Das Zimmer

                   Das Zimmer

Blum zögerte einen Augenblick, drehte den Schlüssel und öffnete die Tür. Ein leichtes Quietschen begleitete den Vorgang. Als der Spalt groß genug war, betrat er das Zimmer. Das Dunkel des Raumes wurde durch den eindringenden Schein der Straßenlaternen etwas durchsichtiger. Blum ertastete links neben dem Türrahmen einen Lichtschalter, der sich nach mehrmaligen Knipsen als defekt erwies. Er erkannte auf der gegenüber liegenden Seite zur Tür eine Sitzgruppe. Es standen vier Sitzmöbel um einen runden Tisch. In drei dieser Sessel saß je eine Person, von denen Blum die Umrisse der Köpfe erkennen konnte. Er hatte dieses Gefühl, welches einem befällt, wenn nicht klar ist, was man entdeckt hat und was sich aus dem Unbekannten entwickelt. Blum räusperte sich. Er wollte Aufmerksamkeit erregen. Die Menschen in den Sesseln bewegten sich nicht. Als er weiter auf sie zuging, machte keiner der Herrschaften Anstalten, sich in seine Richtung zu drehen. Der Schein der von außen ins Zimmer drang, wurde schwächer. Es war Nachtzeit, in der jede zweite Straßenlaterne aus Energiespargründen abgeschaltet wurde. Die Umrisse der Köpfe waren kaum zu erkennen, nur die größeren Möbelstücke konnten identifiziert werden.
Blums Mund war ausgetrocknet und seine Hände schwitzten. Trotz seiner einhundertneunzig cm Körpergröße war er kein Held. Er machte einen weiteren Schritt in Richtung Sitzgruppe. Hinter ihm fiel die Zimmertür ins Schloss. Er drehte sich um. Sein Herz raste. „Was tue ich hier?“, fragte er sich; ohne die Lippen zu bewegen. Er sollte ein Päckchen abholen, welches hier in diesem Zimmer deponiert sein sollte. Niemand erwähnte etwas von anwesenden Personen. „Entschuldigung!“, fasste er allen Mut zusammen.
„Ich soll ein Päckchen abholen! Der Herr Stein von der Firma Brecher und Co. hatte mich beauftragt!“ Keine Reaktion.
Ein leises Zittern im Raum machte sich bemerkbar. Das Zittern verstärkte sich zu einem leichten Beben und wurde wieder ruhiger. Die U-Bahn!
Das Haus steht auf einem U-Bahn-Schacht! Durch eines der Fenster konnte Blum erkennen, wie die Bahn in einiger Entfernung aus dem Untergrund auftauchte. Wie ein glühender Wurm wand sie sich an die Oberfläche. Für einen Augenblick wurden die Umrisse im Zimmer deutlicher. Keiner der Köpfe hatte sich bewegt.
„Also wegen des Päckchens, das soll kein Problem sein“, sagte er mutig und bestimmt. „Ich kann morgen wieder kommen!“
„Setzen Sie sich!“, sagte unerwartet die Stimme eines Mannes aus Richtung Sitzgruppe. Blum spürte seinen Herzschlag im Hals.
„Setzen Sie sich in den Sessel!“, sagte die Stimme in einem Befehlston.
„Ich wollte nur das Päckchen …!“ „Bitte nehmen Sie Platz Herr Blum. Wir haben auf sie gewartet.“ Blum drehte den Kopf und blickte zur Tür. Der Fluchtweg war zugeschlagen. Seine Gedanken purzelten. Was war hier los? Was wollte der Mann von ihm? Warum sollte er sich setzen. Er war doch nur ein Kurier, der ein Päckchen abholen sollte. Woher kannte der Mann seinen Namen? Er setzte sich in den vierten Sessel und angelte nach dem Mobiltelefon in seiner Jackentasche. Es gab kein Netz.
„Wer gab Ihnen den Schlüssel zu diesem Zimmer?“, fragte die Stimme, die ihn aufforderte, sich zu setzten. Die anderen hatten sich nicht bewegt.
„Herr Steinbrecher!“, kam seine Antwort schnell und Sicherheit vortäuschend.
„Der Name ist uns nicht bekannt!“, sagte der Wortführer. Blum versuchte, im schummrigen Licht des Zimmers etwas von den Personen die ihm gegenüber saßen zu erkennen.
In diesem Augenblick wurden die restlichen Straßenlaternen abgeschaltet und das Zimmer versank in Dunkelheit. Blum begann zu frieren. Er nahm allen Mut zusammen. „Ich muss nun leider gehen. Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen!“ Er wusste um die Lächerlichkeit dieser Aussage.
„Sie werden das Zimmer nicht verlassen können!“, meinte der Sprecher der Stummen.
Blum stand auf und tastete sich zur Zimmertür. Diese ließ sich nicht öffnen. Er rüttelte wild an der Klinke. Er begann zu fluchen und gegen die Tür zu treten. Nichts half. Er warf einen Blick zum Fenster. Aussichtslos. Sie befanden sich im sechsten Stock. „Nehmen Sie wieder Platz!“, sagte eine lieblich klingende Frauenstimme. Blum war überrascht. Oder besser geschockt.
„Bitte!“, kam die nochmalige Aufforderung. Blum tastete sich zur Gruppe zurück. Zwei können sprechen. Ein Mann und eine Frau. Diese Tatsache beruhigte Blum etwas. Eine Frau gehörte zu diesem seltsamen Zirkel.
Vielleicht lässt sie mit sich reden und verrät ihm, wie er diesen Raum verlassen könnte. „Wissen Sie, ich werde erwartet!“, sagte er in Richtung der Frauenstimme.
„Das werden wir alle!“, sagte sie.
Blum setzte sich und stützte seinen Kopf, der im Moment Tonnen wog, auf seinen Händen ab. Die Ellenbogen in die Oberschenkel gebohrt.
„Sollten Sie ein großes oder ein keines Paket abholen?“, fragte eine fiepsige Stimme, die sich nach Kind anhörte.
„Ich habe keine Ahnung!“, sagte Blum. Jetzt hatte er alle drei Stimmen der Anwesenden gehört. Er musste jetzt nur bis zum Morgen warten, um die Sprecher zu sehen. Das war alles. Dann würde er einen Weg aus diesem Zimmer finden.
Blum lehnte sich im Sessel zurück und schloss die Augen. Er wusste nicht wie und warum, aber irgendwann hatte er das Gefühl, als stünde jemand direkt neben ihm. Er öffnete die Augen und konnte nichts und niemanden erkennen. Es war dunkel und es wurde zunehmend kälter.
Blum hatte keine Ahnung, wie spät es war und ob sich der Morgen endlich näherte. So langsam wurde er wütend.
Er war eingesperrt und dazu verdammt, mit irgendwelchen Leuten die Nacht in unbequemen Sesseln einer Sitzgruppe zu verbringen. Nichts ergab einen Sinn.
Er vernahm ein Geräusch an der Tür. Die anderen bewegten leicht ihre Köpfe als Zeichen, dieses Geräusch ebenfalls vernommen zu haben. Ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht und die Tür einen Spalt geöffnet. Ein vertrautes Klicken war zu hören. Der Lichtschalter wurde betätigt. Ohne Erfolg. Eine kleinere Gestalt näherte sich der Gruppe. Unter den vier Sitzenden wurde eine Spannung spürbar. Jeder fühlte das Kribbeln auf seiner Haut. Die Erwartung der Erlösung aus dieser misslichen Lage. Die Gestalt blieb stehen. Nichts rührte sich. Niemand wagte zu atmen.
Dann: „Ist jemand hier?“ „Ja!“, sagte Blum.
„Gott sei dank!“, erwiderte der Mann. Ich dachte, es sei alles umsonst gewesen!" Nach einer kurzen Pause sagte er: „Ich soll ein Paket abholen. Herr Stahl von der Stadtverwaltung schickt mich!“
Im Moment knallte die Zimmertür, und die kleine Gestalt drehte sich um.
Neben Blum stand ein fünfter Sessel.
„Setzen Sie sich!“, sagte Blum. Der Fremde zögerte. Er sah in Richtung der Gruppe. Dann machte er einen Schritt. In diesem Augenblick begann das Zimmer zu beben. Ein kräftiger Sturm. Vielleicht war es die U-Bahn!
Die Lichter der Stadt waren lange erloschen. Der Tag schien in weiter Ferne. Es trommelte gegen das Fenster. Es war kein Regen.

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Wow, richtig gruselig! Eine wirklich gute Horrorgeschichte, finde ich. Ich würde nur ganz wenige Dinge anmerken:
Die höflichen "Sie"s wie in „Setzen Sie sich!“ sind hier alle kleingeschrieben, bitte korrigieren.
Es könnten einige Stellen korrigiert werden wie

Das war bestimmt als ein Satz geplant. Oder

Das ist eine Frage, also Fragezeichen am Ende.
Und vielleicht könnte man die Lesbarkeit erhöhen, indem die wörtlichen Reden nicht hintereinander aufgereiht werden, sondern pro Sprecher eine neue Zeile begonnen wird.

Ansonsten wirklich eine toll unheimliche Atmosphäre! Ich werde lieber nirgends mehr ein Paket abholen gehen … :wink:

Krass! Ich mag keine Gruselgeschichten, aber die hier hat mich erreicht. Was mir alles beim Lesen durch den Kopf ging … Es wären Leichen in den Sesseln drapiert worden, er träume nur, er bekam ein Überraschungsgeschenk, nämlich, dass er nichtsahnend bei einem Stehgreifspiel mitmachen durfte …
Du spielst mit dem Verstand der Leser. Das ist ja mal ein klasse Thriller und dann noch ohne Blut. Danke für das Lesevergnügen.

Danke, liebe Leah, bin überwältigt von deiner Kritik! LG

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Hallo CO2, ich danke Dir für Deine konstruktive Kritik. Die Fehler wurden behoben. Hin und wieder schreibe ich schnell und denke langsam. Etwas mehr Konzentration! Vielen Dank!