Der Riese

Hallo, sehr verehrtes Publikum. :cool:

Etwas Lesefutter zum Wochenende, an das ich schon dauernd denken muss. Dann habe ich endlich wieder mehr Zeit zum Schreiben. Hier ein Text von mir aus dem April 2010.

Viel Spaß - und nur Mut - ohne Kritix ist alles nix!

Der Riese

Neun gestandene Männer hatten sie geschickt, Holzfäller mit jahrelanger Erfahrung und Kerle, die wussten, wie man Probleme anpackt. Im Tal war ein großer Teil des Urwaldes schon gerodet und abtransportiert worden, bis auf diesen einen Riesen in der Mitte. An Höhe und Umfang hatte er alle anderen Bäume ringsum übertroffen, und niemand hatte bisher ein solches Exemplar gesehen. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, die mächtigen Äste schon so weit wie möglich zu entfernen. Man wollte dem letzten Trupp die Arbeit erleichtern. So stand der Riese nun wie ein übermächtiges Totem auf der großen Lichtung.

Sicher waren die Männer mit allem Geschick und planvoll an die besondere Aufgabe herangegangen. Die imponierende Borke des alten Riesen wird sie ebenso wenig abgehalten haben, wie die ausgerissenen, triefenden Astwunden. Mit den überlangen Handsägen konnten sie überall dort ansetzen, wo ihre Motorsägen nicht mehr ausreichten und den schweren Eisenkeilen konnte noch kein Baum widerstehen. Warum sollten sie nicht auch diesen passgenau dort hinlegen, wo sie es vorgesehen hatten. Kerbe um Kerbe hatten sie sich wohl vorgearbeitet und mit Schlägen der langen Hämmer auf die eingesetzten Keile den alten Riesen erstmals erschüttert, bis der nackte Stamm schließlich unter Krachen und Ächzen auf die Erde gestürzt sein wird.

Es muss ein Schwingen des Bodens gewesen sein, ein Federn, ein Beben mit deutlicher Amplitude, als der Riese aufschlug. Im fünf Meilen entfernten Lager hatte das Kaffeewasser im Kessel kleine, kreisförmige Wellen aufgeworfen, und die Männer hatten sich bedeutungsvoll angesehen. Das zufriedene Lächeln aber war gefroren in ihren Gesichtern bei dem nachfolgenden Gurgeln und Stöhnen, oder wie sollte man die unbeschreiblichen Laute nennen, die herüberschallten. Dort, wo der Baumriese federnd vielleicht zwei, drei Mal aufgeschlagen war, muss etwas hervorgetreten sein, mit Druck und einer Schnelligkeit, die keinem der Holzfäller eine Chance gelassen hatte zu entkommen. Wenn da eine Fontaine aufgestiegen ist, dann nicht hoch, kein Zischen oder Pfeifen war zu hören gewesen. Wohl eher mag sich ein unglaublicher Schwall von Schlamm wie eine riesige Halbkugel aus einer Bodenfurche erhoben haben. Oder waren die Männer wie angewurzelt stehen geblieben, starr vor Schreck, als ein riesiger Schlammpilz emporschoss und sie alle unter sein Dach einschloss, bis er saugend, klatschend einstürzte in die stinkende, zähe Brühe, die schon rasend schnell die Hüften der Männer umklammert hatte.

Wie auch immer! Das flache Tal, an dessen Rand die Herbeigeeilten nun standen, war voll übel riechendem, schwefligem Schlamm. Und die wabernde Halbkugel mitten darin, aufgeworfen von nachströmenden Unmengen aus der Wunde des Erdbodens, zeigte an, dass sie noch längst nicht verebbt war, die Wut der Erde.

Mir gefällt die Kurzgeschichte :slight_smile: