Schon länger trage ich Ideen für eine Geschichte mit mir herum, aus der vielleicht irgendwann mal sogar ein Roman wird. Ich habe mich dazu entschlossen hier einfach mal die ersten paar Absätze kritischen Augen preiszugeben, um zu sehen, ob der Anfang so funktioniert wie ich es mir vorstelle. Über Rückmeldung würde ich mich also freuen
Hier also der kurze Text:
Im Frühling kann man sie hören. Im Wald unter den großen Eichen hört man das feine Knuspern, das Mahlen ihrer Zähnchen. Mich schauert es bei dem Gedanken an die tausenden winzigen Tiere, die sich über mir im Blätterdach verstecken. Sie werden erst aufhören, wenn jedes einzelne Blatt zerfetzt und jeder einzelne Baum Kahl ist. Solange werden sie weiter nagen, knuspern, schmatzen. Besinnungslos. Gierig. Wissen sie überhaupt, weshalb sie fressen? Warum sie immer fetter werden und immerzu fressen? Ihre Existenz wird sich irgendwann auflösen. Und wenn sie dann nicht mehr auf den Blättern hocken, sondern darüber hinweg fliegen – werden sie sich an ihr altes Leben erinnern? Werden sie sich dafür schämen, wie gierig sie waren? Ihre Gier ist ein Mittel zum Zweck. Ihr Egoismus noch viel mehr. Nur so schaffen sie es immer fetter zu werden.
Drei Wochen ist es her, seit sie verschwunden ist. Sie hat sich aufgelöst, genau wie es die Raupen eines Tages tun werden. Zurückgeblieben ist ein Büchlein mit ihrer Handschrift. Ich trage es bei mir, drücke es an meine Brust als könnten die Raupen darüber herfallen.
Die Bäume hatten gerade angefangen zu blühen. Sie saß auf einer Mauer, über ihr die schneeweißen Blüten, die sich hart gegen den hellblauen Himmel abzeichneten. Ich sehe sie noch immer deutlich vor mir: Lange rote Locken, blasse Haut, dunkelgrünes Kleid und ein silbernes Medaillon um den Hals. In ihrem Schoß lag ein aufgeschlagenes Buch, doch ihre Augen hafteten an einem Punkt irgendwo in der Ferne. Man hätte diese Szene als romantisch, vielleicht sogar kitschig bezeichnen können, hätte nicht einer vor ihr mitten auf die Straße gekotzt. Ich stand auf der anderen Straßenseite, wartete auf den Bus und ahnte nicht, wen ich gerade beobachtete.
zunächst: Ist das ein Auszug? Stehen die Absätze in Zusammenhang? Ist es vielleicht sogar ein Prolog?
Viel gibt es an deinen Text nicht auszusetzen, außer, dass du gleich mit einer Wortwiederholung einsteigst („hören“, „hört“). Ich dachte zunächst irgendwie an etwas Umweltkritisch-Dystopisches. Was mir gut gefällt ist die Atmosphäre des ersten Absatzes und der herrliche Bruch mit dem Kotzen im letzten, der hat mich erwischt.
Abseits dessen gibt es nicht viel zu sagen, dazu sind die Appetithäppchen etwas zu klein. Ein wenig mehr Kontext zur Geschichte wäre gut.
Ah und ich bin mir nicht sicher, ob Raupen Zähne haben, mit denen sie Blattwerk zermahlen. Ist das so? Weiß das jemand? Weils kein Common knowledge ist, würde ich das eventuell in einen Halbsatz einfließen lassen, denn wenn sich der Leser mit derlei Fragen beschäftigt, ist er raus aus Deiner Geschichte.
Die Frage, die sich mir stellt: Wozu sollte ich meine Meinung zu ein paar Absätzen äußern, die mir nicht anzeigen, wohin die Reise geht? Keine Ahnung, was du erzählen willst. Irgendwas mit Raupen, die sich auflösen und einem Notizbuch einer verschwundenen Frau?
Oder möchtest du nur ein paar Sätze vorzeigen, die dir als besonders gelungen erscheinen? Dann erntest du die Halme, bevor die Ähren reif sind.
Gute Anfänge gibt es Millionen, fertige Texte deutlich weniger.
Ja, diesen Absatz kann man durchaus als kitschig bezeichnen. Chick-Lit in Vollendung.
Du schreibst, es sei ein Anfang - von was? Fantasy, Krimi? Da fehlt mir ein wenig mehr Information und Zusammenhang.
Generell würde ich die Absätze eher in der Reihenfolgt 3 - 2- 1 (den evtl. radikal kürzen oder weglassen) anordnen, kommt aber auch ein wenig aufs Genre an.
Meinst Du hier vielleicht “ohne Bewusstsein für etwas” im Sinne von sich etwas bewusst zu sein? Besinnungslos habe ich bisher meist mit bewusstlos/ohnmächtig in Verbindung gebracht.
Dieser Teil des Absatzes kommt mir reichlich verquast vor, eigentlich der ganze Absatz - ist das wichtig, haben die Raupen irgendeine Bedeutung für die Geschichte? Ansonsten weglassen.
Ist schwierig, aus dem bisherigen Text den Zusammenhang zwischen Raupen und Menschen zu sehen. Ich hoffe, es gibt einen.
Die Verkleinerungsform stört mich. Grössenmässig stimmt das schon, aber es ist auch Babysprache. Das kann einem Text die Ernsthaftigkeit nehmen. Vielleicht änderst Du den Text sowieso nach der folgenden Info.
Ich habe diesen Satz gefunden: Sechs Beine schieben gierig das Essen in ihren mit fein gezahnten Chitinplatten ausgestatteten Mund.
Würde ich auch weglassen. Weder Menschen noch Raupen lösen sich selbst auf. Verschwunden reicht.
Das finde ich ebenfalls eine schöne Formulierung. Ich lese das so, dass “sie” tot ist? In dem Fall finde ich, dass der Vergleich eine gewisse Schönheit herstellt, als wenn “sie” nun frei ist, in der frischen Luft herumflattert. Trauer schwingt mit, aber eben auch Schönheit und die Idee an ein Ende, dass weniger Ende und mehr Befreiung ist.
Ganz allgemein, finde ich du hast einen ganz wunderbaren Schreibstil. Träumerisch, bunt, lebhaft, kreativ - ich habe gleich ein Bild vor Augen, etwas weich gezeichnet und mit “Sonnenlicht-Flecken” auf der Linse. Die wenigen Formulierungen, die da ein wenig raus fallen / nicht ganz auf den Punkt sind, würden sicher spätestens beim Lektorat perfektioniert werden.
Bin von deinem Stil tatsächlich so begeistert, dass mir sogar egal wäre, wenn die Geschichte ein Genre ist, dass ich eigentlich nicht lese.
So kam das bei mir auch an, weswegen der kotzende Typ einfach ein herrlich geiler Stilbruch war.
Wäre das ganze Buch so weichgezeichnet, würde ich glaube ich passen, aber die Realness von Erbrochenem zeigt mir, dass die Autorin wusste, was sie tut und das hat mir den Text verkauft.
Danke für eure Rückmeldung! Die Kritik nehme ich gerne an Ich hätte vielleicht wirklich mehr Kontext zur Geschichte geben sollen. Dennoch ist es spannend zu lesen welche Gedanken den Leser*innen so um Kopf herumschwirren
Weil einiges an Feedback hier darauf hinausläuft, dass die Leser nicht wissen, worum es geht, spekuliere ich einfach mal anhand dieses Absatzes kurz drauf los: So komplett ohne Kontext hatte ich das Gefühl, dass es um das Verschwinden eines jungen Mädchens geht, eventuell ein Mordfall. Und der Ich-Erzähler dieser Geschichte vergleicht dieses Verschwinden gerade aus irgendwelchen verqueren Gründen mit den Raupen, die über ihm die Blätter eines Baumes fressen. Ist der Täter eventuelle in Kannibale? Oder geht es möglicherweise eher in Richtung Fantasy/Horror? Ansonsten bleibt jedenfalls der unmittelbare Bezug zunächst unklar. Der kotzende Jemand könnte jedenfalls der mutmaßliche Täter sein - darauf deutet dein Schlusssatz hin.
Das ist das, was ich erstmal komplett ohne Kontext in deinen Abschnitt hinein interpretieren würde - den ich im Übrigen eigentlich recht gelungen finde. Er liest sich sehr stimmungsvoll und - vielleicht auch gerade wegen des fehlenden Kontextes - macht prinzipiell Lust auf mehr. Ich störe mich allerdings etwas daran, von den fressenden Raupen als Egoisten zu sprechen. Raupen sind weder besinnungslos noch gierig, sondern wie jedes Lebewesen fressen sie, um zu überleben. Kann man natürlich als egoistisch bezeichnen, finde ich aber merkwürdig.
Was das Kotzen angeht - count me in. Fand ich auch super. Wobei ich mich frage, ob der Auslöser für den Würgereiz nicht darin liegt, dass sich im vorangegangenen Abschnitt innerhalb von nur zwei unschuldigen Sätzen sechs (!) Over-the-top-Adjektivkonstrukte stapeln: die schneeweißen Blüten, der hellblaue Himmel, die langen rote Locken, die blasse Haut, das dunkelgrüne Kleid und noch ein silbernes Medaillon. Das gehtso leider nicht mal mehr als Ironie durch, maximal als Farce, und darauf ist der Text IMHO nicht ausgelegt.
Na dann hoffe ich mal, dass du es noch rechtzeitig aufs Klo geschafft hast
Mir passiert es häufig, dass ich zu viele Asjektive verwende (allerdings wusste ich bis jetzt nicht, dass ich damit Brechreiz auslösen kann) und genau deshalb ist es gut Rückmeldung zu kriegen
Nimue packt das schon. Es ist nicht schlecht, wenn man schon am Anfang auf Probleme hingewiesen wird. Dann gewöhnt man sich nicht Sachen an, die man später wieder schlecht wegkriegt.