kennt sich jemand mit Demenz im Detail aus? Ich weiß, dass es viele unterschiedliche Formen gibt, auch abhängig von der Ursache.
Jemand in meiner Familie war dement (mehr oder weniger im Anfangsstadium). Ich habe mich intensiv um das Familienmitglied gekümmert. Mir ist es stark aufgefallen. Andere Angehörige hatten nur sporadischen Kontakt und haben mir nicht einmal geglaubt, dass eine Form der Demenz vorliegt bis ich die “offizielle” Diagnose eines Neurologen bekam. Und selbst danach meinten Familienmitglieder, die betroffene Person würde sich völlig normal benehmen.
Nun zu meiner Frage: Inwieweit kann man eine Demenz verbergen / in den Griff bekommen, wenn man sich der Krankheit / Diagnose bewusst ist?
Wäre es denkbar, dass mein Protagonist alles daran setzt, seine “sieben Sinne bei sich zu behalten” bis zu einem bestimmten Punkt, einem Ziel, das wichtig für ihn ist? Zustände der Verwirrung, die er immer wieder in den Griff bekommt, bis er -sagen wir mal- eine Lösung für das Problem eines anderen gefunden hat?
Ich kenne das von meiner Mutter. Die hat es lange versucht. Sie hat, wenn aufgefallen ist, dass ihr Gehirn aussetzte, Ausreden dafür konstruiert. Etwa, dass sie jemanden nicht erkannte, weil sie gerade ihre Brille nicht aufhatte. Oder dass sie nicht wusste, was sie gestern gegessen hatte, weil es ihr nicht geschmeckt hat und sie es daher verdrängte. Mit der Zeit wurden diese Ausreden allerdings immer abstruser.
Ein paar kurze Anmerkungen:
Eine echte etwas fortgeschrittene Demenz zu “übertünchen” wird nicht wirklich funktionieren.
Je größer die geistigen Reserven sind, die man zeitlebens aufgebaut haben, desto besser kann man mit manchen Arten von Demenz umgehen. Dafür müsste man aber bald anfangen und vorbauen.
Interessant für Dich könnte vielleicht sein: Demenz kann verschiedenste Auswirkungen haben, und auch verschiedenste Ursachen (Alzheimer als generativer Abbau, Multi-Infarkt-Demenz nach Schlaganfällen, Morbus Korsakow nach chronischem Alkoholmissbrauch). Manche Ursachen sind zu Lebzeiten nicht eindeutig bestimmbar (sprich: erst nach Obduktion).
Unterschiede gibt es, in welcher Geschwindigkeit eine Demenz fortschreitet. Wichtig wäre auch die Abgrenzung von “normalem” altersgemäßem Abbau kognitiver Fähigkeiten. Daneben gibt es eine Fülle von psychiatrischen Krankheitsbildern, die demenzähnliche Symptome erzeugen können. Im geriatrischen Bereich sind es oft Depressionen, die fälschlich für eine Demenz gehalten werden.
Unabhängig davon ein Literaturtipp - alleine des Titels wegen: „Ist heute Montag oder Dezember?“ von Erwin Böhm.
Und als Filmtipp: „Clockwise“ (die drei alten Damen, die aufs Land gefahren werden müssen). Ohnehin eine der besten Komödien aller Zeiten
Hallo Suse,
so wie Du das aus Deiner Familie beschreibst, ist das oft. Zunächst fällt nur dem Betroffenen (je nach Verdrängungsgrad) und den nächsten Kontakpersonen die Veränderung auf. Die Diagnose einer beginnenden Demenz kann zumeist recht frühzeitig durch entsprechende Tests erhärtet werden. In dieser Phase gehen viele Betroffene sehr kreativ mit ihrer Erkrankung um. Das geht von phantasievollen „Entshuldigungen“ und „Erklärungen“ bis zu Spickzetteln und dem meiden von Situationen, die überfordern. Es ist also weniger ein sich „konzentrieren“ und seine „Sinne beisammen halten“ als der kreative Umgang mit einem Handicap. Ob und wie lange es gelingt, Teile der Umwelt zu „täuschen“, ist individuell und abhängig von Ursache und Verlauf (es gibt sehr langsam fortschreitende Formen) der Demenz sehr unterschiedlich. Bei fortgeschrittener Erkrankung leidet dann zunehmend die Kohärenz von Verhalten und „Erzählung“. Ich würde sagen, da besteht schriftstellerisch viel Spielraum ohne unglaubwürdig zu werden Hoffe ich konnte etwas helfen.
Hallo Suse
Auch ich möchte noch etwas zu deiner Frage beitragen.
Mein Vater litt unter einer Demenz. Sie kam von einer verschleppten Gelbsucht und der daraus resultierenden Leberinsuffizienz. Da die Leber deshalb die Giftstoffe nicht mehr herausfilterte, wurden nach und nach alle Organe (inkl. dem Gehirn) vergiftet. Leider wurde die Erkrankung von seinem Arzt so nicht erkannt. Der ganze Prozess zog sich über mehrere Jahre hin, bis er schliesslich an Leberversagen starb. Im Nachhinein erklärte sich damit auch die Demenz.
Mein Vater (er war eigentlich ein sehr intelligenter Mann) hat nie erkannt, oder anerkennen wollen, dass er “vergesslich” wurde. Demzufolge hat er auch nicht versucht etwas zu verschleiern. Anfangs hat es sich geäussert, indem er ein und die selbe Frage während einer Stunde mehrmals gestellt hat und Ähnliches. Später war es dann so schlimm, dass er versuchte am Nachbarhaus die Tür aufzuschliessen, weil er dachte er sei dort zu Hause.
Wie meine Vorredner bereits geschrieben haben, gibt es verschiedene Formen der Demenz. Allerdings glaube ich nicht, dass es an der Intelligenz des Kranken liegt, ob und wie stark er versucht das Handicap zu verbergen.
Hallo Suse,
mein Mann, der um einiges älter war als ich, litt in seinen letzten Lebensjahren unter Demenz. Diesen Vorgang, dass Besucher lange nichts davon mitbekommen, kenne ich auch.
Ich glaube jedoch nicht, dass er absichtlich etwas verschleiern oder vortäuschen wollte. Überlegen wir doch mal: Was macht man mit Besuch, außer rumsitzen, Kaffee trinken und bisschen quatschen? Vor allem, wenn dann über „früher“ geredet wird, kann ein Demenzkranker sehr gut klarkommen. Außerdem ist Besuch eine Abwechslung, etwas Spannendes, wo wahrscheinlich mehr Adrenalin ausgeschüttet wird und die Person dadurch „wacher“ ist als im normalen Alltag. (Ich glaube, der Sohn meines Mannes aus erster Ehe denkt immer noch, dass wir ihn zum Schluss nur aus Jux oder Gemeinheit in eine Demenzwohngemeinschaft gegeben haben. Er hat meinen Mann etwa zwei Mal im Jahr besucht und nichts mitbekommen.)
Ich glaube allerdings nicht, dass mein Mann sich wirklich seines Zustands bewusst war, und weiß auch nicht, ob das überhaupt möglich wäre. Er hat uns aber bis zum Schluss erkannt - vielleicht nicht mehr mit Namen, aber er wusste, dass wir vertraute Personen sind. Wahrscheinlich weil wir ihn - zum Ärger des WG-Pflegepersonals - jeden Tag besucht haben.
@alle - Ich kann mit allen Antworten etwas anfangen und glaube nun, dass mein Protagonist durchaus in der Lage ist, sein Problem bzw. das Problem des Anderen zu lösen bevor er sich gänzlich in die Dunkelheit der Verwirrung verabschiedet.