Die ersten neun von 309 Seiten

Hi Roland,

ich freue mich über deine wohlwollende Antwort. Viel Glück mit deinem Roman.
Aus dem verschneiten Wien grüßt
Manuela :slight_smile:

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Liebe Manuela,

bei diesem Bescheid mußte ich geradezu … zwanghaft nach J.M. Coetzees Schande greifen und jene Stelle nachschlagen, von der mir noch erinnerlich zu sein schien, daß sich der Erzähler im Spiegel betrachtet und den optischen Status zu Protokoll gibt (es ist jene Szene kurz nach dem Überfall, bei welcher er sich zu sammeln sucht, bevor er zu Kathy möchte, um nach ihr zu schauen [knappe erste Hälfte des Romans]).

Heißt das jetzt, in D wäre das Manuskript dieses Romans spätestens dort vom Lektor zugeschlagen und abschlägig beschieden worden? – Weil sich David Lurie im Spiegel betrachtet und 'ne Beschreibung davon gibt?

Mich interessiert, warum es ein lit. NoGo sein soll, so etwas unter bestimmten Bedingungen des Handlungsverlaufs einzubauen. Luries Selbstbeschreibung ist freilich etwas kürzer als Orlandos und auch mit weniger Adjektiven usw. befrachtet, aber gleichwohl …

Viele Grüße von Palinurus

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Hallo Palinurus,

ich kenne diese Passage nicht, wohl aber andere. Aber zu deiner Frage: Schlicht, weil es der einfachste Weg ist, dem Leser zu vermitteln, wie man aussieht. Dieser billige Trick findet sich in früheren Werken relativ häufig. Drum gilt er heute auch als abgelutscht, verbraucht. Das geht deutlich eleganter und weniger vorhersehbar. Wenn ich im ersten Kapitel lese, der Ich-Erzähler blickt in den Spiegel, weiß ich, was kommt. So etwas geht ohnehin nur am Anfang, denn später hat der Leser längst ein Bild des Ich-Erzählers im Kopf. Weitere Infos stören dann nur.
In einem frühen Romanprojekt, das letztlich versandete, versuchte ich ebenfalls, ein Außenprofil meines Ich-Helden via Spiegel zu präsentieren. War sogar mächtig stolz darauf. Alles in einem Aufwaschen. Dachte, ich wäre die Einzige mit dieser Idee.
Nach Testlesung durch den Lektor eines Kleinverlags, es war meine allererste Manuskripteinreichung, flog mir, neben anderen Textschwächen, genau diese Szene, mit genau dieser Argumentation um die Ohren. Seither vermeide ich solches und habe auch in Gesprächen mit anderen Autoren diese Meinung bestätigt gefunden. Wenn immer es geht, vermeiden. Aber: Wem es gefällt …
Es gibt auch Schreiber, die jeden zweiten Nebensatz mit einer dass-Konjunktion einleiten und sich damit wohlfühlen. Und Lektoren, die das tolerieren. So unelegant es anspruchsvolleren Lesern auch erscheinen mag.
Natürlich darf man alles in der Kunst. Man kann jede Regel brechen, die Frage ist nur wofür man diese Regel bricht. Bloß für ein optisches Selbstportrait würde ich literarisch nicht in den Spiegel blicken.
Ob jeder Lektor das Manuskript deshalb zuschlagen würde, kann ich nicht sagen. Habe mich da wohl zu allumfassend ausgedrückt. Ich würde eine derartige Passage jedenfalls tunlichst vermeiden und auch in jedem fremden Manuskript bemängeln.

LG, Manuela :slight_smile:

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Absolut d’accord und vielen Dank für deine Ausführungen, liebe Manuela. Von mir selbst glaube ich sagen zu können, daß mir in meinen bisherigen lit. Ergüssen die Idee der Selbstbeschreibung übers Spiegelbild noch nie gekommen ist. Allerdings spielen Spiegel in anderen Belangen für mich eine überragende Rolle beim Schreiben, deshalb war’s mir mal die Nachfrage wert …

Falls es dich interessiert – ich halte diesen Aufsatz vom Kulturtheoretiker Thomas Macho auch in literarischen Belangen für äußerst instruktiv (es geht u.a. um den Blick und seine diversen Auslegungsmöglichkeiten; u.a. auch vor dem Interpretationshintergrund des Narziß-Mythologems, dessen Bedeutung in der Forschung längst von seinen primitiven, aber nach wie vor gängigen Ansichten befreit wurde)! – linke ich mal ein m.E. interssantes Bsp. (Docplayeransicht; das PDF kann allerdings auch problemlos runtergeladen werden):

http://docplayer.org/27117716-Narziss-und-der-spiegel-selbstrepraesentation-in-der-geschichte-der-optik-von-thomas-macho.html

Nachtrag: Hier noch eine Besprechung jenes gesamten Sammelbandes auf literaturkritik.de, in dem Machos Aufsatz zuerst veröffentlicht wurde:

https://literaturkritik.de/id/6154

Viele Grüße von Palinurus

Ich war so frei und habe mal 2 Seiten Lektorat ( halbwegs) vorgenommen. Die Idee ist gut, aber an der Umsetzung fehlt sehr viel. Ich hoffe meine Korrekturen verdeutlichen das ein wenig.

Gottmann_Kapitel1_Einstieg.pap (21.8 KB)