Buchschnipsel meines Debütthrillers Feedback/Kritik erwünscht

Hallo zusammen
Dann werfe ich mein Buchanfang mal auch ins Haifischbecken. Ich bin gespannt wie eure Meinungen ausfallen.

Eilig warf sie noch einen Blick auf die Uhr, bevor sie weiter durch die Straßen Neuköllns hastete. Die Zeit drängte, denn in nur fünfzehn Minuten würden die Türen verschlossen werden und sie müsste eine weitere Nacht bei Minusgraden draußen verbringen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Der bloße Gedanke daran ließ sie schneller durch die Gasse laufen, angetrieben von der Aussicht auf Wärme.
Trotzdem hätte sie eher auf dem nackten Asphalt geschlafen, als zurück in diesen Käfig zu gehen – zu ihm. Ihrem Ehemann. Sie wollte keine Angst mehr vor seinen Worten haben, die sich wie Messer in ihre Haut gruben. Alles war besser, als einen weiteren Tag in diesem Psychoterror gefangen zu sein. Zu lange war sie geblieben, auch wegen der Kinder. Ebenso wusste sie, dass auch der Weg zur Polizei keine Option war. Dazu hing sie zu tief in seinem Sumpf aus kriminellen Machenschaften. Ihr blieb keine Zeit, weiter an diesen Zermürbungskrieg zu denken.
Gerade noch rechtzeitig erreichte sie „Maries Haus“ und klingelte hastig an der Tür. Früher hätte sie bei dem Namen an ein Wohnungsbordell gedacht – doch das war es keineswegs.
Die Tür öffnete sich, und sie erblickte eine junge Frau. „Hallo Vandas, du bist heute wirklich knapp dran“, wurde sie mit einem sanften Lächeln begrüßt. „Entschuldigung, ich muss schnell auf die Toilette“, rief Vandas hastig – eine Notlüge – und eilte an ihr vorbei in Richtung ihres Zimmers. Ihre müden Glieder waren von der Kälte draußen durchgefroren. Obwohl sie den ganzen Tag kaum etwas gegessen hatte und ihr Magen vor Hunger brüllte, war ihr das Abendessen egal. Alles, was sie wollte, war, ins Bett zu fallen und zu schlafen.
Das quietschende Metallbett begrüßte sie, als sie sich endlich niederließ. Ihre Zimmerkollegin Clara war offenbar noch im Fernsehraum, also genoss sie die Stille und den Luxus, für einen Moment allein im Doppelzimmer zu sein.
Doch die Ruhe währte nicht lange. Unerwartet klopfte es an der Tür, und Marion trat ein. „Vandas, komm bitte kurz mit ins Büro“, sagte sie und schloss die Zimmertür hinter sich, ohne eine Antwort abzuwarten.
Auf dem Flur der Einrichtung herrschte plötzlich Unruhe. Neben den Ehrenamtlichen standen dort sieben oder acht weitere Frauen, diskutierten, teils wild gestikulierend. Sie entdeckte auch Clara, die sich mit jemandem lautstark stritt. Irgendetwas stimmte hier nicht – und sie sollte ins Büro? Ihre Brust zog sich zusammen, die Hände begannen zu schwitzen. Für einen Moment überlegte sie, einfach zu flüchten. Doch Marion winkte sie bereits in das Büro. Sie setzte sich ihr gegenüber auf einen der Stühle.

„Also, warum bin ich …“, begann Vandas, doch sie wurde jäh unterbrochen, als zwei weitere Personen das Büro betraten: eine Frau, die Vandas sofort mit festem Blick fixierte – und ein Mann.
„Hey, ich dachte, Männer haben hier keinen Zutritt“, sagte sie empört.
„Das stimmt normalerweise“, erwiderte Marion ruhig.
„Aber dies ist eine Ausnahme. Sie werden es dir erklären.“
Was ging hier vor sich? Wer waren diese Leute? Hatte die Unruhe draußen mit ihnen zu tun?
Und was wollten sie von ihr? Nach einem Moment der Stille ergriff der Mann schließlich das Wort.
„Hallo, ich bin Kriminalhauptkommissar Winterscheid, das ist meine Kollegin Kriminalkommissarin Schmidt. Wir benötigen einmal Ihren Namen oder Ausweis zum Identitätsabgleich“, sagte er mit bestimmendem Ton. Kripo, oh nein. Sie schluckte nervös, bevor sie antwortete: „Ich heiße Vandas, warum möchten Sie das wissen?“
„Ihren echten Namen“, redete jetzt auch die Kommissarin. Die Situation schien aussichtslos, ihre Flucht hatte wohl ein abruptes Ende gefunden. Vandas begann zu zittern, ihr Hals zurrte sich zu. Unfähig zu reden, reichte sie ihnen stumm den Ausweis rüber.
„Sabine Bachmann“, las die Kommissarin laut vor. „Es liegt eine Vermisstenanzeige gegen Sie vor. Sind Sie sich dessen bewusst? Wir müssen sicherstellen, dass es Ihnen gut geht. Ist das der Fall?“ Die Kommissarin sprach weiter, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, etwas zu erwidern. Immer noch fassungslos hörte sie ihr weiter zu. „Wenn dem so ist und Sie freiwillig hier sind, können Sie vorerst hier bleiben und werden bald zur Dienststelle vorgeladen.“
„Ich werde vorgeladen? Was bedeutet das?“, fragte sie unsicher nach. Nervös und gleichzeitig geschockt wanderten ihre Blicke abwechselnd zur Kommissarin und Marion, der Leiterin der Notschlafstelle.
„Sie müssen dann ins Kommissariat kommen. Hier werden Sie zu den Geschehnissen am vergangenen Sonntag befragt. Wir sind vorerst nur hier, um zu überprüfen, ob es Ihnen gut geht und Sie am Leben sind“, erklärte ihr der Kriminalhauptkommissar trocken.
Ihr Herz raste, als sie mit vor Angst bebender Stimme fragte: „Wie geht es jetzt weiter? Bin ich nicht verhaftet oder werde zurückgebracht?“
„Sie sind erwachsen und ein freier Mensch. Noch liegt kein Grund vor, Sie zu verhaften“, erwiderte der Kommissar ruhig. „Danke, wir sind dann hier fertig“, wandte sich die Kommissarin an Marion, bevor sie sich eilig verabschiedeten und das Büro verließen.
Draußen waren die aufgebrachten und neugierigen Bewohnerinnen, die freiwilligen Helferinnen hatten Mühe, sie zurückzuhalten. Unvermittelt hörte sie Clara von hinten schreien: „Mit der da bleibe ich nicht auf dem Zimmer.“
Marion schloss die Tür hinter den Kommissaren und ließ Vandas kurzzeitig alleine im Büro zurück.Durch die Glastür sah sie, wie die Kommissare die Einrichtung verließen. Auch die anderen Frauen beruhigten sich allmählich und kehrten in ihre Zimmer zurück. „Da hast du aber für einen ganz schönen Schrecken und Tumult gesorgt“, sagte Marion ruhig zu ihr, als sie wieder ins Büro kam. Ihre Worte klangen beruhigend, aber Vandas spürte immer noch die Anspannung in der Luft.
Wieder war sie nur zu einem kurzen Nicken fähig, als ihre ganze Welt in sich zusammenzubrechen schien. Ihre Maske, ihr Fluchtplan – alles war innerhalb weniger Minuten zerschmettert worden. Ein Schauer lief über ihren Körper, und der Drang, sich in die hinterste Ecke zu verkriechen, wurde übermächtig.
„Vandas, keine Sorge“, sprach Marion beruhigend weiter auf sie ein, „unser Team wird dich weiterhin so nennen, und du kannst vorerst hier bleiben. Allerdings musst du in ein anderes Zimmer umziehen. Wegen dem Tumult und Clara. Die Polizei hat sie vor dem Gebäude befragt, nachdem sie dich kurz zuvor auf einem Fahndungsaufruf erkannt hat und lautstark mit einer anderen Frau über dich stritt. Sie weigert sich, weiter mit dir auf ein Zimmer zu bleiben. Leider haben wir nur noch Betten im Untergeschoss frei. Am Montag kannst du mit einem unserer Sozialarbeiter sprechen und dann sehen wir weiter, was wir aus diesem Dilemma machen können."
Mit gemischten Gefühlen verließ Vandas mit Marion das Büro, um ihre Sachen zu packen. Clara blieb zum Glück im Aufenthaltsraum zurück, sodass ihr zumindest der Stress erspart blieb. Schließlich begleitete Marion sie zu ihrem neuen Zimmer. Eine schmale Treppe führte sie hinab ins Untergeschoss. Die Räume dort wirkten noch düsterer und wenig einladend.
Hinter der Badezimmertür bogen sie in ein Vierbettzimmer ab. Es hatte die gleichen kalten und abweisenden Möbel wie oben, nur dass hier bis zu vier Frauen Platz finden konnten. Nach einem kurzen Gespräch verabschiedete sich Marion und ließ sie alleine im Raum zurück. Erschöpft ließ sie sich auf dem Bett fallen.
Sie hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn man sie entdecken würde. Sie wollte stark bleiben. Unsichtbar. Sicher. Doch als sie das Licht löschte, stiegen die Tränen unaufhaltsam in ihr auf.
Was, wenn das alles nur eine kurze Atempause war?
Was, wenn ER längst unterwegs war – und die Polizei ihn unbeabsichtigt auf ihre Spur gebracht hatte?
Ihr letzter Gedanke, bevor sie die Augen schloss:
Ich bin noch nicht frei.
KAPIEL 2
ZWEI WOCHEN ZUVOR
Dichter Nebel lag wie ein Schleier über allem. Sabine konnte kaum sehen, wo sie war, nur Stimmen drangen an ihr Ohr – laut, drohend. Ein Stimmengewirr aus der Dunkelheit, das sie umzingelte.
„Für mich gibt es keine Scheidung, außer den Tod“, donnerte die Stimme ihres Mannes durch die dicken Nebelschwaden. Hart, endgültig. Sabine fröstelte.
„Vom Jugendamt kannst du keine Hilfe erwarten“, mahnte es aus einer anderen Richtung, die Stimme ihrer Mutter, nüchtern und kalt. „Denk an Anne, deine Cousine. Man hat sie deiner Tante einfach weggerissen. Dem Jugendamt ist nicht zu trauen.“
Sabine wollte weglaufen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht.
„Du gehörst zu mir. Nur zu mir“, dröhnte es erneut, ganz nah, so nah, dass sie den Atem spürte. Sabine fuhr herum – da war nichts. Nur der Nebel, der sie zu verschlingen drohte. „Das Frauenhaus in Dortmund?“ Jetzt lachte er. Ein tiefes, verächtliches Lachen. „Ein Witz. Als ich noch für Harni gefahren bin, haben wir für einen Freund eine Frau da rausgeholt. Hat keine fünf Minuten gedauert.“
Sabine keuchte, alles in ihr schrie nach Ausweg – aber ihre Füße blieben wie verankert, ihr Körper erstarrt. Sie war ausgeliefert. Gefangen. Ein Schrei formte sich in ihr – lautlos, verzweifelt.
Dann – riss sie die Augen auf. Dunkelheit. Kein Nebel. Kein Laut. Nur das röcheln ihres eigenen Atems und das rhythmische Hämmern ihres Herzens.
Sabine griff sich ans Herz. Es schlug viel zu schnell. Der Albtraum war vorbei. Aber das Gefühl – das Gefühl, dass alles wahr sein könnte – das blieb.
Noch immer Zitterten ihr Körper. Der Wecker hatte noch nicht geklingelt, aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Sie lauschte. Kein Laut im Haus. Kein Schritt. Kein Türknallen.
Er war noch nicht zurück. Wahrscheinlich bei einem seiner nächtlichen Streifzüge – oder bei einer anderen. Der Gedanke sollte ihr Erleichterung verschaffen, doch stattdessen kam nur eine dumpfe Leere. Sie stand auf, tastete mit nackten Füßen über den kalten Boden und schlich ins Kinderzimmer. Dort lagen sie, friedlich, klein, warm: ihre beiden Kinder. Die einzige Kraft, die sie noch auf den Beinen hielt. Ein leiser Kuss auf die Stirn der Kleinen, ein Streicheln durch das Haar des Großen. Sabine ging in die Küche, setzte die Kaffeemaschiene in gang, ohne sich bewusst zu sein, was sie tat. Ihre Bewegungen waren mechanisch, wie bei einer Schauspielerin, die eine Rolle spielt. Starke Mutter. Stille Ehefrau. Unauffällig. Angepasst.
Der Traum war schrecklich gewesen. Und doch war er ehrlich. Schonungslos. Eine Botschaft ihres Unterbewusstseins.
Sie lehnte sich gegen die Küchenzeile, presste eine Hand auf den Bauch. Morgen. Nicht übermorgen. Nicht irgendwann. Morgen würde sie anfangen, zu planen. Leise. Vorsichtig. Niemand durfte etwas merken.

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… noch immer zitterte ihr Körper…

Das ist mir aufgefallen.
Ansonsten bedrückend im Thema, aber spannend geschrieben. Es bleiben viele Fragen, die man gern beantwortet haben möchte. :+1:

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