verhindern, ich kann ihn nicht zum Verstummen bringen. Es ist schön, hier in meinem alten, kaum gebrauchten Büro zu sitzen und an die Möglichkeiten zu denken, was gewesen wäre, wenn … Aber es tut nicht weh. Es ist eben so. Das Alter spendet mir Trost und ich freue mich auf den Winter. Und auf den Schlaf und auf die Ruhe. Ich werde es niemandem sagen. Wozu auch. Unnützer Rumor. Dann laufen sie wieder herum wie die Hühner, wenn der Habicht am Himmel auftaucht. Und das bringt mir gar nichts. Von der Aufregung der anderen werde ich auch nicht wieder gesund. Soll der Blitz eben einschlagen, wenn es so weit ist. Grämen im Vorhinein – was für ein Schwachfug. Wie es ist, so ist es und es ist gut.«
Sie schloss das kleine Buch, schob es unter das schlichte Leinenkissen, auf dem der Kopf ihres Vaters ruhte und nickte dem Bestatter zu, der leise den Deckel auflegte. Wenige Herzschläge später war der Sarg in der Tiefe versunken. Die Klappen im Boden schlossen sich behutsam.