Die Hölle lassen wir hinter uns

Mein erster Beitrag in dieser Papyrus-Community. Würde mich sehr freuen über konstruktive Kritik des ersten Kapitels dieses Buches. Ich schreibe gerne über Reiseerlebnisse, gepaart mit (spannender?) Fiktion.

Eines der Tore ins Reich des Teufels ist Kundus.
Soeben hat sich wieder ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt, und mit ihm ist ein ganzer Saal voller Kranken und Leidenden im ‚Hospital des Roten Halbmonds‘ ausgelöscht worden. Der Rote Halbmond ist im Orient eine Hilfsorganisation wie im christlichen Westen das Rote Kreuz.
Schwarze Rauchwolken wirbeln in den Äther. Die Stadt im Nord-Westen Afghanistans, dieses gebeutelten Landes, das so oft schon solche Attentate über sich ergehen lassen musste, ist schwer gezeichnet. Verblendete Taliban sind es, denen in den Koranschulen des vom Bürgerkrieg zerrissenen Territoriums eingebläut wird, die als abtrünnig bezeichneten Schiiten mit Allahs Zorn zu bestrafen. Wieder einmal heulen Krankenwagen und Polizeifahrzeuge durch die Stadt, die gewöhnlich voller Menschen ist. Jetzt haben sich aus Angst vor weiteren Detonationen die Bewohner in ihre kümmerlichen Häuser zurückgezogen. Schwer gepanzerte Militärfahrzeuge patrouillieren durch die Straßen auf der Suche nach Fanatikern, die urplötzlich auftauchen, Terror verbreiten und wieder verschwinden. Der Attentäter selber kommt gewöhnlich ums Leben. Aber das kümmert ihn nicht. Er will ja zu den sieben Jungfrauen, die ihm als Märtyrer versprochen worden sind. Wie leicht doch Menschen zu manipulieren sind. Niemand weiß, ob nicht auch sein Nachbar zu den Kämpfern gehört.
Stundenlang noch hängt der Qualm der Explosionen über der Stadt. Aschenregen wie bei einem Vulkanausbruch schwärzt alles ein. Auch bei diesem Anschlag sind wieder viele Opfer zu beklagen. Besonders perfide ist, dass Hilfsbedürftige in Krankenhäusern ins Visier genommen werden. Mit den Terroranschlägen wollen Taliban die im Lande tätigen Hilfsorganisationen vertreiben. Alles Westliche ist diesen selbst ernannten Gotteskriegern verhasst. Nimmt denn niemand mal Vernunft an, stoppt keiner der ehrwürdigen Stammesfürsten das Grauen?
Wie 2022 mit dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde auch Afghanistan zur Hölle, als Russland 1979 dort einfiel. In der Folge kam es zum Bürgerkrieg, der bis heute anhält. Das veranlasst nun Najib mit seiner Frau Parwin und dem kleinen Sohn Tawab, sein Heimatland 2019 fluchtartig zu verlassen. Eine junge Familie aus dem Dorf Tschordare in der Gegend von Kundus wird eine dieser Flüchtenden sein. Der Clan hat es so beschlossen.
Massenhaft versuchen Afghanen in die Nachbarländer Iran, Tadschikistan und Pakistan zu fliehen. Ein ereignisreicher Weg ist ihnen vorgezeichnet, und sie kennen ihr Kismet nicht.

Afghanistan war stets ein Land, durch das die Handelswege von Kirgistan und Tadschikistan zum Arabischen Meer führten. Auch die sagenhafte Seidenstraße verlief von China entlang des Indus über den Iran in den Westen und überwand dabei Berge, weite Ebenen und reißende Flüsse. In Herat kreuzen sich die Straßen und verhalfen der Stadt zu enormem Reichtum, ließen sie aber auch im Laufe der Zeit wiederholt in Trümmer sinken. Auch sie war oft heiß umkämpft.
Es ist ihr Schicksal; der Wohlstand, die Zerstörung und der Wiederaufbau. Die sunnitischen Taliban hatten sie wieder erobert und die hier überwiegend ansässigen Schiiten vertrieben. Dann kam die Nordallianz und rückeroberten zusammen mit westlichen Truppen die halb zerstörte Stadt. Unverständlich, weshalb sich zwei Glaubensrichtungen einer Religion so hasserfüllt gegenüberstehen. Aber auch im Christentum wurden erbitterte Glaubenskriege geführt. Die Menschheit lernt nicht dazu.
Landeskundige Stämme unternahmen vom frühen Mittelalter bis in die Neuzeit beschwerliche Reisen durch das Land. An steilen Berghängen des Himalaja, entlang oberhalb des Indus und Hunza, verliefen die Handelspfade der Seidenstraße. Wendige und trittsichere Mulis trugen kostbares Handelsgut. Der pakistanische Volksstamm der Hunzacuc bereicherte sich durch Wegezoll. Gelegentlich wurden die Händler ausgeraubt und sogar ermordet.
Im Laufe von Jahrhunderten hinterließen durchziehende Völkerschaften auf den Felsen im Industal Hieroglyphen an die Nachwelt. Zum Teil sind die bis heute nicht entschlüsselt.
Doch die Strapazen werden sich gelohnt haben.
Auf diesem Wege kamen dann Kenntnisse über die Papier-, Seiden- und Porzellanherstellung nach Byzanz und Rom. Es waren akribisch gehütete Herstellungsrezepte, und doch gelang es, die herauszuschmuggeln.
Afghanistan ist, vor allem im hohen Norden, von einer imposanten Bergwelt geprägt. Im Nordosten ist es der Gebirgszug des Hindukusch, der im Nachbarland Pakistan vom noch gewaltigeren Karakorum und dem Himalaja überragt wird. Das Land hat durch einen schmalen Korridor eine gemeinsame Grenze zu China.
Die Stämme des Landes wurden stets von kriegerischen Herrschern geführt. Vor allem die Hunzacuc, auch im heutigen Pakistan ansässig, leben als ein selbstbewusster Volksstamm. Ihre Frauen darf man nur mit ausdrücklicher Genehmigung fotografieren. Das Verbot nicht zu beachten kann erhebliche Probleme bereiten.
Afghanistan ist nie auf Dauer von fremden Völkern unterworfen worden. Weder im Mittelalter vom mongolischen Dschingis Khan, noch in der Neuzeit von Engländern oder Russen. Immer wurden die Invasoren nach langen, blutigen Kämpfen aus dem Gebiet wieder vertrieben. Nur, wenn die Völker ertragreichen Handel miteinander trieben, gab es ein friedliches Auskommen. Jetzt sind es die Taliban, welche den das Land über zwanzig Jahre anwesenden Truppen des Westens eine blamable Niederlage beibrachten. 1989 war es die UDSSR, die aus Afghanistan vertrieben wurde, 2021 die in der NATO organisierten Länder.

Die Bergwelt Afghanistans ist wild zerklüftet. Die hier siedelnden Stämme haben es verstanden, in tiefen Höhlen und Gängen, die wie Fuchsbaue verzweigt sind, zu überleben. Korridore führen zu Kesseln und Höhlungen im Gebirge, in denen ein längerfristiges Durchhalten möglich ist. Für angreifende Feinde war es daher unmöglich, die ortskundigen Hunza- und Usbekenstämme zu unterwerfen. Andererseits sind die sich untereinander auch nicht immer grün. Das Mittelalter ist längst nicht überwunden.
Der angebliche Hauptgrund für die Interventionen ist die Unterbindung von Mohnanbau. Die Pflanze ist das Ausgangsprodukt für die Herstellung von Heroin und eine ertragreiche Einnahmequelle der Taliban.
Als die westliche Allianz nach langen Kämpfen dann meinte, die Aufständischen besiegt zu haben und sich zurückzuziehen begannen, erstarkten die Gotteskrieger wieder und brachten durch Selbstmordattentäter erneut vielfachen Tod, auch unter die eigene Bevölkerung. Ihr Ziel ist es, einen „Gottesstaat“ zu errichten. Die Gesetzgebung soll die muslimische Scharia sein. Ge -und -Verbote sind mittelalterlich, nicht nur nach westlicher Auffassung. Der ursprüngliche Koran hat eine andere Ausdeutung. Leider wird der Glaube durch orthodox denkende Mullahs fatal praktiziert.

Unersetzliche Kulturdenkmäler, selbst Moscheen und aus den Bergen herausgearbeitete Statuen des Buddhismus wurden unwiederbringlich zerstört. Mit dem Grundgedanken des Islam ist das nicht vereinbar.
Fortschrittlich denkende Bevölkerungsschichten wehren sich gegen die Taliban und deren Diktate. Das ist einer der Gründe des seit mehr als zwanzig Jahren geführten blutigen Bürgerkriegs.
Es ist ein Glaubenskrieg mit materiellen Hintergründen. Nicht anders, als das Christentum es gleichermaßen durchlebte. Katholiken, die ein Jahrtausend den wahren Glauben für sich reklamierten und gegen die Reformen des Martin Luther mit seinem Protestantismus mit Krieg und Vernichtung vorgingen. So ist es heute ebenso unter Schiiten und Sunniten im Islam.

Das Land ist jetzt in weiten Teilen verwüstet und zerstört. Die Taliban sind zurück und beabsichtigen, ihr Gottesreich zu errichten, ein Gebilde mit der Gesetzgebung der Scharia. Und damit wollen sich fortschrittlich denkende Afghanen nicht unterdrücken lassen. Deshalb der Exodus in andere Länder.

Najib, seine Frau Parwin und der kleine Tawab werden von ihrem Clan gedrängt, das Land zu verlassen, um in der Fremde ein besseres Leben zu beginnen. Heimlich, um keinen Verdacht zu erregen, treffen sie ihre Vorbereitungen zur Flucht aus der Hölle.

Zum Verständnis dessen, weshalb so viele Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten zu entkommen suchen, sollte dieses Vorwort beitragen. Die zunehmend auch in der „Dritten Welt“ verfügbaren Kenntnisse über bessere Lebensumstände, nicht nur was die Versorgung mit Lebensmitteln betrifft, veranlasst -zigtausende, die mörderischen Strapazen einer Flucht über Tausende Kilometer durch glühende Wüsten und die Wellenberge des Mittelmeeres auf sich zu nehmen. Sie sind unwissend, dass der Fortgang aus ihrem Heimatland oft mit dem Tod endet.

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Ist das hier das erste Kapitel oder das Vorwort? Oben außerhalb des eigentlichen Texts schreibst du das eine, unten im Text das andere, und vom Lesen her klingt es so, als hättest du beides vermischt. Du beschreibst sehr ausführlich die historischen, geographischen und sozialen Umstände, aber an zwei Stellen kommst du auf die späteren Protagonisten (?) zu sprechen.

Ich finde die Stelle schwierig. Zuerst einmal geht der Satz „Eine junge Familie […]“ wieder von den bereits eingeführten Personen weg (Vorschlag: „Diese junge Familie […]“, dann ist der Bezug zum Satz vorher hergestellt). Dann finde ich es problematisch, dass du die Flucht der Familie 2019 im Präsens beschreibst, wo du im selben Absatz schon über 2022 geschrieben hast, und da mit implizierter Vergangenheit. Und mein größtes Problem mit der Einführung der Familie an dieser Stelle ist, dass ich jetzt erwarte, dass es nun auch um sie geht. Doch egal, wie weit ich weiterlese, es geht erst einmal wieder zurück in die Umstandsbeschreibung. Ähnliches gilt dann für die zweite Erwähnung der Familie im vorletzten Absatz, wo danach wieder nichts losgeht, sondern stattdessen noch ein Absatz über allgemeine Thematik kommt.

Generell finde ich auch diesen gewaltigen historisch-geographisch-politisch-sozial-religiösen Abriss schwer zu lesen, weil ich die Struktur nicht ganz durchblicke. In welcher Reihenfolge geht es durch die Geschichte? Warum wird Herat so besonders hervorgehoben? Sind die Hieroglyphen im Industal wichtig? Könnte man die vielen Informationsbrocken besser strukturieren, sodass man nicht verwirrt fragt „Wie hängen Glaubenskriege mit beschwerlichen Reisen zusammen?“, „Von wo aus kamen die Geheimnisse der Porzellanherstellung nach Westen und wie komt man von da zur Topographie von Afghanistan?“ oder „Welche Interventionen sollten angeblich den Mohnanbau unterbinden?“

Zwei weitere Anmerkungen: Es heißt nicht

, sondern „eroberten zurück“. Und vielleicht im Singular für die Kongruenz zur „westlichen Allianz“, dem Subjekt, das auch nur im Singular steht.
Und der Satz

passt sprachlich nicht ganz rein, ist mehr Umgangssprache im sonst eher fachlichen Text.

Der Einstieg (ungefähr der erste Absatz) war dafür sehr gut und hat mich reingezogen, bevor dann die oben beschriebenen Probleme auftauchten. Da müsstest du noch einmal nachschleifen (und vielleicht kürzen), sonst, so fürchte ich, erfüllt dieses Vorwort seinen im letzten Absatz beschriebenen Zweck nicht. Ansonsten hast du dir ein sehr schwieriges Thema (soll heißen: für mich wäre es sehr schwer, so etwas zu schreiben) für das Buch ausgesucht, zu dem es sehr viel zu erzählen gibt.
Bleib dran!

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Es ist sehr wohl ein Vorwort als auch das 1. Kapitel. Ich wollte damit in das Thema einführen, wie auch mit dem 2. Kapitel, den >Gotteskriegern<. Die Protagonisten, also Najib, Parwin und Tawab, die übrigens real, aber unter einem anderen Namen die Flucht unternahmen, treten erst ab dem 4. Kapitel in Erscheinung. Ich habe die Familie im 1. Kapitel nur nebenbei erwähnt, um darauf hinzuleiten, dass es auch nicht nur Beschreibungen, sondern echte Handlung mit Protagonisten gibt. Vielleicht sind diese Erklärungen für manchen langweilig und uninteressant, vielleicht meint auch der Eine oder andere, es sei unwesentlich. (Ich gendere hier nicht). Und vielleicht ist auch die ganze Fluchtgeschichte, die sich über Afghanistan, den Iran, die Türkei und die Balkanländer hinzieht, für manche (nur) eine Reisebeschreibung. Aber sie ist mit (fiktiven)Erlebnissen gespickt. Und es ist in der Tat so, dass die realen Protagonisten mir ihre Geschichte nicht erzählen wollten, aus welchen Gründen auch immer. Deshalb habe ich mir die fiktive Handlung ausgedacht, so wie es sich abgespielt haben könnte.
Vielleicht gibt die Inhaltsangabe einen Eindruck über den Handlungsablauf:

     7      Prolog 
   13      Die Gotteskrieger
   28      Die Flucht, das letzte Mittel zum Überleben
   37      Zur Flucht bereit
   95      Im Iran oder Persien
  147     Durch die Türkei
  190     Griechenland
  211     Mazedonien
  227     Montenegro, das Land der Skipetaren
 263      Bosnien-Herzegowina​
 292      Kroatien
 307      Slowenien
 328      Deutschland, wir kommen.
 355      Mamai

Ich würde mich aber sehr über weitere konstruktive Kritik freuen. Bin schließlich kein studierter Literat. Nur einer, der die Lust am Schreiben entdeckt und in den vergangenen Jahren mehrere Bücher veröffentlicht hat. Was aber keinesfalls heißen soll, dass ich mich als Profi fühle. Ganz im Gegenteil.

Hallo Zack36,

an sich ist der Text ja gut geschrieben. Du nennst es oben Reisebericht mit spannender Fiktion. Dem kann ich nicht so ganz folgen.
Einmal erklärst du zwar alles schön, aber nach dem zweiten Absatz fühle ich mich mit Informationen überhäuft, die ich nicht mehr verarbeiten kann.
Vom Stil her erinnert es an eine Reportage in einer Zeitschrift. Inhaltlich an Wissensvermittlung. Von Fiktion ist noch nicht viel zu spüren. Reisebericht stelle ich mir auch anders vor.
Da stelle ich infrage, wohin das laufen soll.

Najib, seine Frau Parwin und der kleine Tawab werden von ihrem Clan gedrängt, das Land zu verlassen, um in der Fremde ein besseres Leben zu beginnen.

Hier geht wohl der fiktionale Teil los.

Meine Überlegung: Warum machst du nicht gleich eine Fiktion daraus und lässt die relevanten Informationen nebenbei einfließen? Beginnst also mit einer Szene, in der Najib und seine Familie in einer bedrohlichen Situation auf ihrer Flucht sind?
Der Gedanke dahinter: an wen richtet sich der Text?

Andere Überlegung: Den fiktionalen Teil ändern. Du nennst es Reisebericht, also hast du wohl sehr wahrscheinlich selbst Reisen unternommen.
Warum erzählst du nicht davon, und deinen Erfahrungen zu der Zeit? Von den Menschen, von Ereignissen, wie dem Anschlag? Lässt es die Leser miterleben?

Oder ist das Problem, dass sich deine Erlebnisse nicht mit dem decken, worüber du gern schreiben willst? Dann würde ich wieder zur Fiktion gehen und den realistischen Anstrich sein lassen.

Das kannst nur du entscheiden, ich sage dir das nur aus Perspektive einer Leserin. Für mich wäre bei der Wahl, etwas zu lesen, wichtig, dass ich weiß WAS ich lese: Reisebericht, Hintergrundinformationen oder fiktive Geschichte (ganz gleich, ob es auf Tatsachen beruht oder nicht; das könnte man ja anfangs erwähnen, dass man die realen Erlebnisse einer Familie in Romanform nacherzählt) oder es ist mehr ein realistischer Text, in dem du nur die Namen änderst, aber nichts dazuspinnst?

Kurz gesagt, ist das, was im Moment vorliegt, nicht einzuordnen und findet somit kaum die richtige Lesergruppe.
Für einen fiktionalen Text ist das hier so ein richtiger fetter Infodump. Eine gewisse Allgemeinebildung, die die meisten haben, wird beinhalten, dass sie um den Kern dieser Konflikte, von terroristischen Aktionen und Co. wissen, demzufolge braucht man die ganzen Details nicht, sondern lediglich eine grobe Orientierung, um den Ort der Handlung, der Hauptpersonen und dann eine geschickte Erzählung wie bspw. deine Hauptfigur den letzten Anschlag miterlebt etc.

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Hallo Gwendy, hallo CO2,
erst mal Danke für Eure umfangreiche Einschätzung.
Ich habe das ja auch für mich schon in Zweifel gezogen: Interessiert es, die Hintergründe zu der Flucht zu wissen. Wie sieht es in dem Land aus, wie ticken die sogen. >Gotteskrieger?< Vor diesem Hintergrund habe ich die Geschichte geschrieben, und daher zieht sie den Leser nicht mit einem Knalleffekt in die Handlung hinein. Das mag ein Fehler und für Leser, die absolut nur Aktion lesen wollen, uninteressant sein. Der Roman ist auch kein Thriller, sondern eben nur eine fiktive Reiseerzählung durch einige Länder, die dann mit (ebenso fiktiven) prekären Situationen und Erlebnissen interessanter gemacht wird. Aber so oder ähnlich könnten die drei Hauptprotagonisten es auf ihrer realen Flucht durchaus erlebt haben.
Das war mein Leitbild, als ich diese realen Protagonisten kennengelernt hatte. Afghanistan kenne ich selber nicht, wohl aber Pakistan, und da sind durchaus Gemeinsamkeiten oder Zusammenhänge vorhanden.
Die Anregungen sind mir sehr willkommen. Ich neige nun mal dazu, zunächst immer die Verhältnisse oder Eigenheiten eines Landes darzustellen, ohne auf Spannung zu setzen, welche den Leser in die Handlung hineinzieht. So überdenke ich jetzt konkret, einen Roman über Pakistan zu überarbeiten und einen in Arbeit befindlichen mit Erlebnissen in der Mongolei und Russland. Da kommt auch Reales und Fiktion zusammen, aber wohl auch mit zu langer Einführung. Das interessiert dann wohl mehr mich in der Erinnerung als potentielle Leser. Die spannenderen Ereignisse kommen immer erst nach einigen Kapiteln. Und dann sind wohl schon manche Interessenten abgesprungen, obwohl die Thematik durchaus interessant ist. Vielleicht ist es auch der Klappentext, der eindrücklicher formuliert werden müsste.
Aber wie wärs mit einem Abschnitt aus dem Kapitel Türkei, um einen gewissen Eindruck von >Die Hölle lassen wir hinter uns< zu erhalten? Ähnliche, aber auch ereignisreichere Episoden habe ich kontinuierlich eingebaut, und ich meine, mit Parwin und ihrer wiederholten Erwähnung eine Figur zu haben, die Interesse aufbaut, zu erfahren, wie es mit ihrem Gesundheitszustand weitergeht. Die kleine Familie hat nämlich allerhand zu erleiden. Aber der Leser erfährt es natürlich erst bei fortlaufender Lektüre und am Ende des Buches. Daher meine ich auch, dass es ein Roman und keine Reiseerzählung ist.
Und bitte: Kritik ist ausdrücklich erwünscht. Ich als Autodidakt kann mich nur verbessern.

Durch die Türkei
Die Grenzsperrung ist ein gefundenes Fressen für einige Einwohner aus Urmai. Sie kennen sich aus im Morastgebiet an der Grenze und betätigen sich als Schleuser. Zu ihrem kargen Verdienst als Handwerker oder Tagelöhnern verdienen sie sich von illegalen Grenzgängern ein Zubrot hinzu. Manche Menschen hier sind arme Gelegenheitsjobber, ohne geregelten Broterwerb. Denen ergeht es nicht anders als vielen Leuten in unserer afghanischen Heimat.
Von Täbris über den Urmaisee bis vor die türkische Grenze war die Flucht ohne Probleme. Die Schwierigkeiten mit den Toyotas, die auch hier das vorwiegende Verkehrsmittel sind, werden schon kaum noch wahrgenommen. Den lang gestreckten See überwand an der schmalsten Stelle eine Autofähre, bei der man jedoch nicht sicher sein konnte, ob sie das andere Ufer auch unbeschadet erreichen würde. Der Grenzübergang nach Yüksekowa war aber der am besten geeignete Punkt, um auf kürzestem Weg an das Mittelmeer zu kommen, nach Osmaniye, wie geplant war. „Kürzester Weg“ ist allerdings so ein irreführender Ausdruck. Es sind 1100 km, wenn man nicht die mautpflichtige Straße benutzen will.
Aber erst mal stehen wir an der geschlossenen Grenzschranke und schauen konsterniert nach drüben. Weshalb hat uns in Täbris niemand gesagt, dass dieser Übergang gesperrt ist. Dann hätten wir es bei Doğubeyazı versucht, viel weiter im Norden. Vielleicht wäre der ja noch geöffnet gewesen, denn er liegt nicht auf der Hauptroute. Jetzt stehen wir hier und wissen nicht ein noch aus. Also doch zurück in die Hölle?
Da tippt uns jemand auf die Schulter, der wie aus dem Nichts aufgetaucht ist. »Sieht aus, als wärt ihr Flüchtlinge und wollt hinüber?«. Mit seinem schwer verständlichen Sprachgemisch stand ein vierschrötiger Mann vor uns.
»Ja schon, aber wie, wenn die Grenze dicht ist?«
»Ich weiß einen Weg«.
Der Mann machte nicht gerade einen Vertrauen erweckenden Eindruck. Sieht aus wie Poseidon, soeben dem Meer entstiegen. Hat ein Gesicht, das mehr einem Aal als einem Menschen ähnelt. Ist er auch so aalglatt, wie es sein Aussehen vermuten lässt?
»Ihr dürft mir vertrauen. Bin Kurde, der hier im Grenzgebiet lebt. Weiß, wie es ist, vertrieben und nicht anerkannt zu sein. Bin in einer Organisation, die sich gegen die Unterdrückung durch die Türken zur Wehr setzt. Könnte euch nach drüben bringen, wo ihr von einem vertrauenswürdigen Mitglied, auch Kurde, weitergebracht würdet. Wohin wollt ihr denn?«
Ich nannte ihm den für mich schwer auszusprechenden Ort Osmaniye. »Würde ich nicht zu raten,« meint er, »ist die Hauptroute für alle, die aus Afghanistan, dem Libanon und Syrien kommen. Versucht lieber, über Ankara und Istanbul nach Europa zu trampen. Ist zwar `nen bisschen weiter, aber sicherer und nicht so überlaufen.«
Können wir dem glauben? Aber so oder so ist die Lage für uns prekär. Tawab steht dabei und versteht natürlich kein Wort, aber er schaut den Mann an, ohne sich die Hand vor die Augen zu legen. Das gibt für uns den Ausschlag. Er hat schon einmal einen Menschen richtig eingeschätzt. Besitzt er das Zweite Gesicht?
»Du meinst also über Ankara und Istanbul. Und wie kommen wir dahin?«
»Sagte ich doch. Ich bring euch rüber, dann treffen wir einen Kumpel, und der fährt euch erst mal in eine versteckt liegende Hütte am Vansee. Da könnt ihr zwei-drei Tage bleiben, werden euch keine Grenzstreifen finden da. Und dann kommt ihr leicht weiter. Das meiste mit Eisenbahn. OK?«
Das Eis ist gebrochen. Was sollten wir auch anderes tun. Wir verlassen uns auf die Gabe von Tawab, weniger darauf, dass wir uns in dem Mann nicht täuschen. Das wird sich herausstellen.

Wir haben zu zahlen, aber das war eingeplant. Dafür kam dieser kundige Iraner mit und führte uns in einem weitem Bogen am türkischen Grenzort Esendere vorbei. Es waren Kilometer durch fast undurchdringlich wachsenden Wald und nasse Sümpfe. Jetzt sahen wir auch etwa so aus wie Aale, die sich am Boden von Gewässern winden. Wir kämpfen uns durch sumpfiges Gelände.
Völlig durchnässt und entkräftet gelangten wir nach Stunden zur Hauptstraße D 400, wo unser Mann uns anderen Schleppern aus der Türkei übergab. Sie arbeiten Hand in Hand, diese kurdisch-stämmige Türken, die für ein autonomes Kurdistan eintreten. Wie der Begleiter gesagt hatte, brachten seine Freunde uns in einem Auto an den Vansee, wo eine verborgene Hütte für zwei oder drei Tage unser Unterschlupf sein wird.
Was veranlasst diese Patrioten, uns für so wenig Geld eine so weite Strecke mit dem Auto zu fahren? Von Bilanbasan bis Van am Vansee sind es zweihundert Kilometer, durch zunächst gebirgiges, später flacher werdendes Gebiet.
Wir finden eine in dichtem Buschwerk versteckte Unterkunft, nur zu erreichen auf geheimen, verschlungenen Pfaden. Sie dient manchmal auch Kurden als Versteck und Zuflucht, welche ihr Recht auf Eigenstaatlichkeit erkämpfen wollen. Wenn sie an Anschlägen beteiligt waren, flüchten sie sich auch hierher. Die Schlepper, die uns nach hier brachten, erzählten uns das. Sie sprechen gebrochen Farsi und kennen sich hier aus.
Ich bin nicht imstande, zu verstehen, kann es auch gedanklich nicht unterstützen, dass blutige Attentate verübt werden. Weil dabei auch immer wieder unbeteiligte Menschen den Tod finden. Doch darüber verloren wir kein Wort. Wir brauchen die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft dieser Patrioten und wollen uns keinesfalls ihre Gefälligkeit verleiden. Andererseits haben wir Verständnis, wenn ein Volk aus seiner Unterdrückung herauskommen will. Wir, die wir vor den Taliban flüchten, erlebten es am eigenen Leib, wie schwer es Menschen fällt, ohne Selbstbestimmungsrechte zu leben.
Schon wieder erfahren wir von Unfreiheit, Unterjochung, Feindschaft und Mord. Nimmt das denn nie ein Ende, gibt es keine Welt mit Friede und Versöhnung, nur Hass und Kriege?

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Natürlich kannst du dein Buch aufbauen, wie du möchtest. Ich habe nur versucht, dir das im Sinne der potenziellen Leserschaft ein wenig zu spiegeln.
Es gibt tausende von Mitteln, womit du die Hintergrundinformationen innerhalb einer spannenden Geschichte verweben kannst. Wichtig bei einer fiktiven Geschichte, ist die Identifikation mit einer Hauptfigur, bei dir also der Vater der Familie. Der muss dann halt an den Anfang oder du verlierst Interessenten. Sicher wird es auch Leute geben, die das so lesen wollen, ich will da nicht behaupten, es würde keiner. Kommt eben darauf an, was und wen du erreichen möchtest.

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Hallo @Zack36,

ich fürchte, die Kombination wird so nicht funktionieren. Die Leser, die an einer dramatischen Fiktion interessiert sind, werden nach der geballten Ladung Infodump in den ersten Kapiteln abgeschreckt werden, die Leser die an Reiseberichten interessiert sind, werden an der merkwürdig distanzierten Erzählweise des Protagonisten Anstoß nehmen und die an Sachberichten Interessierten an den fiktionalen Teilen. Noch dazu wechseln Sachinformationen und fiktive Bestandteile für den Leser unvorhersehbar. Er hat also nicht mal die Chance, die Teile, die ihn nicht interessieren zu überschlagen.
Wie könnte eine Lösung aussehen? Variante A ist die oben schon von @Gwendy genannte: Du schreibst eine Fiktion und jubelst dem Leser die Informationen en passant unter die Weste.
Variante B: Du streust immer mal wieder ein Kapitel „Zum Hintergrund:“ ein, wo du diese Sachinformationen, geschichtliche Hintergründe, etc. lieferst. Interessierte können das lesen, wen nur die fiktive Fluchtgeschichte interessiert, kann es überspringen.

Zu dem anderen oben angesprochenen Punkt: die merkwürdig distanzierte Erzählweise:
Du hast die Ich-Perspektive gewählt, bist also quasi im Kopf deines Protagonisten. Lass uns an seinen Sinneseindrücken, seinen Gedanken und Gefühlen teilhaben. Ist es dort kalt? Laut? Stinkt es ggf.? Ist er müde? Welche Gedanken gehen ihm im Kopf herum? Er hat nur ein paar Habseligkeiten, kann seine Familie kaum beschützen und jede Menge Unbekanntes wartet auf sie. Aber er scheint seltsam gelassen und analysiert Kulturgeschichte, politische Umwälzungen, etc.
In deinem zweiten Beispiel Durch die Türkei wird das auch wieder deutlich. Der erste Absatz ist wiederum Infodump.

„Flucht ohne Probleme“ - das klingt nach einer langweiligen Acht-Stunden-Fahrt mit Flixbus. Gib uns Details! Ich will wissen, wie er Kilometer um Kilometer frisst, ständig unter Anspannung, dass hinter der nächsten Kurve ein Straßenposten sein könnte, sein Misstrauen gegenüber dem Auto, das ihn gerade überholt und wie er kaum noch die Augen offen halten kann. Der Sohn quengelt vom Rücksitz, die Frau murmelt ohne Unterlass Gebete, er würde am liebsten deswegen losschreien, aber muss sich beherrschen. Oder die Schwierigkeiten mit den Toyotas: Der Motor versagt irgendwo im Nirgendwo, sie verpassen vielleicht die Fähre. Die Frau sieht sich ständig hektisch um, wie ein Reh, das irgendwas gewittert hat und versichert gleichzeitig dem Sohn, dass alles gut ist.
Das ist jetzt in dieser Häufigkeit natürlich auch übertrieben, aber Übertreibungen machen anschaulich. Lass uns einen Unterschied sehen zwischen dem analytischen Erzähler und dem Mensch, in dessen Kopf du dich gerade befindest.

Just my 2 cents.

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Ich schließe mich da @anon37238882 vollständig an. Als Variante C für die Hintergrundinformationen würde ich vielleicht noch anschließen, die tatsächlich in einem Vorwort zu verpacken, das würde mich persönlich als Leser nicht großartig stören. Allerdings dürfen es dann wirklich nur die allerwichtigsten Informationen sein, und keine Handlung oder Ähnliches hineingemischt, das verwirrt und sorgt dafür, dass man das Vorwort nicht überspringen kann, wenn man wollte. Was später dann abgesehen von diesen Brocken noch gebraucht wird, kann man geschickter in die Geschichte selbst einweben.

Zum Kapitel Durch die Türkei: Abgesehen von der erwähnten sehr sachlichen Beschreibung ist mir sehr stark aufgefallen, dass du zwischen zwei Zeitformen springst.

Der erste Satz ist Imperfekt, der zweite Präsens. Da musst du dich bitte entscheiden, ob du alles in der Vergangenheit oder der Gegenwart schreibst.

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Danke für Eure Infos und Hinweise. Bin schon dabei, es bestmöglich umzusetzen. Wird allerdings noch etwas dauern. Ja, und Imperfekt vers. Perfekt. Da komme ich tatsächlich oft mal durcheinander.
Ihr habt euch wirklich viel Mühe mit der Analyse gemacht. Das hilft mir. Danke nochmals.

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