Eine bitterböse Weihnachtsgeschichte

Es gibt Ereignisse, deren Unvermeidlichkeit kulturell bedingt, und die immer wiederkehrend sind. Das jährliche familiäre Beisammensein vor den Augen des Herren, ist ein solches.
Und so wiederholte sich auch an jenem Tage, eine Zeremonie, die schon seit Generationen in dieser Zeit zum Pflichtprogramm gehört.
Vater zwängt sich in ein altes Weihnachtsmannkostüm, Mutter bewacht den Gänsebraten, und Oma knutscht abwechselnd mal den Hund und mal den kleinen Lebkuchen-Räuber. Der Tannenbaum starb schon vor zwei Wochen den Heldentod, und wird nun festlich geschmückt zur religiösen Reliquie.

Jemand, oder etwas klopft ans Fenster. Oma, da hat jemand geklopft, meldet Lebkuchen-Susi aufgeregt!
Ich habe nichts gehört! Oma scheint ihr nicht zu glauben.
Doch, doch Oma! Lebkuchen-Susis Augen weiten sich wie im Opiumrausch.
Da, schon wieder!
Wollen wir mal nachgucken?
Oma erhebt sich mühsam, und streckt ihre Hand hilfesuchend dem kleinen Lebkuchen-Monster entgegen. Gerade als sich Susis Hand in Richtung Türklinke hebt, öffnet sich die Tür. Susi erstarrt ehrfurchtsvoll. Ui, da, da…, der…!
M-a-m-a, der Weihnachtsmann ist da! Mutter eilt mit Geschirrtuch und Fleischgabel bewaffnet ins Wohnzimmer. Oi, guck mal Susi, der Weihnachtsmann!
Ho, ho, ich bin der Weihnachtsmann verkündet nun auch der ersehnte Gast (und ich bekomme ein literarisches Schleudertrauma).
Okay, man war sich also einig, was an diesem Ort schon allein ein Ereignis war.

Nun begab es sich aber, dass der Weihnachtsmann seit seinem letzten Lieferservice etwas zugelegt hatte, und seine Dienstkleidung, dem nicht mehr ganz Rechnung trug. Und so geschah, was geschehen musste. Als der gute Mann sich bückte, um den Sack mit den Geschenken zu öffnen, zerriss ein verräterisches Geräusch die erwartungsvolle Stille, und der purpurrote Stoff gab einen Blick frei, auf die himmlischen Rundungen des Weihnachtsmannes.
Susi stand mit offen Mund direkt auf Augenhöhe mit dem Hintern des Weihnachtsmannes. Oi Mamma, stammelte sie noch immer nach Fassung ringend, d-d-der hat dieselbe Unterhose wie der Papa!
Ho, Ho, ho, Susi, dein großes Geschenk, ich hab`s noch im Renntierschlitten. Der Weihnachtsmann verlässt schnell rücklings das Wohnzimmer.
Siehst du, Oma lacht, der Weihnachtsmann hat nicht nur die gleiche Unterhose, sondern auch dasselbe Gedächtnis wie dein Papa!
Susi sieht sich nun genötigt, ihren Vater in Schutz zu nehmen: Papa muss sich das ganze Jahr immer um alles kümmern, aber der Weihnachtsmann kommt nur einmal im Jahr, und mit einem Lächeln fügt Mutter leise hinzu, Papa auch!

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Hallo @NoName ,
der Weihnachtsmann gehört wohl nicht seit Generationen zu unserem Kulturgut. Auch wenn es dieser Tage schon beihnahe vergessen scheint, vor zwei Generationen war das Christkind noch ganz fest im Sattel. Aber weil amerikanische Weihnachtsfilme hier zu Lande rauf und runtergespielt werden, …
Der dicke Mann mit dem roten Strampler, kommt auch einmal im Jahr. Sogar in der Adventszeit. Auch einen „Grinch“ hat er im Schlepptau - Der Nikolaus und Knecht Ruprecht.

Vom Schreibstil her, finde ich ungewöhnlich, dass du die direkte Rede konsequent einstreust, aber keine Anführungszeichen setzt. Inquits kann man so verwenden, muss man aber nicht. Ein Inquit dient dazu den Sprecher zu identifizierung und kann auch weggelassen werden, wen dieser klar ersichtlich ist. Ein Inquit soll keinen Teil der Geschichte erzählen.

Lebkuchen-Susi hüpft schon ganz erwartungsfroh in der Stube umher. „Oma, da hat jemand geklopft!“

So wird der Lesefluss harmonischer und weniger holprig.

Liebe Grüsse
LonesomeWriter

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Hallo NoName,
eine schöne Geschichte, eine ,nette Schlusspointe", allerdings hätte ich bei dem Titel inhaltlich ein bisschen mehr erwartet. Es kommt mir fast so vor, als hättest Du sie nur wegen des Schlusses geschrieben.
Liebe Grüße Wiesokrates

Hallo @NoName, Sarkasmus, bildhafte Szenen und ein Satz, der mir wirklich ins Auge springt:

Ein prägnanter Satz wie dieser ist literarisch von anderem Anspruch, als der doch recht derb-einfache Teil am Schluss. Also ich denke, dass da noch mehr drin ist. Der Ansatz ist sehr vielversprechend. Und ich bin auch der Meinung, dass Anführungszeichen schon sehr hilfreich wären - für den Leser.

Vorweihnachtliche Grüße von Pütchen

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Zugegeben, zum Schluss ist mir die Geschichte etwas entglitten. Da ging Schnelligkeit vor Gründlichkeit.
Hier in diesem Forum bekomme ich aber dankenswerter Weise, meist sachliche weiterfführende Kritiken, jenseits der üblichen Gehässigkeiten die man in anderen Foren findet.
So nutze ich diesen Resonanzkörper auch um Erkenntnisse zu gewinnen.

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@NoName, ja, das mir schon tausendsechshundertachtundneunzigmal passiert. Oder mehr!
Kein Beinbruch, sondern Ansporn!
Bleib dran, hau rein, Weihnachten ist schneller da, als man denkt. :sweat_smile:

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Hallo Noname,

ich weiß nicht, was du damit meinst, dass dir der Schluß entglitten ist. Ich finde den Schluss nett. Ich habe ein ganz anderes Problem mit deinem Text.
Der Titel und der erste Absatz (Einleitung) passen wunderbar zusammen, aber beides passt überhaupt nicht zum Rest des Textes.
Korregiere mich, aber ich finde keine Erklärung dafür, warum dein Text diese Einleitung braucht. Zumindest mir wird der Zusammenhang nicht klar. Aber ansonsten habe ich es gerne gelesen.

Viele Grüße
Michael

Hallo Michael,

Lass mich erst mal Vorausschicken das ich kein „gelernter Autor“, ja nicht einmal ein Studierter bin. Mein Zugang zur Literatur bzw. zum literarischen Schreiben wurde früh aus der Not geboren.
In einer Welt in der es nur schwarz - weiß gab und eine eigene Meinung Erlaubnis brauchte, ermöglichte mir das Schreiben ein Stück Freiheit. Ich begann mit Worten zu spielen, und eroberte mir auf diese Weise ein Stück Freiheit zurück.
Ich glaube aber heute, viele Jahre später, dass ich Worte wie Musik wahr nehmen kann.
Ich erkenne eine Melodie, einen Rythmus, und der ist im zweiten Teil meiner Geschichte ein bisschen holprig.
Was den Titel angeht, habe ich mich schon vorher festgelegt (mir fiel kein besserer ein).

Ich habe die Geschichte mit dem Lebkuchen Fan gelesen.
She mich aber hilflos, ei Urteil darüber zu fällen.

Das ist der Hammer! Ich habe Tränen gelacht. Toll! Gern würde ich mit dir an solchen Weihnachtsgeschichten zusammenarbeiten. Danke für dieses Lesevergnügen!
Beste Grüße von Leah

Danke Leah, leider geht meine Geschichte in der Masse ein bisschen unter.
In Punkto Teamworking fehlt es mir aber an Erfahrung, auch wenn ich mir sicher bin, dasich von deiner Erfahrung profitieren würde.
Aber dein Angebot schmeichelt mir!

@NoName
Also, mich spricht deine Sprache total an! (Für diese meine Formulierung gibt es sicher ein schlaues Wort, das solche bezeichnet. Ich kenn’s aber nicht)
Das Spektrum an Wortkünstlern (oooops, gendern vergessen) hier im Forum ist riesig, und entsprechend interessant die Reaktionen auf Texte. Bin immer noch fasziniert am Lesen.
Sich bestimmten literarischen Zwängen zu verweigern ist für mich eine wohltuende und notwendige Rebellion, auf die ich nicht verzichten will.
Vielleicht weil wir der gleichen Generation angehören, vielleicht weil wir das „damals“ ähnlich empfunden haben, ich weiß es nicht. Jedenfalls bin ich froh, hier über deine Texte gestolpert zu sein.