Dies ist nicht Seitenwind. Nichts zu verlieren, aber auch keine Preise. Keine krassen Kritiken, kein Druck.
Dies ist Blätterbrise. Einmal im Monat stellt jemand eine Schreibaufgabe. Löse sie für dich alleine und wenn dir das Ergebnis gefällt, teile es mit uns. Dieses Projekt ist für alle, die sich gerade ausprobieren wollen - und das bedeutet, dass man sich verletzlich macht. Das ist mutig, aber auch riskant. Um diese Verwundbarkeit möglich zu machen, sollen hier nur die Herzen sprechen. Keine Kommentare bitte.
Vorschlag 1:
Der innere Kritiker. Wer ist das? Gib dieser inneren Stimme, die sich ja nur um dich sorgt und dich zu bester Leistung anspornen will, ein Gewand. Überzeichne, karikiere, wenn Du willst. Setze diesen etwas nervigen Begleiter in eine passende Umgebung und halte ihm den Spiegel vor. Und wenn es Dir gelingt … bringe Dich zum Lachen. Lacht Dein Kritiker mit?
Vorschlag 2:
People watching. Beschreibe eine Person, die Du zufällig beobachten konntest. Auf welchen Hintergrund lässt ihre Kleidung schließen, welche Persönlichkeit drückt sie aus? Versetze Dich hinein und schreibe einen inneren Monolog basierend auf der Stimmung, in der Du sie erlebst.
Direkt zu den vorgegebenen Themen ist mir nix eingefallen, aber vielleicht passt meine spontane Idee gerade noch so zur Aufgabenstellung:
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#36
Puh. Glück gehabt. Keine Untersuchungshaft. Der Drogentest war negativ und Alkohol konnte man mir auch nicht nachweisen. Den Ausschlag gab aber das Gutachten des Psychologen, den man eilig eingeflogen hatte. Der war fix und fertig gewesen mit den Nerven, weil er Stress mit seiner Frau hatte. Ich hab ihn ein wenig trösten können. Hat mich ein ganzes Päckchen Tempos gekostet. Gern geschehen. Eine Hand wäscht schließlich die andere. Ich darf gehen. Endlich.
Um die Fußgängerzone mache ich lieber einen Bogen. Ich will nicht noch einmal festgenommen werden. Diese Sondereinsatzkommandos kennen kein Pardon. Ich habe bestimmt überall blaue Flecken. Gut, die alte Dame vermutlich auch. Ich habe sie aber nicht geschubst. Sie ist über ihren Rollator gestolpert, weil sie sich wie eine Verrückte gewehrt hat. Dabei wollte ich sie doch nur umarmen. So, wie all die anderen, die sich dann vor NKD zusammengerottet und mich mit Schirmen und Werbetafeln bedroht hatten. Dabei habe ich die auch nur umarmt. Alle. Es gibt einfach keine Liebe mehr unter den Menschen. Nicht einmal, wenn man vor lauter Glück platzen könnte und es unbedingt mit jemandem teilen muss. Nur deshalb bin ich so spontan in die Fußgängerzone gewetzt. In Latschen. Wenigstens hatte ich mir zuvor den Bademantel übergeworfen. Wer weiß, was die mir sonst noch alles angehängt hätten? Gute Laune macht heutzutage verdächtig. Da bist du ruckzuck in irgendeiner Schublade. Und ich hatte verdammt gute Laune. Ist ja auch kein Wunder.
Kaum, dass ich gegen Mittag aufgestanden bin und meinen Rechner eingeschaltet habe, sehe ich, dass mein Hörbuch plötzlich wieder unter den Top Hundert bei audible gelistet ist. Zwar nur in der Kategorie „magischer Realismus“. Aber immerhin. Zuvor war es schon beinahe siebenstellig. Wochen lang. Den möchte ich sehen, der da nicht ausflippt.
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»Du hättest dir wenigstens heute etwas Anständiges anziehen können.«
Waren Stimmen in der Lage, die Nase zu rümpfen? Diese zumindest war es.
»Aber bei deiner Figur würde es ja doch nichts nützen. Perlen vor die Säue.«
Die Stimme wurde lauter, schneidender.
Tessa zog die Schultern zusammen, krümmte sich.
»Na ja, ich habe mehr Gäste erwartet. Und diese Blumen, Geschmack hattest du ja noch nie.«
Der abfällige Ton war das schlimmste an ihr. Das neue Auto des Nachbarn? Na, wenn er es nötig hatte. Die Frisur der Cousine? Machte sie auch nicht schöner, vergebliche Liebesmüh.
Immer eine Spur zu laut, zu schrill.
Manchmal ertappte Tessa sich dabei, wie sie die Art zu sprechen, zu denken, übernahm. Wie das Gift langsam in sie eindrang.
Sie kniff die Augen zusammen und presste ihre geballten Fäuste an ihre Ohren. Das Blut rauschte in ihrem Kopf.
»Benimm dich gefälligst, es geht hier nicht um dich.« ,zischte die Stimme.
Warum konnte sie nicht wenigstens jetzt still sein.
Langsam ließ Tessa die Arme sinken, öffnete die Augen und ging einen Schritt nach vorn. Dann noch einen.
Da lag sie also. Die Augenlider geschlossen, der Mund streng und verhärmt.
Die dreireihige Perlenkette passte perfekt zu dem roséfarbenen Twinset.
»Immerhin mir hast du etwas Angemessenes angezogen.«
Tessa atmete tief ein, dann langsam und behutsam wieder aus.
Wenn man genau hinsah, konnte man den Daumenabdruck am Kehlkopf noch gut erkennen. Herr Kunze, der Hausarzt, konnte es nicht. Blind wie ein Maulwurf und praktizierte mit 81 Jahren nach wie vor. Herzinfarkt, sagte er.
»Ich hoffe doch, dass du für den Leichenschmaus eine respektable Lokalität…«
»SEI STILL,MUTTER.«