Ein Kapitel aus meinem aktuellen Romanprojekt. Darin versuche ich, den Tod von zwei Jugendlichen zu beschreiben, ohne darauf hinzuweisen, dass sie tot sind:
Zwei Tage nach dem unheimlichen Trockengewitter, kurz nach Mittag, betrat Maria Rossi-Grecco das Zimmer mit einer Behutsamkeit, als hätte sie Angst, sie könnte Vögel aufschrecken oder Geister, oder einen Windstoß auslösen, der etwas durcheinanderwirbelte.
Gestern hatte sie das Zimmer gereinigt und gereinigt und gereinigt und dann hatte sie es abgeschlossen. Jetzt roch es nach Möbelpolitur und dem Eukalyptusbaum, der vor dem offenen Fenster stand. Der Raum war groß und die eine Seite spiegelte die andere Seite wider: Da war ein Einzelbett mit buntem Bettzeug (aber nichts zu Kindisches drauf), daneben ein Schreibtisch mit einem Laptop und einem großen Monitor. An der Wand über dem Schreibtisch waren Poster befestigt. Links sah man das Filmplakat von Fast V, rechts hing eine Weltkarte, ein Holzstich aus dem sechzehnten Jahrhundert. In den Schreibtischladen, die sie bis gestern nie durchsuchte, gab es Magazine mit nackten, jungen Mädchen, Magazine mit Fahrrädern und wie man sie selbst reparieren konnte, und im rechten Schreibtisch eine Blechdose mit drei fertig gedrehten Joints, mit einem Gummiband zusammengehalten. Auf dem rechten Tisch lag eine Schreibunterlage und darauf ein großes Buch über Glasbläserei. Auf dem linken Tisch stand ein alter Laptop, auf dessen Deckel ein Sticker der örtlichen Ersthelfergruppe klebte, der Misericordia di Montaione. Die Tische schlossen an zwei wandgroße Schränke an, die direkt beim Fenster standen. Darin war all das Zeug, das Jungs in dem Alter trugen: Sportsocken und Boxershorts, lockere Jeans mit Rissen und Löchern, Nietengürtel und Ledergürtel, Unmengen an T-Shirts, Jeanshemden, Kappen und Bandanas, Plastiksonnenbrillen, Sweater und Trainingshosen. Und je eine schenkellange, schwarze Badehose, gewaschen und gebügelt. Umhängetaschen aus Leinen mit Aufdrucken der örtlichen Schule, des Istituto Comprensivo Giovanni Gonnelli.
Es war so, als seien sie noch hier und würden sich nur hinter einem Blinzeln verstecken, um sie zu necken.
Sie blieb in der Tür stehen und wagte nicht, einzutreten. Der Raum war ein Sanktuarium. Ein Nest, in dem das Zerbrechlichste und Wunderbarste aller Zeiten gefangen war. Und jetzt, als sie einen Schritt nach hinten machte und die Tür behutsam schloss, stieg das Nest in den Himmel und segelte mit den Wolken davon.
Ich hoffe, es ist sanft berührend.
lg/Peter