Der Berg nach dem Manuskript

Hallo zusammen,

mich treibt im Augenblick eine brennende Frage um und ich hoffe, dass ich dieses Thema einfach mal so eröffnen darf. Falls es dazu schon unzählige Themen gibt lösche ich das auch sofort wieder.

Ich bin bei meinem ersten Buchprojekt gerade an dem Punkt, den ich ganz vorsichtig „erste Fassung“ betiteln würde. Der Plot ist geschrieben, die Geschichte ist erzählt. Soweit so schön. Testleser haben auch schon ein erster Feedback gegeben. Jetzt stehe ich vor dem großen Berg der Überarbeitung und frage mich: Wie macht ihr das eigentlich ganz konkret?

Mein bisheriger Ansatz ist, dass ich mir eine Exceltabelle angelegt habe, in die ich alle Punkte eintrage, die ich noch Verändern will (oder muss) um Charaktere noch oder Logikfehler zu überarbeiten. Die liebe @Yoro war so lieb und hatte mir mit einer Textarbeit zu meinem ersten Kapitel schon total geholfen. Mich würde hier vor allem interessieren wie ihr „strategisch“ an ein Manuskript rangeht. Der Berg lähmt mich nämlich gerade ein bisschen.

Viele liebe Grüße
Dorak

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Die Lähmung kenne ich zu gut. Geht mir immer genauso. Ich lasse es dann liegen bis sie verschwunden ist :wink:
Du könntest aber auch einfach mit Kapitel 1 anfangen, den Kopf ausschalten und loslegen. Sprich, ich überarbeite dann Kapitel für Kapitel und mache mir keinen Druck

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Ich kann dir meine 4 Stufen Korrektur empfehlen. Nachdem ich oft jahrelang korrigiert habe, komme ich inzwischen auf 1 oder 2 Monate.

Am Anfang steht die Rohschrift.

Stufe 1, das erste Mal alles lesen. Dabei korrigiere ich Kleinigkeiten wie Grammatik direkt, bei größeren Fragen, oder Baustellen nehme ich einen blauen Notizzettel in Papyrus und notiere Seite und Grund. Beispielweise: »S. 23 Szene am Hafen mit besseren Bildern ausstatten.«
»S. 44 Dialog mau«
»S. 55 Hier gibt es einen Fehler mit der Tageszeit. Kapitel anpassen.«

So arbeite ich mich durch den ganzen Text und erzeuge einen Haufen kleiner Aufgaben.

Dann Stufe 2. Alle Notizen abarbeiten. Ich überarbeite wie eine Wolke die Notizen und färbe sie grün, wenn ich fertig bin, oder rot, wenn es Probleme gibt. Ich schaffe ein 1 bis 5 Notizen am Tag.

Dann Stufe 2b. Nochmal alle roten Notizen. Da sie schwere Brocken sind, wie Logikprobleme, nur eine rote Notiz am Tag.

Dann Stufe 3. Ich schalte in den »Nur Dialoge einblenden Modus und gehe durch den ganzen Text.« Sind Dialoge glaubwürdig und klingen sie gut? Bedarf es einer Verschärfung?

Jetzt ist der Text eigentlich fertig. Er kommt nun zu Testlesern. Die brauchen 1 bis 2 Monate.

Stufe 4. Ich arbeite die Kommentare der Tesleser ein, dass meist eine Woche bis einen Monat dauert.

Ein letztes Mal alles Lesen. (Gern auf ein anderes Medium wie Papier, Ebook, Tablet.) und dann veröffentlichen. Bzw. Letze Kleinigkeiten Ändern, was meist nur Grammatik ist, und dann veröffentlichen.

Ich würde in Zukunf die Testleser sehr spät einsetzen. Da sie sehr sehr selten den Text ein zweites Mal lesen werden. Zum Einschätzen, ob die Idee was taugt, brauche ich sie nicht. Dafür kann man mit kleinen Textschnippseln hier im Forum fragen, oder Leuten, denen man vertraut. Eine Din A4 Seite ist schnell mal eingeschätzt.

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Das Feedback meiner Testleser schreibe ich mir als Kommentar an den Rand. An den Stellen, über die ich noch nachdenken muss.

Korrekturen in Richtung Rechtschreibung / Grammatik erledige ich sofort - ohne Randkommentar.

Testleser 1 bekommt eine Schriftfarbe im Kommentarfeld zugewiesen.
Testleser 2 eine andere,
Testleser 3 …

Ich trage die Kommentare in einen final draft ein. Wenn alles abgearbeitet ist, bin ich fertig, d. h. ich drucke ein Probeexemplar. Dann schmiere ich darin herum und veröffentliche die Endversion.

Ist viel Arbeit, aber sehr übersichtlich und lässt sich hervorragend von vorne nach hinten abarbeiten.

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Ich folge mehr oder weniger den Regeln, die Andreas schon vor Jahren aufgestellt hat:

https://www.andreaseschbach.de/schreiben/10punkte/10punkte.html

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Das mache ich ebenso. Allerdings, bevor meine Testleser ein Exemplar bekommen.

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Siehe auch: Stilanalyse in mehreren Stufen und Dialog-Anzeige in Papyrus!
Die wurde mit Andreas Eschbach zusammen entwickelt - vielen Dank dafür!

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Vielen Dank! Das sind wieder ausgesprochen gute Informationen für mich als Neuling :slight_smile:

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Das Wichtigste und Schwierigste ist, sich selber zu vertrauen. Am Anfang ist der eigene Text noch nie so richtig gut, oder so richtig rund. Aber die Fähigkeiten sind noch nicht so weit entwickelt. Egal, wie sehr man es umbaut und neuschreibt. Es will einfach nicht besser werden.

Aber das stimmt natürlich nicht. Das eigene Handwerk wird besser. Wichtig ist, zu akzeptieren, dass das erste Buch „nicht das epische Buch sein wird“, auf dass die Welt gewartet hat. Sondern es wird das erste Buch auf der Reise des Schreibens sein.

Mein Buch „Die Purpurlilie“ war damals ein Herzensprojekt (historische Fiktion in Japan mit Ninjas und die Rolle der Frau in dieser Zeit). Ich habe nie soviel recherchiert wie für dieses Buch (wie sind Dörfer aufgebaut, wie ist die Denkweise zu dieser Zeit). Mit Anfang 20 habe ich angefangen es zu schreiben. Ich brauchte über 10 Jahre, um es zu veröffentlichen …

Aber ist es mein bestes Buch? Nein. Heute ist es ein „unterhaltsames Werk mit Kampfkunst.“

Die Paladinsöldner. Hela und Korian. Alles Bücher, die viel spannender sind, weil mein Handwerk sich weiter entwickelt hat. Ich kann dir nur empfehlen. Weitermachen. So eine große Aufgabe, kann mit vielen, kleinen Schritten gemeistert werden. Ein Projekt ‚wirklich‘ zu beenden, ist sehr befreiend und auch wenn es am Anfang kaum zu glauben ist → es wird mit jedem Buch leichter.

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Und noch eine persönliche Note:
Will jemand mal einen Blick auf deinen Text werfen (Familie, Freunde) gib ihnen was (vielleicht ein Kapitel).
Mein zweites Buch „Naavorth - Wächter der Zeit“ war viel schneller fertig. Mein neugieriger Vater wollte immer wissen, was darin passiert. ( Er hatte ein Bücherregal mit 9 Meter Fantasy) aber ich wollte, dass er ein möglichst perfektes Werk las. Mein Vater ist leider in der Korrekturphase von uns gegangen. Als er im Koma lag, habe ich ihn daraus vorgelesen. Das ist leider schade, dass er die ganzen Bücher nicht mehr lesen kann, die mein verwirrter Geist fabriziert… Daher. Niemals innehalten, sondern weiterschreiben :slight_smile:

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Das mit deinem Vater tut mir sehr leid. Dass du ihm vorgelesen hast finde ich unglaublich schön und bewegend! Liebe in leiser Form. :smiling_face_with_tear:

Danke auch für die Infos über die persönlichen Erfahrungen. Das sind Dinge die man in keinem Ratgeber lesen kann.

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Ich mache es gerne so, dass ich das Manuskript abkühlen lasse, meistens so 3-4 Wochen lange, und dann versuche, es zu lesen, als ob es jemand anderer geschrieben hätte. Das hilft mir nicht immer, aber doch oft, drastischer zu überarbeiten. Mir gefällt bei dem Prozess sehr gut, die Charaktere wiederzutreffen, die ich während des Schreibens liebgewonnen habe (oder gelernt habe, sie zu hassen) und durch die Überarbeitung daran zu feilen, ihre Geschichte deutlicher zu machen.

Um ehrlich zu sein, gefällt mir das Überarbeiten zeitweise besser, als das Verfassen der 1. Fassung.

lg/Peter

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Mir gefällt das Überarbeiten so gut, dass ich gar nicht damit aufhören kann. (Dafür krampf ich mir bei der Erstfassung unfassbar lange die Finger ab).
Und nein, man findet nie alle Fehler, Typos, etc. Deshalb der Tipp: irgendwann das MS einem oder mehreren „unabhängigen“ Testlesern geben. Auch die finden übrigens nicht alles.
Und keine Angst vor dem Verschlimmbessern: das MS wird nie, nie, nie schlechter, wenn Du von den Kritikpunkten (eigenen und denen der Testlesys) überzeugt bist.
Meine Methode also:

  • die Erstfassung herauswürgen
    1. Überarbeitung (Glück genießen)
    1. Überarbeitung (Zweifeln, wieso man so viel Mist hat übersehen können bei der 1. ÜA).
  • Testleser
  • Schmollen wegen der herzlosen Kritiken (manche übergehen das, ich übrigens auch meistens, denn je herzloser, desto genauer muss man hinsehen; unschätzbar wertvoll, so eine herzlose Kritik)
  • Dankbar sein und 3. Überarbeitung
    Normale Autoren hören jetzt wahrscheinlich mit der ÜA auf.
    Daher schenke ich mir den Rest meines Vorgehens (beinhaltet Probedruck bei epubli, dann Aufschrei, wie man DEN KLOPS hat übersehen können etc pp und so weiter)
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Haha - den KLOPS - übersehen. Davon könnte ich auch ein paar Geschichten erzählen :sweat_smile: Hauptsache man findet den KLOPS rechtzeitig.

Ich gehöre auch zu denjenigen, die eigentlich ganz gerne überarbeiten. Das ist einerseits ein großer Vorteil, weil man sich dazu dann nicht quälen muss, zum anderen muss man aber höllisch aufpassen, dass man seinen Text nicht ‚zu Tode‘ überarbeitet.
Also irgendwann Schluss machen, bevor man in die zweiundzwölfzigste Verschlimmbesserungsrunde startet.

Ich lasse meinen Text auch eine zeitlang liegen, lese ihn dann komplett an PC einmal durch. Was mir auffällt wird hier bereits geändert/verbessert. Dann drucke ich ihn aus und lese kapitelweise Korrektur. Dabei wird alles angemerkt, was mir ein- und auffällt.
Dann alle Änderungen am PC eingepflegt, wieder etwas liegen lassen, am PC durchlesen, nochmal ausdrucken, ändern, einfügen … und dann beschließen, es ist soweit fertig und bereit für die Testleser.

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Ich kenne das auch. Es ist aber ein komplett anderer Modus wie das Schreiben. Wenn man auf Schreiben eingestellt ist und gern viele neue Dinge zu Papier bringen möchte, ist das Überarbeiten nervig.

Ich hab nun so viel Überarbeitet, dass ich mich irgendwann erst wieder neu ins Schreiben hineinfinden muss. Auch das gibts.

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Vielleicht noch ein Tipp: Nach der Überarbeitung den ganzen Text laut lesen! Es ist erstaunlich, was einem dabei noch auffällt an Holprigkeiten, die den Flow behindern.

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Das geht mir auch so. Daher unterbreche ich die Schreibroutine zwischen Projekten seit letztem Jahr nicht mehr, sondern verringere nur etwas den Umfang, wenn Zeit zur Überarbeitung ist.