Ihr Abgrundguten! Meine Nr. 5 ist abgeschlossen. Nur noch zwei Testleser - werte Kollegen aus dem Forum - etwas mit 1000er Schleifpapier durch. Fertig. Passend zum Frühjahr kommt es raus. Ich sag Euch dann noch einmal Bescheid.
Ich gebe Euch mal den vorläufigen Klappentext:
Lothar Kotzmann wird von einer geheimen Organisation unter dem Namen Jens Uwe Schmidt in ein Mietshaus eingschleust. Sein Auftrag: Unfrieden stiften. Anfangs funktionieren seine Intrigen nicht so recht, aber dann ist die Mieterschaft heillos zerstitten. Lothar kann jedoch fühlen - irgendetwas stimmt da nicht. Nur was?
Dieser Roman ist recht dialoglastig, aber es gibt auch erzählerische Stellen. Hier eine meiner Lieblingsszenen.
Rosinen
Lothar Kotzmann mochte seinen Job - leistete er doch so wichtige Arbeit für die vielzitierte Gesellschaft. Jedoch nur in der Gesamtschau. Man musste das Ziel sehen und dann das Ergebnis, nicht die einzelnen Teile. Wenn er auf die Details achtete, machte sich kein schönes Gefühl in seiner Brust breit. Shania Büttel gewissermaßen zu verraten, war nicht schön, unbestritten. Eine alleinerziehende, deutsche Mutter, die ihr Leben gerade eben so zu meistern schien. Was konnte sie für die bescheuerten Väter ihrer Kinder? Aber es musste eben sein. Andere Teile seiner Aufgabe, wie das analysieren und fragmentieren der einzelnen Charaktere seiner Klienten, fand er spannend. Und was hatte Dr. von Kastelroth über Rosinen gesagt? „Mein lieber Kotzmann, man darf sich im Leben nicht immer nur die Rosinen aus dem Kuchen herauspicken!“ Darüber hatte Lothar in den stillen Stunden langweiliger Observierungen lange nachgedacht. Dr. von Kastelroth zu fragen, war kaum möglich; wenn der Herr Doktor etwas sagte, erschien es immer so massiv und unverrückbar wie die Reiterstatue vor dem Rathaus. Aber wie war das denn jetzt gemeint mit den Rosinen? Lothar entwickelte eine krude Theorie incl. aller seltsam anmutender Gesetzmäßigkeiten. Nicht alle Fragen konnte er sich beantworten, aber er hatte sie immerhin gestellt. So wie der Weg das Ziel war, das Ziel jedoch nicht das Ziel, sondern der Weg, oder vielleicht doch das Ziel. Und ohne den Weg würde es ja auch gar kein Ziel, das genaugenommen keines war, existieren. Oder so. Das war jedoch ein anderes Problem, zurück zu den Rosinen. Wenn Lothar es richtig kapiert hatte, standen die Rosinen für das Gute, bzw. das, was man persönlich als das Gute empfindet. Alles andere um die Rosinen herum, war das Schlechte. Nein, so jetzt auch nicht, in diesem, hm, Sprichwort ging es schließlich um Kuchen, also bitte! Aber um es nicht noch komplizierter zu machen, teilte Lothar einfach in Gut und Schlecht. Oder Rosinen und, äh, Teig. Und man besaß nicht das Recht – nein, besser, man hatte die verfickte Pflicht, den ganzen Kuchen zu fressen! Aber wann durfte man was fressen? Gab es eine bestimmte, begrenzte Anzahl an Rosinen, die einem im Leben zustand? Oder musste man sich im gleichmäßigen Wechsel Teig und Rosinen in den Schlund stopfen? Wenn man beispielsweise ein tolles Abi gemacht hat und gern Psychologie (Rosine) studieren will, ist das nicht möglich, weil man ja bereits ein tolles Abi – ebenfalls eine Rosine - gemacht hat. Also studiert man BWL oder Elektrotechnik (Teig), weil man das nicht leiden kann. Nach dem Studium bekommt man ein supi Jobangebot (Rosine) und lernt eine streitsüchtige, bucklige Frau kennen (Teig), die man leider heiraten muss, weil jetzt turnusmäßig gerade Teig dran ist. Vielleicht sollte man mit dem Kennenlernen einer tollen Frau warten, bis endlich wieder Rosinenzeit ist? Man könnte sich ja auch nach dem supi Jobangebot ein mieses Auto kaufen, eine olle Rostlaube, z. B. einen vierzehn Jahre alten Renault Clio (Teig), um die ersehnte Rosinenphase heraufzubeschwören. Was sprach denn eigentlich überhaupt dagegen, dass man sich immer nur das Beste heraussuchen will? Was sprach gegen ein tolles Abi, eine schöne, liebe Frau und einen Mercedes SUV? Aber wer würde dann noch BWL studieren und die bucklige, fiese Frau heiraten? Es war verwirrend und Lothar verstand es nicht. Letztendlich sedierte er diesen kritischen Teil in sich mit dem Begriff Pflicht. Ohne Wertung, keine Rosinen, kein Teig, einfach nur Kuchen. Und wenn man Glück hatte, erwischte man ein paar Rosinen. Aber ab und zu musste er mit Jemanden über dieses und anderes sprechen, der nicht zum Verein gehörte.
Frau Gertrude Braun
Lothar hatte sich schnell und intensiv in die Unterlagen eingearbeitet. Er hatte es einfach drauf. Man konnte zwar kaum behaupten, er hätte ein eidetisches Gedächtnis, aber er verfügte schlicht über ein gutes Merkvermögen. Die Vitas waren nach dem ersten durchlesen weitgehend abrufbar. Dieses Mal sollte es keine Einzugsparty geben, diesmal nicht. Es war immer so leicht gewesen, auf diese Weise alle gleich live kennenzulernen, aber dieses Mal wollte er sich zurückhaltend von hinten heranpirschen und dann zuschlagen. Altes Gesetz der Savanne: Von der Herde abschneiden und separat fertigmachen. Meist wurde von den Seminarleitern von dieser Methode abgeraten, weil so viel psychologische Zusammenhänge zwischen den Mietern verloren gingen. Aber nein, dieses Mal wollte er es sich nicht zu leicht machen und die Herrschaften einzeln vornehmen, nicht im Rudel.
Wo sollte er anfangen? Er ging kurz die Biographien durch. Seine Wohnung befand sich im Erdgeschoß, also erschien es ihm am naheliegendsten, sich bei den Mietern auf seiner Etage zuerst bekannt zu machen. Die Wohnung links von seiner: Frau Gertrude Braun, 78 Jahre alt, Wohnung 1 c, Erdgeschoß, Witwe, gelernte Krankenschwester zu einer Zeit, als man sie noch Karbolmäuschen nannte. Beinahe 45 Jahre verheiratet, ihr deutlich älterer Mann starb vor wenigen Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Laut Rentenbescheid und Kontoauszügen bezog sie eine wirklich kleine Rente; abzüglich der Miete und Nebenkosten blieben ihr gerade einmal 264,56 € im Monat zum Leben. Trotzdem gab es einen Dauerauftrag zugunsten des hiesigen Tierheimes in Höhe von monatlich 5 €, und sie besaß einen bösartigen Pudel, mit dem die Kollegen beim Observieren bereits schmerzhaft Bekanntschaft gemacht hatten. Warum tun Menschen so etwas? fragte sich Lothar. Kaum etwas zu beißen im Kühlschrank und dann für irgendwelche Scheißtölen eine Dose Chappi finanzieren? Wenn er eines weniger leiden konnte als Kinder, waren das Hunde. Oder Fische. Frau Braun ernährte sich vorwiegend von Kartoffeln, Nudeln und Tütensuppen. Ihre Kassen-bons erzählten eine traurige, vitaminarme Geschichte.
Eine Deutsche Rentnerin. Das hatte doch Potential! Lothars Wohnung direkt gegenüber, 1 a, behauste Philipp Ogobagwe, der Afrikaner. Den würde er bei der Kennenlernklingeltour komplett auslassen. Vorerst. Die Reihenfolge, die Reihenfolge war so entscheidend! Lothar schellte bei Frau Braun und das erste, was er hörte, war das giftige Gebelle eines Hundes. Er musste eine Ewigkeit warten, bis die alte Dame die 5000 Trippelschritte zur Wohnungstür geschafft hatte. Sie öffnete zögerlich die Tür einen Spalt und hielt mit einem thrombosestrumpfbewehrten Schienbein eine orangefarbene Töle zurück. Sie schrie routiniert gegen das schrille Gekläff des Köters an, der verzweifelt versuchte, durch den Türspalt hindurch ein Stück von Lothars Hose zu erwischen. „Was ist denn? Putzi aus!“ „Frau Braun?“ Er wies mit einem Daumen andeutungsweise auf ihr Klingelschild, damit die alte, senile Schachtel gleich wusste, woher er ihren Namen kannte. „Frau Braun, ich bin ihr neuer- “
Frau Braun winkte ab, und drehte sich weg. „Putzi! Aus!“ Putzi schien das jedoch überhaupt nicht zu interessieren. Lothar konnte das böse Klappen der Hundekiefer hören. „Ich muss erst den Hund wegsperren!“ schrie sie ihn an. Die Tür schloss sich wieder und Lothar musste warten. Dann versuchte er es erneut. Oma Braun eins die Zweite.
„Ich bin ihr neuer Nachbar und wollte mich mal kurz vorstellen! Mein Name ist Jens Uwe Schmidt! Ich bin Vertreter für Aquaristik.“ „Was ist das denn?“
Sie starrte ihn über den Rand einer Lesebrille fragend an. „Ich verkaufe Aquarien, diese Glasdinger, in denen Fische leben.“ Er sprach unwillkürlich lauter, alte Leute hören ja immer schlecht. „Ich weiß, was ein Aquarium ist, ich bin ja nicht blöd! Und Sie brauchen mich nicht anzuschreien! Sind Sie der Nachmieter von Frau Vossenkuhl?“ Lothar war kurzfristig aus dem Ruder, von einer Vormieterin namens Vossenkuhl hatte nichts im Dossier gestanden. „Vossenkuhl? So hieß die Dame? Ich habe sie nie kennengelernt. Ich wollte mich nur kurz vorstellen. Man sollte schon wissen, wer neben einem wohnt, oder?“ Dazu rollte er mit den Augen in die Richtung der Wohnungstür des Mannes aus Ghana. Fritz Lang wäre beeindruckt gewesen. Frau Braun eher nicht. „Ach, wir sind hier schon eine ganz nette Gemeinschaft im Haus.“ Noch, dachte Lothar. „Und das finde ich auch richtig, richtig toll. Ich wollte Ihnen nur anbieten – wenn Sie Hilfe brauchen, eine Glühbirne wechseln, oder so – wenden Sie sich vertrauensvoll an mich.“ Frau Braun blieb stur. „Dafür gibt es einen Hausmeisterservice.“ Lothar blieb dran. „Oder einkaufen -?“ „Das macht der Phil schon!“ „Oder den Müll herunter - ?“ „Das macht auch der Phil.“ Jetzt war er verwirrt. „Wer ist denn der Phil?“ „Na, der Herr Oko, Ogo, na, der Phil halt! Er hilft mir und ich mache dafür seine Wäsche!“ Lothar war überrascht, ein schwarzer Mann war der Betreuer einer alten Dame. Hier würde es einiges zu tun geben. „Na, das ist ja toll! Man muss eben zusammenhalten in dieser unseren Zeit, gell, Frau Braun?“
„Was denn für eine Zeit?“ „Na, diese!“ Frau Braun schien ein harter Knochen zu sein. Ethnische Solidarität gepaart mit weicher Birne. Aber auch Knochen kommen in die Suppe. Nach dieser ersten, schwierigen Annäherung verzichtete Lothar Kotzmann erst einmal darauf, Familie Brockstedt zu kontaktieren.
Binbingbing! Ring frei!