Mein erster Beitrag in dieser Papyrus-Community. Würde mich sehr freuen über konstruktive Kritik des ersten Kapitels dieses Buches. Ich schreibe gerne über Reiseerlebnisse, gepaart mit (spannender?) Fiktion.
Eines der Tore ins Reich des Teufels ist Kundus.
Soeben hat sich wieder ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt, und mit ihm ist ein ganzer Saal voller Kranken und Leidenden im ‚Hospital des Roten Halbmonds‘ ausgelöscht worden. Der Rote Halbmond ist im Orient eine Hilfsorganisation wie im christlichen Westen das Rote Kreuz.
Schwarze Rauchwolken wirbeln in den Äther. Die Stadt im Nord-Westen Afghanistans, dieses gebeutelten Landes, das so oft schon solche Attentate über sich ergehen lassen musste, ist schwer gezeichnet. Verblendete Taliban sind es, denen in den Koranschulen des vom Bürgerkrieg zerrissenen Territoriums eingebläut wird, die als abtrünnig bezeichneten Schiiten mit Allahs Zorn zu bestrafen. Wieder einmal heulen Krankenwagen und Polizeifahrzeuge durch die Stadt, die gewöhnlich voller Menschen ist. Jetzt haben sich aus Angst vor weiteren Detonationen die Bewohner in ihre kümmerlichen Häuser zurückgezogen. Schwer gepanzerte Militärfahrzeuge patrouillieren durch die Straßen auf der Suche nach Fanatikern, die urplötzlich auftauchen, Terror verbreiten und wieder verschwinden. Der Attentäter selber kommt gewöhnlich ums Leben. Aber das kümmert ihn nicht. Er will ja zu den sieben Jungfrauen, die ihm als Märtyrer versprochen worden sind. Wie leicht doch Menschen zu manipulieren sind. Niemand weiß, ob nicht auch sein Nachbar zu den Kämpfern gehört.
Stundenlang noch hängt der Qualm der Explosionen über der Stadt. Aschenregen wie bei einem Vulkanausbruch schwärzt alles ein. Auch bei diesem Anschlag sind wieder viele Opfer zu beklagen. Besonders perfide ist, dass Hilfsbedürftige in Krankenhäusern ins Visier genommen werden. Mit den Terroranschlägen wollen Taliban die im Lande tätigen Hilfsorganisationen vertreiben. Alles Westliche ist diesen selbst ernannten Gotteskriegern verhasst. Nimmt denn niemand mal Vernunft an, stoppt keiner der ehrwürdigen Stammesfürsten das Grauen?
Wie 2022 mit dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde auch Afghanistan zur Hölle, als Russland 1979 dort einfiel. In der Folge kam es zum Bürgerkrieg, der bis heute anhält. Das veranlasst nun Najib mit seiner Frau Parwin und dem kleinen Sohn Tawab, sein Heimatland 2019 fluchtartig zu verlassen. Eine junge Familie aus dem Dorf Tschordare in der Gegend von Kundus wird eine dieser Flüchtenden sein. Der Clan hat es so beschlossen.
Massenhaft versuchen Afghanen in die Nachbarländer Iran, Tadschikistan und Pakistan zu fliehen. Ein ereignisreicher Weg ist ihnen vorgezeichnet, und sie kennen ihr Kismet nicht.
Afghanistan war stets ein Land, durch das die Handelswege von Kirgistan und Tadschikistan zum Arabischen Meer führten. Auch die sagenhafte Seidenstraße verlief von China entlang des Indus über den Iran in den Westen und überwand dabei Berge, weite Ebenen und reißende Flüsse. In Herat kreuzen sich die Straßen und verhalfen der Stadt zu enormem Reichtum, ließen sie aber auch im Laufe der Zeit wiederholt in Trümmer sinken. Auch sie war oft heiß umkämpft.
Es ist ihr Schicksal; der Wohlstand, die Zerstörung und der Wiederaufbau. Die sunnitischen Taliban hatten sie wieder erobert und die hier überwiegend ansässigen Schiiten vertrieben. Dann kam die Nordallianz und rückeroberten zusammen mit westlichen Truppen die halb zerstörte Stadt. Unverständlich, weshalb sich zwei Glaubensrichtungen einer Religion so hasserfüllt gegenüberstehen. Aber auch im Christentum wurden erbitterte Glaubenskriege geführt. Die Menschheit lernt nicht dazu.
Landeskundige Stämme unternahmen vom frühen Mittelalter bis in die Neuzeit beschwerliche Reisen durch das Land. An steilen Berghängen des Himalaja, entlang oberhalb des Indus und Hunza, verliefen die Handelspfade der Seidenstraße. Wendige und trittsichere Mulis trugen kostbares Handelsgut. Der pakistanische Volksstamm der Hunzacuc bereicherte sich durch Wegezoll. Gelegentlich wurden die Händler ausgeraubt und sogar ermordet.
Im Laufe von Jahrhunderten hinterließen durchziehende Völkerschaften auf den Felsen im Industal Hieroglyphen an die Nachwelt. Zum Teil sind die bis heute nicht entschlüsselt.
Doch die Strapazen werden sich gelohnt haben.
Auf diesem Wege kamen dann Kenntnisse über die Papier-, Seiden- und Porzellanherstellung nach Byzanz und Rom. Es waren akribisch gehütete Herstellungsrezepte, und doch gelang es, die herauszuschmuggeln.
Afghanistan ist, vor allem im hohen Norden, von einer imposanten Bergwelt geprägt. Im Nordosten ist es der Gebirgszug des Hindukusch, der im Nachbarland Pakistan vom noch gewaltigeren Karakorum und dem Himalaja überragt wird. Das Land hat durch einen schmalen Korridor eine gemeinsame Grenze zu China.
Die Stämme des Landes wurden stets von kriegerischen Herrschern geführt. Vor allem die Hunzacuc, auch im heutigen Pakistan ansässig, leben als ein selbstbewusster Volksstamm. Ihre Frauen darf man nur mit ausdrücklicher Genehmigung fotografieren. Das Verbot nicht zu beachten kann erhebliche Probleme bereiten.
Afghanistan ist nie auf Dauer von fremden Völkern unterworfen worden. Weder im Mittelalter vom mongolischen Dschingis Khan, noch in der Neuzeit von Engländern oder Russen. Immer wurden die Invasoren nach langen, blutigen Kämpfen aus dem Gebiet wieder vertrieben. Nur, wenn die Völker ertragreichen Handel miteinander trieben, gab es ein friedliches Auskommen. Jetzt sind es die Taliban, welche den das Land über zwanzig Jahre anwesenden Truppen des Westens eine blamable Niederlage beibrachten. 1989 war es die UDSSR, die aus Afghanistan vertrieben wurde, 2021 die in der NATO organisierten Länder.
Die Bergwelt Afghanistans ist wild zerklüftet. Die hier siedelnden Stämme haben es verstanden, in tiefen Höhlen und Gängen, die wie Fuchsbaue verzweigt sind, zu überleben. Korridore führen zu Kesseln und Höhlungen im Gebirge, in denen ein längerfristiges Durchhalten möglich ist. Für angreifende Feinde war es daher unmöglich, die ortskundigen Hunza- und Usbekenstämme zu unterwerfen. Andererseits sind die sich untereinander auch nicht immer grün. Das Mittelalter ist längst nicht überwunden.
Der angebliche Hauptgrund für die Interventionen ist die Unterbindung von Mohnanbau. Die Pflanze ist das Ausgangsprodukt für die Herstellung von Heroin und eine ertragreiche Einnahmequelle der Taliban.
Als die westliche Allianz nach langen Kämpfen dann meinte, die Aufständischen besiegt zu haben und sich zurückzuziehen begannen, erstarkten die Gotteskrieger wieder und brachten durch Selbstmordattentäter erneut vielfachen Tod, auch unter die eigene Bevölkerung. Ihr Ziel ist es, einen „Gottesstaat“ zu errichten. Die Gesetzgebung soll die muslimische Scharia sein. Ge -und -Verbote sind mittelalterlich, nicht nur nach westlicher Auffassung. Der ursprüngliche Koran hat eine andere Ausdeutung. Leider wird der Glaube durch orthodox denkende Mullahs fatal praktiziert.
Unersetzliche Kulturdenkmäler, selbst Moscheen und aus den Bergen herausgearbeitete Statuen des Buddhismus wurden unwiederbringlich zerstört. Mit dem Grundgedanken des Islam ist das nicht vereinbar.
Fortschrittlich denkende Bevölkerungsschichten wehren sich gegen die Taliban und deren Diktate. Das ist einer der Gründe des seit mehr als zwanzig Jahren geführten blutigen Bürgerkriegs.
Es ist ein Glaubenskrieg mit materiellen Hintergründen. Nicht anders, als das Christentum es gleichermaßen durchlebte. Katholiken, die ein Jahrtausend den wahren Glauben für sich reklamierten und gegen die Reformen des Martin Luther mit seinem Protestantismus mit Krieg und Vernichtung vorgingen. So ist es heute ebenso unter Schiiten und Sunniten im Islam.
Das Land ist jetzt in weiten Teilen verwüstet und zerstört. Die Taliban sind zurück und beabsichtigen, ihr Gottesreich zu errichten, ein Gebilde mit der Gesetzgebung der Scharia. Und damit wollen sich fortschrittlich denkende Afghanen nicht unterdrücken lassen. Deshalb der Exodus in andere Länder.
Najib, seine Frau Parwin und der kleine Tawab werden von ihrem Clan gedrängt, das Land zu verlassen, um in der Fremde ein besseres Leben zu beginnen. Heimlich, um keinen Verdacht zu erregen, treffen sie ihre Vorbereitungen zur Flucht aus der Hölle.
Zum Verständnis dessen, weshalb so viele Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten zu entkommen suchen, sollte dieses Vorwort beitragen. Die zunehmend auch in der „Dritten Welt“ verfügbaren Kenntnisse über bessere Lebensumstände, nicht nur was die Versorgung mit Lebensmitteln betrifft, veranlasst -zigtausende, die mörderischen Strapazen einer Flucht über Tausende Kilometer durch glühende Wüsten und die Wellenberge des Mittelmeeres auf sich zu nehmen. Sie sind unwissend, dass der Fortgang aus ihrem Heimatland oft mit dem Tod endet.