Chronologisch oder sehr lange Rückblende?

Servux,

ich sitze gerade an einer Geschichte, die einen relativ wichtigen Anfang hat, welcher 10.000 Jahre in der Vergangenheit liegt und eine größere Geschichte in der Geschichte darstellt. Diese ist in sich geschlossen, für das Verständnis des größeren Teils der restlichen Story jedoch äußerst wichtig. Würde Ihr diese Ursprungsgeschichte an den Anfang zu stellen oder mitten in der Kernstory wie eine Art Rückblende als eigene Geschichte nutzen, um die Geschichte selbst an ggf. geeigneter Stelle zu unterbrechen (z.B. durch das Auffinden von Artefakten, die die Geschichte erzählen?)

Grüßle

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Ist diese Vorgeschichte für den Verlauf der Hauptgeschichte essentiell, würde ich mit einem Prolog arbeiten.
Grüße (^-^)/"

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Also ich denke, das ist im wesentlichen Geschmacksache. Allerdings geht meine Erfahrung dahin, das Leser einen vorgestellten Prolog gerne mal nicht lesen. Zumindest nicht am Anfang.

Meine favorisierte Vorgehensweise wäre, die Infos in die eigentliche Geschichte einzubauen. Eher nicht als Rückblende, sondern als Teil der Handlung.

„Warum gibt es Drachen?“, fragte der junge Protagonist.
„Willst du das wirklich wissen?“, entgegnete sein alter Mentor mit dem grauen Bart. Er zog den Weinkelch zu sich heran und schenkte sich aus dem Krug eine großzügige Portion nach. „Das ist eine lange Geschichte, weißt du?“
Usw, usf.

Die Infos auf so eine Art zu erzählen, hat für mich gleich mehrere Vorteile: erstmal ist es lebendiger zu gestalten. Dann kann der Protagonist immer mal nachfragen und so die dummen Fragen stellen, die dem Leser auf der Zunge brennen. Auch sind Abschweifung oder Pausen möglich, wenn es sonst zu langweilig zu werden droht. Und es erhöht die Identifikation des Lesers mit dem Protagonisten, weil er die Infos zusammen mit ihm erfährt.

Aber, wie gesagt, letztendlich ist es Geschmacksache oder eben die Frage, wie es zur Geschichte am besten passt.

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Die Geschichte selbst sprengt den Rahmen einer normalen Trilogie, aktuell läuft es auf einer Serie mit mindestens fünf Staffeln hinaus. Diese Vorgeschichte könnte ungefähr eine Staffel einnehmen. Mit der Geschichte an Anfang nähme ich mir jedoch selbst einen Überraschungseffekt und die Handlung ist an und für sich in sich abgeschlossen. Aufgrund des Umgangs könnte ein Prolog nicht infrage (Wer will schon einen Weltkrieg mit Vernichtung der Menschheit im Prolog)? :blush:

Ich denke, ich werde es als eigene Staffel mit vorherigen Zufallsfunden einbauen, vielleicht bekomme ich so vor dem finalen Konflikt noch einen interessanten und ablenkenden Spannungsbogen kreiert…

Das Schwierige ist, diese Vor-Geschichte dem Leser emotional nahe zu bringen. Ich habe beides erlebt. In dem „hochgelobten“ children of time, wird am Anfang die Menschheit vernichtet. Dazu zoomt der Autor an einen Konflikt heran, der den Wendepunkt in der Zivilisation bildet. Sie wollen Planeten kolonisieren, stattdessen wird hier der Krieg ausgelöst. Die Szenerie ist relativ kurz. Dramatisch wird sie, weil die Funkverbindungen nach und nach aufhören.
Dann wird schon 1000 Jahre in die Zukunft gesprungen, wie die verzweifelte Menschheit mit dem Resten der Welt ein „langsames“ Kolonieschiff baut und zu einer erdähnlichen Welt fliegt, die sie auf antiken Sternenkarten fanden.
Es war gut gemacht, aber emotional hat es mich wenig berührt.

Je älter der Konflikt, desto ferner fühlt er sich an. Sehr schlau fand ich es im Computer Spiel Mass Effekt. (Achtung Spoiler) Dort hat ein Maschinenvolk, dass zwischen den Sternen wartet, unsere Sternensysteme vorbereitet und mit Überlichtstargates verbunden. Sobald leichte Raumfahrt entwickelt wurde, nutzte man diese erstaunlich einfach zu nutzenden Portale um andere Sternensysteme zu besiedeln. Genau wie vorhergesehen.
Irgendwann tauchen diese Reaper auf, besiegen die biogischen Lebensformen und ernten sie. Lassen ein paar übrig, die sich dann wieder Ansiedeln. Alles in riesigen Zeiträumen.

Diese Geschichte erfährt man in kleinsten Schnippseln. Sehr dramatisch ist, als man einen Bunker findet, indem Kolonisten kryokonserviert diesen Konflikt aussitzen wollten. Sie dachten, das alles dauert so 50 Jahre. Nach 350 Jahren bekam die KI, welche die Reaper beobachtet, Energieprobleme und begann „unwichtige Kolonisten abzuschalten“ 600 Jahren später weckte die KI die hellsten Köpfe auf. 8 Wissenschaftler,die schlausten, unfähig sich zu vermehren oder an den leeren Planeten noch was zu retten.
Als einzige Überlebende ziehen sie herum und verteilen Hinweise, Warnungen vor den Reaper , an die zukünftige Generation, die Hinweise, die man die ganze Zeit findet.
Das fand ich ausgesprochen episch. Aber hier ist die Story wie ein Krimi aufgebaut. Die Hintergründe zu erfahren, ist ein Teil der Handlung.

Wenn bei deinem Buch der Hintergrund so wichtig ist, dass er Teil der Handlung sein kann, würde ich ihn auch schnippselweise hergeben. Ist er nur ein Fakt. „Warum ist unser Mond halbiert?“ „Damals lebten zwei Völker…“ Kann man das eher kurz halten.

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Gehe doch deine Überlegung mal mit folgender Frage an: Wie werden »Geschichten«, die für die Gegenwart äußerst wichtig sind, unser Leben prägen, »erzählt«?
Werden Geschichten nicht von Anfang bis zum Ende erzählt, erhalten aber durch Erkenntnisse laufend neue Aspekte?

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Mit dieser Frage habe ich mich auch herumgequält.

Ich glaub, das hängt einerseits von deinem Geschmack ab, von deiner Einschätzung, ob deine Leser:innen mit so einer langen Rückblende klarkommen und wie das Verhältnis von langer Rückblende zum restlichen Text ist. Also, kommt das etwas bei 50:50 raus?

  • Zur Geschmacksfrage: Als Argument für „flechte kleinere Rückblenden ein“ spricht, dass Leser:innen den direkten Zusammenhang herstellen können, während sie im anderen Fall sich daran erinnern müssen („Ach ja, vor hundert Seiten war das was.“). Kommt vielleicht darauf an, wie wichtig die Info ist, um die Gegenwart zu verstehen (wäre doch schade, es ginge unter). Ich hab am Ende beides gemacht. Einen etwas längeren Rückblick. Aber ein paar kleinere Rückblicke weiter hinten.
  • Ob Leser:innen damit klarkommen? Schreibst du für die Netflix-Gucker? Dann nein. Die lesen dann vielleicht dein Buch nicht am Stück, sondern immer mal wieder. Wenn du dann essentielles im langen Rückblick stehen hast, was wichtig für die Haupthandlung ist, steigen ein paar Leser:innen wahrscheinlich irgendwann aus. Aber der Nachteil aus meiner Sicht für „Alles als Rückblende“: Es wirkt so ‚offensichtlich hingeworfen‘ (hier, schau mal, das hängt zusammen). Ist doch schade für Leser:innen, wenn sie nicht selbst auf diese Zusammenhänge kommen dürfen, oder?
  • Wenn die Länge deiner Rückblende und die Länge der Haupthandlung 50:50 entspricht, könntest du die Kapitel so staffeln, dass nach einem Rückblenden-Kapitel ein Haupthandlungs-Kapitel kommt. Aber wer kennt das Verhältnis schon, solange es nicht fertig ist?

Meine etwas längere Rückblende macht 25% vom Buch aus (wahrscheinlich weniger - 5 Kapitel von 21, die aber nicht so lang sind wie der Rest). Ein kleineres Rückblenden-Kapitel habe ich am Ende doch als „Flashback“ an der Stelle eingebaut, an der es Sinn gemacht hat. Weil ich etwas erstens nicht so früh verraten wollte, es zweitens essentiell war, dass die Leser:innen den Zusammenhang herstellen können und es drittens dadurch emotionaler wurde.

Nun befürchte ich trotzdem immer noch, dass mir am Ende jemand sagt: Die Rückblende am Anfang ist zu lang.

Last, but not least, meine Empfehlung wäre, dass du mit der Haupthandlung beginnst. So dass wenigstens das Setting und das Thema einigermaßen klar ist und einige Figuren eingeführt wurden. Denn der Anfang spielt ja schon eine große Rolle, wenn es darum geht, Leser:innen neugierig auf den Roman zu machen. Ich lese in der Buchhandlung auch immer die ersten zwei Seiten und wenn ich dann direkt 10.000 Jahre zurückgeworfen werde, kriege ich wahrscheinlich einen falschen Eindruck, worum es geht. :wink:

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Ich würde mich zuerst einmal fragen, ob denn die Vorgeschichte packend genug ist, um jemanden in die Story hineinzuziehen. Wenn das der Fall ist, könnte es sogar seinen Reiz haben, nach dieser Vorgeschichte in eine (hoffentlich ähnlich packende) Hauptgeschichte zu übergeben.

Wenn diese Vorgeschichte allerdings nicht packend ist, würde ich empfehlen, sie in Informationshäppchen aufzuteilen. Und mal zu schauen, ob man sie kürzen könnte. Du hast nichts dazu geschrieben, wie lang denn die Vorgeschichte ist.

Da du von Artefakten sprichst - vielleicht könnte es irgendein magisches Artefakt geben, das die Vorgeschichte irgendwie erzählt - vielleicht sogar in Abschnitten.

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Interessanter Ansatz - ich weiß jetzt, wie ich es handhaben werde: Weder als Rückblende im eigentlichen Sinne noch als vorangestellte Geschichte. Vielmehr werde ich aufgrund des großen Umfangs diesen Teil der Geschichte durch Forschungen erkunden lassen - ein paar weitere Protagonisten decken die Vergangenheit auf, die also solche „Detektivarbeit“ auch dem Leser bekannt wird. Damit habe ich keine eigentliche Rückblende, der zeitlich enorme Sprung fällt weg (10 000 Jahre später ist schon etwas arg, wenn die restliche Geschichte sich auf einige Jahrzehnte konzentriert) und ich kann von Anfang an Schnipsel einbinden, die diesen Teil der Geschichte vorbereiten. So habe ich auch das Potenzial, diesen Teil der Geschichte später noch einmal eigenständig zu etwas Eigenem auszubauen.

Ich danke Euch für den Gedankenaustausch, so kommt man doch immer wieder auf tolle Ideen :slight_smile:

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Brandon Sanderson „zerlegt“ in einer seiner Serien die Vorgeschichte in kleine, etwa halbseitige, Abschnitte und stellt sie einfach an den Anfang jedes Kapitels. Dabei geht er nicht chronologisch durch die Vorgeschichte, sondern pickt jeweils den Aspekt heraus, der für das Kapitel von Bedeutung ist.
Man kann das mögen oder nicht, es ergibt aber auf jeden Fall ein interessantes „Puzzelspiel“, bei dem sich die Vorgeschichte erst nach und nach zusmmensetzt.
Ein Kunstgriff dabei ist: die Vorgeschichte wurde aufgeschrieben und diese Texte werden erst später entdeckt. Allerdings geht er nicht so weit, dass die Kapitel-Schnipsel dann dem jeweils entdeckten Text entsprechen. Das eigentliche Entdecken der texte kommt in der Hauptgeschichte auch kaum vor. Es wird nur soweit angerissen, dass man als Leser eine gewisse Vorstellung entwickelt, wo denn die Kapitel-Anfangs-texte herkommen.

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Das ist ein interessantes Thema, das auch mich sehr lange beschäftigte, obwohl es in meinem Roman keine Zeitspanne von 10.000, sondern lediglich von 100 Jahren gibt, die sich aber auf die Protagonisten unterschiedlich auswirkten und verschiedene Handlungsstränge ergaben.
Die Kerngeschichte umfasst gerade mal einen Zeitraum von sechs Monaten und wird im Präteritum erzählt. Um diese herum gibt es eine Rahmenhandlung, die 50 Jahre später spielt, und die im Präsens geschrieben, aber auch die Kerngeschichte als Epilog, Prolog und drei Intermezzi unterbricht.
Innerhalb der Kerngeschichte gibt es Rückblenden der Protagonisten in Form von Monologen und Dialogen - eine davon auf einen Zeitraum von 70 Jahren, eine auf einen von 30 Jahren, eine auf einen Zeitraum von 4 und noch einen von 40 Jahren. Die beiden letzteren werden u. a. durch Briefe dargestellt, die sich kursiv vom übrigen Text abheben.
Hört sich alles fürchterlich kompliziert an, klappt aber ganz gut, wie meine Testleser:innen versicherten.

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Das klingt auch nach einer guten Lösung. Aktuell läuft es bei mir darauf hinaus, dass ich die Vorgeschichte extrem zusammenstreiche, die für das Verständnis notwendigen Vorgänge durch das Auffinden von Artefakten bzw. auch durch aktive Forschung rekonstruieren lasse und die eigentliche Vorgeschichte, die selbst einen eigenen Roman füllen könnte, zu genau solch einem mache.

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Bei Dune wird es ja ähnlich gemacht. Auch durch die permanenten Zitate am Anfang der Kapitel.
Hat mich allerdings endlos genervt. Ich bin kein Fan von endlosen historischen Vorgeschichten. Ähnlich, wie ich Prophezeiungen nicht mehr lesen kann.
Wenn es für die Geschichte existenziell ist, wäre auch eine Zweiteilung möglich. Jedes 2. Kapitel erzählt die Vorgeschichte. Andy Weir macht es z.B. in „Project Hail Mary“, wo die aktuelle Geschichte eines Astronauten (spannend!!!) erzählt wird und die Vorgeschichte „Wie kommt ein Englischlehrer ins All“ (langweilig) dazu beschrieben wird. Meine Wertung ist subjektiv gemeint.

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Du meinst die Sturmlicht Chroniken nehme ich an. Ich bin ein großer Freund von Sandersons Büchern im Fantasy Genre. Die Zitate zum Beginn eines jeden Kapitels finde ich aber nixsagend. Sie werden ja nicht wirklich aufgelöst. Da finde ich die Visionen von Dalinar in den ersten Büchern zielführender, um die Vorgeschichte weiterzuführen. Denn das erste Buch der Serie hat durchaus einen Prolog.

@BanditenLord Sofern ich es im Thread nicht überlesen habe, gibt es auch die Möglichkeit mit zwei Zeitsträngen zu arbeiten. Als sehr gelungen empfinde ich das in Markus Heitz’ Des Teufels Gebetbuch.

In der Geschichte geht es um das Zusammensuchen eines Kartenspiels in der heutigen Zeit. Im zweiten Zeitstarng geht es um die Entstehung dieses Kartenspiels in der Vargangenheit.