Die Spinne
Nachts, wenn du schläfst, gesellt sie sich zu dir. An Spinnenseide schwebt sie von der Decke hinab. Landet auf der Decke und krabbelt zu deinem Kopf.
Manchmal steigt sie vom Boden das Bettgestell hoch, läuft über das Leintuch zum Kissen, steigt empor zu deinem Gesicht. Klettert die Wange hinauf zu deinem Mund, deiner Nase. Umrundet sie, erkundet sie. Sanft berühren die Spinnenbeine deine zuckenden Augenlider.
Auch das Ohr will ertastet werden. Könnte sich für ein Nest eignen. Oder doch lieber im Haar?
Du schlummerst. Merkst nichts von deinem nächtlichen Besucher. Der verlässt dich, bevor du aufwachst.
Ich wünsche dir eine gute Nacht.
Angenehmer als das Szenario, wäre es mit einer Mücke geschrieben.
Nachts, wenn du schläfst, seilt sich eine Spinne an ihrem seidenen Faden über dir ab. Fast auf der Bettdecke angekommen, erschreckt sie ein leises Schnarchen - und geschwind sucht sie das Weite.
Auch ihre Schwester, die von unten das Bettgestell heraufklettert, schafft es nicht ins Gesicht. Das sanfte Atmen, das Heben und Senken und die kleinen Vibrationen schlagen sie in die Flucht, bevor auch nur ein Spinnenfuß die Haut berührt.
Ist sie so unerschrocken, doch weiterzukrabbeln, wischt nach wenigen Sekunden eine Hand über die kribbelnde Stelle und sie kann von Glück sagen, wenn sie das überlebt …
Was ist mit dem Herrn der Schöpfung? Wird er von den Schwestern gefressen, bevor er das Ohr erreicht, um darauf ein wunderschönes Netz zu errichten?
Gebrüll, das erste was ich höre am Morgen. Ich schrecke panisch hoch.
Frau und Kind brüllen wie am Spieß und rufen lautstark nach mir.
Wenn ich geahnt hätte das es um diese arme kleine Spinne ginge, wäre ich liegen geblieben.
So bekommt das grauenhafte Monster eine Seebestattung im Klo und ich mache mir einen Kaffee.
Ja auch Helden müssen sich ihren Kaffee selber machen.
Sie fürchten mich, denn ich bin der Schrecken ihrer mythischen Erzählungen. Sie nennen mich die Fünfbeinige. Jede kleine Fliege weiß das. Verhedderst du dich erst im Netz der fünfbeinigen Spinne, oh weh, dein Schicksal ist bald besiegelt. Darum pass auf kleine Fliege, meinen acht Augen entgeht nichts. Mein Netz ist so fein, dass du es nicht siehst. Es ist meine Welt und deine Bestimmung. In meiner Zimmerecke bin ich ein Gott, doch unter mir …
Einst sah ich einen von ihnen. Ein gigantisches Monster, so hoch wie ich nur blicken konnte. Ich verließ meine Zimmerecke, um neue Jagdgründe zu erkunden, und wurde selbst zum gejagten. Was tat ich auch in ihrer Welt. Das Monster wer schneller als ich jemals laufen konnte mit meinen acht Beinen. Es zerquetsche mich fast, hob mich vor sein gigantisches Augen, als wolle es mich direkt sezieren. Ich empfand keine Angst, nur einen Reflex zur Flucht. Ich floh, krabbelte über einen warmen rosafarbenen Boden, weichte feinen Härchen aus und wurde dennoch wieder gefangen. Das Monster hielt mich mit der einen Hand und entriss mit der anderen eines meiner Beine, dann noch eins, und noch eins. Es strafte mich für meine Flucht. Mein kleines Leben, hier würde es bald enden.
Doch plötzlich hielt mein Peiniger inne. Das Monster blickte empor zu einem noch viel größeren Monster. Dieses machte etwas mit seinem Finger und sein Mund bewegte sich. Sekunden verrannen und plötzlich war ich frei. Ich rettete mich ein eine Ecke, so schnell mich meine fünf Beine trugen. Ich krabbelte die Wand empor und blieb für den Rest meines Lebens in einer, meiner Zimmerecke.
„Seile und Taue, Hängematten und Fischernetze! Führleinen und Bindfäden! Treten Sie näher, meine Damen und Herren! Hier finden Sie alles, was Sie brauchen, um den Halt nicht zu verlieren, haha!“ Arachnido stand auf seinem vierten Beinpaar, den haarigen Körper gegen den Pfosten seines Markstandes gestützt. Sein zweites und drittes Beinpaar waren lässig vor dem Bauch gekreuzt, obwohl ihm längst nicht so zumute war. Mit den vordersten Beinen beschrieb er auffordernde Gesten in der Luft und schubste die Seile, die von der Querlatte herabhingen, hin und wieder sanft an, weil er hoffte, so den Blick der Kunden auf sie zu lenken.
Die meisten Marktbesucher eilten an seiner Auslage vorbei, ohne sie oder seine Rufe zu beachten. Nur hin und wieder blieb ein zotteliger Troll oder ein Wichtel mit roter, blauer oder grüner Zipfelmütze stehen, befingerte ein Springseil oder einen Führstrick, hob eine Hängematte, die in einem geflochtenen Korb vor dem Markttisch lag, leicht an, um die Verarbeitung zu prüfen.
„Bitte sehr, treten Sie näher!“ Arachnido ließ sich auf seine acht Beine fallen und krabbelte auf einen Wichtel zu, dessen Bart ihm bis zum Gürtel hing. „Eine Hängematte gefällig, vielleicht für Ihre Mußestunden? Unter uns … niemand kann verlangen, dass man rund um die Uhr arbeitet, nicht mal ein Wichtel, nicht wahr?“ Er lachte dröhnend!
Der Wichtel warf ihm einen missbilligenden Blick zu. „Wollen Sie meinen guten Ruf ruinieren?“
„Aber ganz und gar nicht, mein Herr! Bitte untertänigst um Verzeihung. Selbstverständlich können Sie die Hängematte auch zweckentfremden und als Wäschesack nutzen! Oder Ihre Vorräte darin lagern … - Aber bitte, bleiben Sie doch! Wir finden auch noch etwas anderes für Sie …“
Er wandte sich einem anderen Kunden zu. „Und der Herr Troll? Eine Babyschaukel für den Nachwuchs gefällig?“
Der Troll blickte sich über die Schulter, als erwarte er, hinter sich jemanden zu sehen, den Arachnido gemeint haben könnte. Dann schüttelte er leicht den Kopf und beugte sich über eine Auswahl an Führstricken und Halftern.
Arachnido biss die Kieferklauen zusammen. Erst jetzt sah er, dass der Troll schon etliche graue Haare im Fell hatte und sicher keine Babyschaukel mehr brauchen würde. Reiß dich zusammen, schalt er sich. Du vergraulst dir auch noch die letzten Kunden!
„Haben Sie auch Halfter für Greifen?“, fragte der Troll.
„Gewiss, gewiss!“ Arachnido zog mit seinen mittleren Beinpaaren einen schweren Korb unter dem Markttisch hervor. „Bitte sehr, der Herr! Halfter für Einhörner, Goldesel und Greifen! Greifen Sie zu!“
Der Troll beugte sich über den Korb, kramte eine Weile darin herum und zog schließlich ein Halfter hervor. „Wie viel?“
„Ah, ein geflochtenes Greifenhalfter! Eine sehr gute Wahl, mein Herr. Für Sie zum absoluten Sonderpreis von nur zwei Talern!“
Der Troll nestelte eine Geldbörse hervor, reichte Arachnido eine Münze, die dieser mit seinem zweitvorderen, rechten Fuß entgegennahm, und zog mit seinem Halfter davon.
Arachnido blickte auf die Münze. Wenn das in diesem Tempo weiterging, konnte er den Laden dichtmachen. Niemand wollte mehr echte Naturqualität aus Spinnenseide haben. Alle kauften die billigen Kunstfaserprodukte, die letztes Jahr von einem Kobold auf den Markt gebracht worden waren …
Die kleine Spinne war so stolz. Ihr erstes eigenes Netz! Sie hatte es in einen Rosenbusch gesponnen. Wie schön es aussah, wenn es nass vom Tau war und die Wassertröpfchen im Sonnenlicht funkelten!
Eines Tages jedoch war die kleine Spinne ganz traurig.
„Was hast du denn?“, fragte der Grashüpfer, der sich ab und zu auf einer der Rosenblüten ausruhte.
„Ach“, klagte die Kleine, „gestern sind Menschen stehen geblieben und einer hat gesagt: „Ihhh, wie ekelhaft.“
„Mach dir nichts draus. Die Menschen sind nur neidisch.“ Der Grashüpfer strich sich mit einem seiner Vorderbeine über die Fühler. „Kein Mensch kann so hoch hüpfen wie ich. Fliegen können sie auch nicht und schon gar nicht so etwas schönes bauen wie du.“
„Meinst du?‘ Die kleine Spinne wollte das nicht so recht glauben.
„Aber klar. So jetzt muss ich aber los.“ Der Grashüpfer tat einen so großen Sprung, dass die kleine Spinne lachen musste.