Die Erbschaft

Meine Fresse, ich bin doch schon unterwegs<<, entgegnete Norbert Nackend lallend auf das wiederholte Klopfen.

Mühsam erhob er sich vom Schlafsofa und stolperte behäbig zur Tür. Dabei trat Nackend gegen diverse Spirituosenflaschen, die kreuz und quer auf dem vollgekotzten Teppich lagen.

Vor der Wohnung stand Rechtsanwalt Bernd Feist und spielte durch das Loch in seiner Hosentasche gelangweilt an seinem Penis. Derweil wartete er auf das Öffnen der Tür.

Öffnen Sie bitte Herr Nackend?<<, fragte Feist und klopfte erneut. Neugierig presste er sein linkes Ohr gegen die Tür.

Die seltsamen Geräusche im Inneren der Wohnung hatten ihn hellhörig gemacht. Fester drückte er das Ohr an das gebeizte Holz und hinterließ einen großen Fettfleck.

Völlig unerwartet öffnete sich die Tür und der Advokat verlor das Gleichgewicht. Blitzschnell zog er die Hand aus der löchrigen Hosentasche. Mit einem katzenartigen Reflex vermied den Sturz in Nackends Arme.

Wer sind Sie denn?<<, maulte Nackend mürrisch, >>Was wollen Sie?<<

Feist. Bernd Feist. Ich verwalte den Nachlass von Petra Feuchtbeiner.<<, erklärte Feist und stellte einen Fuß in den Türspalt.

Petra wer?<<, hakte Nackend nach und stieß die Tür gegen den Schuh.

Petra Feuchtbeiner. Sie sind als Erbe ermittelt Herr Nackend.<<

Erbe? Kommen Sie rein.<<, Norbert Nackend nahm den Druck von der Tür.

Schön hier.<<, Feist nickte mit dem Kopf und betrat die Wohnung. Derweil sah sich Feist skeptisch um und musterte die Wohnung.

Nehmen Sie Platz Herr…<<

Feist.<<, unterbrach Feist.

Das sieht man.<<, murmelte Nackend und drehte die Öffnung des Sessels in die Richtung des Anwalts.

Wie meinen?<<, fragte Feist nach.

Ach nix.<<

Mit Bedacht ließ sich der Verwalter in das Sitzmöbel gleiten. Das Inventar ächzte unter Feists immensem Übergewicht. Nackend schaute umsichtig. Sein beißender Schweiß füllte den Raum mit einem extravaganten Duft. Pelzig legte sich das Aroma auf Feists Bronchien.

Petra Feuchtbeiner ist am 13. März verstorben.<<, erklärte Feist.

Und was hat das mit mir zu tun?<<, fragte Nackend mürrisch. Gurgelnd ließ er einen Schluck Korn in seine Kehle laufen.

Bernd Feist lockerte seine Krawatte und rang nach Sauerstoff. >>Sie sind der letzte Verwandte.<<

Von wem?<<, lallte Nackend. Der Korn zeigte Wirkung.

Na von der Feuchtbeiner.<<, sichtlich genervt rollte Feist mit den Augen.

Wer?<<, frotzelte Nackend und legte einen Schluck Korn nach.

Mein Gott, die Feuchtbeiner.<<, Feist verlor die Fassung.

Ist ja gut.<<, brabbelte Nackend.

Sie besaß eine gutgehende Gießerei in Warnemünde.<<, fuhr Feist fort.

Wer?<<, Nackends Zunge war schwerfällig.

Hören Sie überhaupt zu? Frau Feuchtbeiner, die Schwippschwägerin Ihrer Großtante Elsbeth Schulze-Mannheim.<<, in Feists Stimme trat ein schleifender und scharfer Ton.

Ach ja, die Else.<<, Nackend schmunzelte, >>Und die ist tot?<<

Nicht die Else. Die Petra. Übrigens eine lustige Geschichte.<<, Feist schmunzelte und erzählte von der Vermutung der Polizei, dass die Feuchtbeiner beim Sex mit ihrem Buchhalter zu Tode kam.

Wie bitte?<<, Nackend rutschte interessiert auf dem Sofa hin und her.

Sie fiel in flüssiges Eisen.<<, Bernd rieb sich aufgeregt die Schenkel.

Har har, herrlich.<<, Norbert Nackend prustete vor Lachen, >>Wie geht denn sowas?<<

Offenbar saß sie beim Akt auf einem Geländer und hat das Gleichgewicht verloren.<<, erklärte Feist, >>Am Geländer über dem Bottich fand man Scheidensekret.<<

Grandios. Und der Buchhalter?<<

Lag nackt in einer Gitterbox loser Heftklammern neben dem Kübel Eisen. Ist wohl hinterher gefallen.<<, Feist lachte schallend.

Heftklammern?<<, krächzend stimmte Norbert Nackend in das Gelächter ein.

Die Beiden feixten minutenlang und spielten sich gegenseitig wiederholt die Szenen des Unfalls vor.

Wo muss ich unterschreiben?<<, kichernd wischte sich Nackend die Tränen aus den Augenwinkeln. Feist nestelte in seiner Aktentasche und zog einen Stapel Formulare heraus.

Einmal unten auf jeder Seite bitte.<<, der Verwalter legte die Papiere auf den Tisch. Das Lachen hatte sich regelrecht in sein dickes Gesicht eingebrannt.

Norbert Nackend krakelte seinen Namen auf jede Seite und schob die Unterlagen zurück.

Dann wäre ja alles geklärt.<<, freute sich Feist. Aufgeregt reichte er Nackend eine Aktentasche.

Hier bitte. Schlüssel für die Werkstatt, Adresse, Geld.<<

Okay.<<, gab sich Nackend betont wortkarg.

Ich gehe dann jetzt. Bei Fragen, einfach melden.<<, vorsichtig erhob sich Bernd Feist aus dem Sessel und lies eine Visitenkarte auf den Tisch fallen.

Unbemerkt hatte der Anwalt während des Plausches durch das Loch in seiner Hosentasche an seinem Geschlecht manipuliert.

Scheint Sie ja mächtig erregt zu haben, der Tod der Petra<<, lästerte Nackend angetrunken und deutete auf Feists Hose.

Ähm, das ist nicht, wie Sie denken.<<, schlagartig stieg Feist die Schamesröte ins Gesicht.

So so, wie denn dann?<<, fragte Nackend nach.

Naja, ich hab mir kürzlich beim Anziehen den Penis im Reißverschluss geklemmt. Jetzt löst sich der Grind und das juckt ständig.<<, Feist stotterte.

Na klar.<<, Nackend zog mit seinem Finger rechthaberisch den Augenwinkel nach unten.

Ich glaube, hier gehen unsere Meinungen auseinander wie die Beine einer Prostituierten.<<, amüsierte sich Nackend. Beherzt schob er Feist zur Tür. Dieser verließ verlegen die Wohnung. Nackend sah kurz hinterher und ließ die Tür ins Schloss fallen.

Er schlurfte zurück zu seiner Couch und genehmigte sich erneut einen großen Schluck Korn. Unterwegs hatte sich Nackend von der Anrichte den Reiseführer „Warnemünde für Anfänger" mitgenommen. Just als er sich auf seine Ottomane gelegt hatte, hämmerte jemand an die Tür. Das Holz schien nicht stabil und das wuchtige Pochen ließ das Mehl der Holzwürmer staubig aus dem Holz rieseln.

Nackend du perverses Schwein. Mach auf! Ich weiß, dass du da bist.<<

Scheiße.<<, Norbert Nackend schreckte auf. Diese Stimme kam ihm bekannt vor. Gestern gab es mit einem Hausbewohner ein Trinkgelage und im Vollrausch scheint der Abend eskaliert zu sein.

Unmerklich schlich er zur Tür und linste vorsichtig durch den Spion. Draußen fuchtelte Ingo Nagel wütend mit Gemüse und Blumen. Norbert Nackend schreckte konsterniert zurück. Erinnerungsfetzen fügten sich wie ein Puzzle zu einer Geschichte zusammen.

Oje, Gurke und Rose. Das erklärt seinen seltsam steifen Gang.<<, murmelte Nackend. Die merkwürdigen Ereignisse des gestrigen Abends standen verblasst in Norberts Erinnerung. Ein verschmitztes Lächeln bohrte sich in Nackends Gesicht.

Das Pochen wurde lebhafter. Die Wohnungstür ächzte in ihren Angeln.

Ich muss hier weg.<<, Norbert griff sich die Hinterlassenschaft der Feuchtbeiner und den Reiseführer. Nach einer Lösung suchend stolzierte Nackend auf und ab. Im Hausflur krakeelte lautstark der aufgebrachte Mieter. Norbert lugte nachdenklich in die Toilette. Der Raum lud zu einer gemütlichen Notdurft ein. Nackend stand jetzt nicht der Sinn nach einer entspannten Darmentleerung. Vielmehr suchte er eine Flucht vor dem wütenden Nagel.

Nackend schaute ein weiteres Mal in die Toilette. Das winzige Fenster im Abort führte zum Hinterhof.

Wenn ich mich ganz dünn mache…<<, Nackend sah an sich herab und zog seinen Bauch ein. Mit einem Wisch räumte Norbert Nackend die Plastiknarzissen vom Fensterbrett. Er stieg auf die Brille aus schwarzem Bakelit und zog sich am Fallrohr nach oben. Die Keramik knarzte bedrohlich unter Nackends Gewicht.

Das Hämmern an der Wohnungstür wurde jetzt penetranter. Krächzend splitterte das Holz.

Nackend, gleich bist du dran!<<, drohte Nagel und fuchtelte mit der Faust durch das Loch in der Wohnungstür. Nackend war beileibe kein Feigling, gegen den wütenden Kraftsportler aus der 5. Etage sah er sich aber eher als Verlierer einer handfesten Keilerei.

Nackend sprang vom Klosett, warf die Toilettentür zu und klemmte eilig den Schrubber in die Klinke. Er kletterte zurück auf das Urinal und schob seinen Oberkörper durch die Luke. Der hölzerne Rahmen schnitt sich schmerzhaft in seinen Leib und hinterließ auf Höhe des Nabels ein Muster ähnlich einer Gürtelrose.

Mist!<<, fluchte Norbert und presste sich durch das Fenster. Bis zum Oberschenkelhals hing er schon im Hinterhof. Nackend stützte sich auf die Biotonne unterhalb des Fensters und wollte gerade seine Beine hinterherziehen, als aus dem Inneren der Wohnung schaurige Geräusche drangen.

Die Tür brach unter den Schlägen endgültig entzwei und Nagel stürmte in die Wohnung.

Nackend, du Schwein. Wo bist du?<<, schrie der Eindringling cholerisch. Nur mühsam kontrollierte Ingo Nagel seinen Jähzorn. Prompt bemerkte er die versperrte Latrine und trat jene mit einem Tritt ein.

Im Fenster über der Keramik bemerkte er die Beine von Nackend. Ingo griff sich einen Knöchel und zerrte mit Leibeskräften daran.

Hab ich dich du dumme Sau.<<, schnaubte Nagel.

Lass mich los du Untermensch.<<, Norbert strampelte wie wild mit den Füßen und versetzte dem Angreifer einen kräftigen Tritt an die linke Schläfe. Eine tiefe Ohnmacht ergriff sogleich Besitz von Ingo Nagel und dessen Hand gab Nackends Knöchel frei. Kopfüber fiel Norbert aus dem Fenster und landete der Biotonne. Nagel dagegen schlug mit dem Kopf voran im Porzellan ein.

Was für eine Sauerei.<<, resümierte Norbert Nackend und befreite sich von Essensresten. Er schaute nach oben und realisierte, dass Ingo Nagel die Verfolgung aufgegeben hatte.

Ich hab alles, was ich brauche.<<, stammelte Nackend, nachdem er seinen Koffer durchsucht hatte.

Auf nach Warnemünde.<<, Norbert Nackend verließ den Hinterhof durch die Toreinfahrt und bog nach rechts ab. Der gepflasterte Weg führte ihn direkt zum Omnibusbahnhof und in sein Leben als Metallurge in Warnemünde.