Die Substanz und Poesie der Sophie Scholl

Hallo zusammen,

Immer wenn der Herbst ansteht, muss ich an diesen wundervollen - und zugleich traurigen - Brief von Sophie Scholl denken. Geschrieben hat sie ihn an ihre Freundin Lisa Remppis, am 10. Oktober 1942.
Diese Poesie und die handverlesenen Adjektive …

  • Jetzt freue ich mich wieder an den letzten Strahlen der Sonne, ich staune über die unerhörte Schönheit alles dessen, was nicht der Mensch geschaffen hat. Die roten Dahlien am weißen Gartentor, die hohen ernsten Tannen und die zitternden goldbehangenen Birken mit ihren jetzt leuchtenden Stämmen vor all dem grünen und rostfarbenen Laubwerk, die goldene Sonne, die die leuchtende Farbenkraft eines jeden einzelnen Dinges noch erhöht, anstatt, wie die glühende Sommersonne, alles, was sich neben ihr noch regen will, zu erdrücken. Alles ist so zum Staunen schön, daß ich noch nicht weiß, was für ein Gefühl mein sprachloses Herz dafür entfalten soll, denn für eine reine Freude daran ist es noch nicht reif genug, es staunt und begnügt sich mit entzücktem Staunen. - Ist es nicht auch Rätsels genug, und wenn man den Grund dafür nicht weiß, beinahe furchterregend, daß alles so schön ist? Trotz des Schrecklichen, das geschieht. In meine bloße Freude an allem Schönen hat sich etwas großes Unbekanntes gedrängt, eine Ahnung nämlich von seinem Schöpfer, den die unschuldigen erschaffenen Kreaturen mit ihrer Schönheit preisen.

Deshalb eigentlich kann nur der Mensch häßlich sein, weil er den freien Willen hat, sich von diesem Lobgesang abzusondern. Und jetzt könnte man oftmals meinen, er brächte es fertig, diesen Gesang zu überbrüllen mit Kanonendonner und Flüchen und Lästern. Doch dies ist mir im letzten Frühling aufgegangen, er kann es nicht, und ich will versuchen, mich auf die Seite der Sieger zu schlagen.

Auf das sie niemals vergessen werde.

Renato

7 „Gefällt mir“

Oh ja, als Absolventin des Münchner Sophie-Scholl-Gymnasiums kenne ich diese Zeilen auch sehr gut.
Ein wunderschön geschriebener Text einer über alle Maßen tapferen und couragierten jungen Frau … vier Monate später wurde sie ermordet.

3 „Gefällt mir“