Charaktere unsympathisch gestalten

Guten Morgen!

Ich überarbeite gerade eine Szene, in der eine Nebenfigur auftritt, die unsympathisch wirken soll. Und habe festgestellt: Im ersten Entwurf kam sie mir einfach nicht unsympathisch genug rüber. Erschwerend finde ich bei dieser speziellen Szene den Point of View; die Figur betrachtet sich ja nicht selber als unsympathisch. Also geht es darum, seine Geisteshaltung zu transportieren; in seinen Kopf zu schlüpfen und den Typen sozusagen für den Leser zu enttarnen.

Wie schafft Ihr das? Welche Tricks und Kniffe wendet Ihr an, um eine Figur unsympathisch zu zeichnen? Damit meine ich nicht einen abgrundtief hassenswerten Charakter, sondern einfach einen, der schlicht unsympathisch ist. Nicht mehr, nicht weniger. Dieses Dazwischen ist es, was ich schwieriger zu gestalten finde als zB die Darstellung meiner Antagonisten.

Was mir bei meiner Szene aufgefallen ist: Allein die Wortwahl kann da schon viel ausmachen, finde ich. Seht Ihr das auch so?
Als Beispiel, was ich meine, ein Satz - der Charakter hat gerade Geld bekommen:
Nicht viel, aber genug, um auf dem Markt zu kaufen, was er dem Boden auf seinem Hof nicht abringen konnte.

So lautete der Satz in Version eins. Mein Problem damit: “abringen” klingt nach Mühe, die jemand investiert, und für die er hier nicht belohnt wird. Das führt - bei mir - automatisch dazu, daß ich mit ihm sympathisiere.
Daher wurde daraus bei der Überarbeitung:
Nicht viel, aber genug, um auf dem Markt zu kaufen, was der Boden auf seinem Hof sich weigerte hervorzubringen.
Das “weigern” transportiert hier - hoffe ich :wink: - eine Anspruchshaltung des Charakters, die ihn unsympathisch macht oder doch wenigstens keine Sympathie weckt.

Funktioniert diese Änderung in Euren Augen? Wie geht Ihr vor: mit Metaphern, Vergleichen, Wortwahl, Äußerlichkeiten, Handlungen - was nutzt Ihr alles, um Antipathie zu erzeugen? Gerne auch mit Beispielen - da lerne ich immer am meisten draus.

Bin gespannt!

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Hallo, @Buchling
vielleicht so: Gerade genug, um auf dem Markt zu kaufen, was er sein jämmerliches Stück Land nicht hergab.
Ich glaube, die Formulierung mit “weigern” finde ich zu umständlich, weil sie einen Infinitiv mit zu erfordert.

Ich lasse meine Figuren etwas tun, was sie unsympathisch wirken lässt. Aber niemand ist immer unsympathisch. Genau das macht für mich den Reiz aus. Auch mein Antagonist - ein wirklich fieser Typ - hat eine weiche Seite …
Aber meistens sind es seine Handlungen und/ oder Reaktionen auf dieselben (oder auf die Handlungen anderer), die bewirken, dass er unsympathisch rüberkommt.

LG
Pamina

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Stimmt, das klingt nach einem fleißigen Kerlchen, und fleißig ist in Good Old Germany natürlich positiv besetzt.

Das spricht eher für einen unsympathischen Boden, nicht für einen unsympathischen Bauern. Dann vielleicht eher “ihm verweigerte”, was implizieren könnte, das selbst der Acker den Bauern nicht leiden kann. Aber was wissen wir schon von der Objektivität von Humus, Lehm und Torf?
Ich manifestiere unsympathischen Helden eher in dem, was sie sprachlich so von sich geben, wie sie mit Menschen sprechen, oder auch in ihrer äußeren Erscheinung. Schmutzig und ungepflegt ist nicht schön, gerade in unserem adretten Kulturkreis.
Oder auch so:
“Der Herr Kolberger hatte vor Jahren unter Zuhilfenahme von einer Flasche Oldesloer Korn und 60 Zigaretten pro Tag beide Beine verloren. Jetzt saß er im Rollstuhl direkt auf seinen Eiern und verkaufte an seinem Kiosk Schnaps und Kippen.” Er gibt also das selbst erfahrene Elend gedankenlos - und vielleicht gehässig - an seine Mitmenschen weiter. Im weiteren Text stellt sich der Herr Kollberger als Spitzel heraus.
Deinen Ursprungssatz so umzuformulieren, dass man den Landwirt nicht mag, finde ich schwierig.

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Ich schließe mich da meinem Vorschreiber an. Beide Varianten lassen durchklingen, dass es die “Schuld” des Bodens sei und machen deinen Charakter nicht unsympathisch. Ich glaube, da musst du etwas drastischer formulieren:
Nicht viel, aber einfacher als selbst mit viel Schweiss dem Boden des Hofes etwas abzuringen.
oder sehr deutlich:
*Nicht viel, aber mehr, als seine unfähige Frau und die faulen Blagen aus dem Boden des Hofes herausholten. Er beschloss, ihnen nichts von dem Geld zu sagen. Diese Schmarotzer würden sonst nur ihre Pflichten vernachlässigen.
*
Kommt halt darauf an, ob du eine spezielle unsympathische Seite zeigen willst oder ob der Charakter einfach nur ganz allgemein unsympathisch rüberkommen soll. Was generell immer recht unsympathisch wirkt, sind unterschiedliche Maßstäbe an sich selbst und alle anderen (alle anderen sollen gefälligst großzügig sein, er selbst ist ein Knauser; andere sollen gefälligst arbeiten, er selbst frönt eher dem dolce far niente, etc.) oder mit völliger Selbstverständlichkeit Dinge denken und tun lassen (und in sich logisch erklären), die jedem normalen Menschen die Haare zu Berge stehen lassen (So kam er zu dem Schluss, seine Eltern umzubringen. Sie hatten schließlich ihre besten Jahre hinter sich und brachten keinen Nutzen mehr. Von dem Geld für den Hof könnte er sich ein neues Leben leisten und endlich dieses verfluchte Dorf hinter sich lassen.)
Das waren jetzt recht drastische Beispiele, aber Übertreibungen machen anschaulich.

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*Die Ernte auf seinem Acker war erneut unzureichend. Wieder musste er Geld auf dem Markt lassen, nur um auszugleichen, was dieser unfähige Lehmboden ihm nicht geben wollte. Dabei hatte er diesen Monat schon zu viel für Dirnen ausgeben müssen – aus selben Grund. Seine Frau, Agathe, war ihm ebenfalls unzureichend. Ackern und Weib gleich verdorrt. Er fragte sich, wer von beiden zuerst eingegangen war, um ihm das Leben zur Hölle zu machen. *

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Bäh, herrlich fies! :smirk:

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Krass! Und ich muss sagen: Ich kann den Kerl schon jetzt nicht leiden. Faul, egoistisch, und sicherlich ein mieser, brutaler Freier. Ziel erfüllt. Er ist aber auch ein absoluter Riesenarsch, sehr deutlich dargestellt.

Ich stimme Pamina22 absolut zu. Auch die Flachpfeifen in meiner unmittelbaren Umgebung haben ihre Geschichte. Wir haben im Schrebergarten - ja, so alt bin ich schon :cry:slight_smile: eine Type, die sich immer beschwert und alle anscheißt, wenn er meint, der Rasen sei zu lang, das Gemüsebeet zu klein, die Holzhütte zu groß und nicht den Satzungen entsprechend, etc. Keiner kann ihn leiden, schon weil er auch sog. Freunden hinterücks ans Bein pinkelt. Darauf einmal angesprochen, wurde dieser Freund einfach als „Quasi-Freund“ umbetitelt. Wenn man seine Ehefrau kennelernt und mitbekommt, dass er zuhause absolut nichts zu melden hat, ahnt man, woher soetwas kommt.
Aber wir Autoren müssen nicht jedesmal eine Psychoanalyse liefern und die Intensionen eines Berufskillers damit begründen, dass es an seinem sechsten Geburtstag geregnet hat. Im Roman darf ein Arsch auch einfach ein Arsch sein. Ich selbst mache das mal so, mal so, wie es gerade paßt. Aber differenziert ist schon u. U. höhere Schule.

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Nebenbei: Du stellst hier immer mal Textfragmente ein, verehrter Stolpervogel, die ich recht spannend finde. Gibt es da mal ein bißchen mehr? Ich fühle mich leicht angefixt :confused:.

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Noch nicht. Aber 2021 wird es dann noch Neuigkeiten dazu geben. Ich sag Bescheid

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Also ich habe Mitleid mit ihm. Die Frau, im Alter frigide, herrisch und bösartig geworden, dazu ein Acker, der nicht einmal genug hergibt, um mit dem Ertrag die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Mir ist nicht ganz klar, wer oder was hier genau unsympathisch ist.

Der Mann selber wäre mir unsympathisch, wenn er durch eigene Handlungen missfällt, indem er beispielsweise aus Frust über den mageren Ertrag seine Frau schlägt oder auf die Kartoffeln pisst, bevor er sie auf dem Markt verkauft.

LG
ThAchi

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Ich verneige mich vor Deinem großen, weiten Herzen, verehrte ThAchi…

Unbedingt! Was wird es denn werden? Mit Fantasy kann ich leider gaaaar nix anfangen.

Es wird humorvolle SciFi in einer sehr nahen Zukunft. Eine „Schublade“ habe ich dafür nicht gefunden, ich muss wohl eine eigenen erstellen. Falls das dich nicht zu weit abschreckt, können wir zum Thema besser eine „Unterhaltung“ (PM) starten. Wir sollten da nicht weiter diesen Thread zweckentfremden :slight_smile:

Ein Storytwist ist ja immer drin.

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Wichtig ist grundsätzlich, dass selbst der größte Fiesling noch mindestens einen sympathischen Zug haben muss, und umgekehrt braucht der/die strahlendste Held(in) immer irgend eine Charakterschwäche. Sonst wird’s langweilig.
In Deinem Fall kannst Du die Figur dadurch charakterisieren, was sie über das Geld denkt und was sie damit anstellt.

Martin betrachtete seine schmutzigen Hände, seine Rechte befühlte die frischen Geldscheine. Viel war’s ja nicht. Aber es würde reichen, auf dem Markt die Kartoffeln und Steckrüben zu kaufen, die sein karger Acker nicht hergab. Es würde reichen für eine von Agathes faden Suppen.
Das Geld würde aber auch für die Kneipe reichen, für ein paar Bier mit Korn, die er sich sonst nicht leisten konnte. Und Rosi würde sich bestimmt freuen, ihn zu sehen.
Seine Hand befühlte den Apfel in seiner Tasche, den er als Proviant für die Strecke mitgenommen hatte. Ein kleiner Junge in Holzpantinen und kurzen Hosen kam vorbei. Martin hielt ihm den Apfel hin. „Hier - für dich.“ Der Junge strahlte, bedankte sich und biss hungrig hinein.
Kurz darauf betrat Martin den „Goldenen Krug“.

So ungefähr, ins Blaue formuliert.
Unsympathisch: er versäuft das Geld, statt dafür Mittagessen zu kaufen
Sympathisch: Er schenkt einem Kind einen Apfel

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“Viel zu wenig. Jetzt musste er wieder unnötig schuften, um auf dem Markt nicht nur den Ausschuss abzukriegen.”

Spannendes Thema, @Buchling!

Ich habe eine Figur mit nazistischen Zügen, aus deren Perspektive ich schreibe. Sie sieht sich selbst als den Heilsbringer, der weiß wie die Welt funktioniert. Einiges an Unsympathie entsteht (hoffentlich) durch die Dialoge. Darüber hinaus habe ich versucht, dieses Gefühl zu verstärken, anhand des Verhaltens der Personen um ihn herum. Als er zu seinem Auto zurückkommt, hat jemand “Verpiss Dich” in den Lack gekratzt, in einer Kneipe wird er angerempelt, wodurch er sein Bier über die Hose verschüttet. Das funktioniert natürlich nur in Kombination. Wenn er ein Mauerblümchen wäre, würde das wohl eher Mitleid hervorrufen. In Verbindung mit seiner krassen Selbstüberschätzung (und seinem eigenen Verhalten gegenüber anderen), hoffe ich, dass es ein bisschen dazu beiträgt, seinen Charakter zu zeichnen.

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[FONT=-apple-system]Ganz wichtiger Punkt. Dass ihm jemand das Auto zerkratzt, charakterisiert ihn nicht automatisch als unsympathische Person. Er kann sich ja z.B. auch für irgendeinen guten Zweck einsetzen, und irgendwelche Bösewichte wollen das nicht und mobben ihn deswegen auf diese Weise. Das würde ihn dann umso sympathischer rüberkommen lassen.
Du willst ihn ja als „Heilsbringer“ erscheinen lassen. Vielleicht hat er arrogante und überhebliche Züge, die andere Leute provozieren. Aber in diesem Fall sind diese Angriffe auf ihn bzw sein Auto eher hilfreich als Hindernisse, die er letzten Endes überwindet - und nicht, um ihn unsympathisch dastehen lassen.
Aber grundsätzlich hast Du Recht - die indirekte Charakterisierung ist sehr wichtig. Oder wie man am Theater sagt: „Den König spielen immer die anderen“. Heißt: die Majestätswürde ergibt sich zum großen Teil dadurch, dass alle ihm mit Respekt und Unterwürfigkeit begegnen.

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Vielen Dank für Euren Input!

Du hast recht, und Deinen Vorschlag finde ich gut! Wird geändert.

Ja, in Interaktion kann man Sympathie oder Antipathie recht gut hervorrufen. Der Satz oben stammte aus seinen Gedanken; er ist in der Szene alleine - vielleicht fiel es mir auch darum schwer.

Der Gedanke dahinter war: Wenn der Typ dem Boden aggressiv und mit einer unangebrachten Anspruchshaltung gegenübersteht, ist das arrogant und nicht sympathisch - aber dieser Gedankengang ist vielleicht zu subtil für einen einzigen Satz zu diesem Thema in der Szene.

Das stimmt. Aber es soll ja auch gepflegte Ätztypen geben :smirk:

Guter Hinweis :slight_smile:

Oh, das tut er - an anderer Stelle.

Bei den Schwächen der Helden bin ich bei Dir.
Bei den Fieslingen - ich weiß nicht. Ja, wenn es gut gemacht ist, kann ein Antagonist, dessen Handlungen man zumindest nachvollziehen kann, der an irgendeiner Stelle likeable ist, spannend sein. Meine beiden Antagonisten (der erwähnte Bauer ist keiner davon) leben von ihrer, ganz unterschiedlichen, Aggressivität und Gefahr. Bei beiden wird allerdings erklärt, wie sie wurden, wer sie sind. Wenn Dir das als Sympathie-Ansatz reicht, auch wenn dieser Ansatz schon lange verschüttet und vernichtet ist?
Ich habe durchaus schon Bösewichte gelesen und gesehen, die tatsächlich rein böse waren - aber dadurch nicht eindimensional. Ich denke, auf Letzteres kommt es vor allem an. Verkommt das Bösartige zum Stereotyp, ist sowieso alles verloren.

Ja, das tue ich auch. Nur in dieser Szene ging’s nicht, weil er da alleine ist. Aber das hatte ich nicht dazu geschrieben :confused:

Genau das meine ich ja. Natürlich muss eine negative Person zu 90% negativ sein, um glaubwürdig böse zu wirken. Aber sie braucht halt trotzdem diese Prise Salz in der Süßspeise oder die Prise Zucker im Gulasch.

[FONT=-apple-system]Nee, das reicht nicht - das ist vielleicht eine Erklärung, ein Motiv für sein Handeln, ersetzt aber keine positiven Taten oder Ansichten.
Nimm die großen Bösewichter der Alten Meister in einer nicht repräsentativen Auswahl:

  • Karl Mohr
    (Schiller, „Die Räuber“): Wird kriminell, weil er vom Vater verstoßen wurde. Macht aber einen Jungen in seiner Bande zur Sau und verjagt ihn, nachdem dieser ein Baby bei lebendigem Leib verbrannt hat - Malvolio
    (Shakespeare, „Was Ihr Wollt“): unsympathischer, hochnäsiger Kotzbrocken, schurigelt seine Untergebenen, die sich dafür dann auch grausam an ihm rächen - aber ein perfekter Haushofmeister, penibel und akkurat, der eigentlich nur deshalb überall aneckt, weil er seine strengen Maßstäbe auch an andere anlegt - Alceste
    (Moliere, „Der Menschenfeind“): überheblich, besserwisserisch, verdirbt es sich selbst mit Leuten, die ihm wohlgesonnen sind - aber er tut all das für einen guten Zweck, nämlich für einen besseren Umgang der Menschen untereinander (meint er jedenfalls); ohne Lüge, Schmeicheleien und Oberflächlichkeit

Da sieht man ganz gut, dass ein nur böser (oder auch nur guter) Charakter durch positive Eigenschaften noch interessanter wird. Vor allem, wenn man/frau sich mit dieser Figur identifizieren soll/will.

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Überlege doch mal, wer dir von deinen Kollegen, deinen Vorgesetzten oder Bekannten so richtig unsympathisch war. Diese Person und Erfahrung behalte im Kopf, nimm sie als Vorlage. Dann werden Darstellung und Sprache authentisch und wirken nicht gekünstelt.

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Ach ja, ich bin einfach zu gut für diese Welt (behauptet jedenfalls meine Frau).
:smiley:

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