Aw: Ben Becker, selbstgemachte Science Fiction
Hallo, Ben,
es gibt da einen guten Trick, den ich selbst ab und zu anwende. Meistens mache ich das dann, wenn ich eine Lösung für ein Problem suche, z.B. ein Plotproblem (Wie krieg ich ihn aus dem Gefängnis wieder raus? - oder so ähnlich). Ich schreibe dann nicht eine Lösung auf, denn die finde ich meistens nicht. Stattdessen suche ich nach 12 Lösungen. Und merkwürdigerweise geht das viel leichter. Wenn man nämlich nur nach einer Lösung sucht, ist man so darauf fixiert, dass sie perfekt sein soll, dass einem rein gar nichts einfällt. Wenn man 12 Lösungen finden muss, ist jede nur eine unter vielen, man kann auch die blödesten Ideen aufschreiben und sich am Ende für die beste entscheiden. Manchmal hab ich schon bei Nr. 6 das Gefühl, mir fällt nichts mehr ein, aber ich zwinge mich, bis 12 weiterzumachen. Und dann fallen mir oft sogar noch Nr. 13 und 14 ein … (Diesen Trick habe ich aus einem Buch von H.-P. Roentgen …)
Das geht sicher auch für Anfänge, ist aber aufwändiger. Aber Du musst ja nicht 12 schreiben, Du kannst Dich ja auf drei oder vier beschränken, nur so zur Übung. Und am Ende bastelst Du dann den besten Anfang aus allen zusammen. Ich glaube, dass Du einfach Angst hast, Dich von liebgewordenen Formulierungen oder bestimmten Passagen trennen zu müssen. Aber das musst Du gar nicht, wenn Du die alte Version nicht gleich verwirfst.
Oder Du spielst mit der Perspektive. Schreib doch mal den Anfang aus Tiks Sicht. Oder aus Wims Perspektive. Oder aus Wims Sicht als Ich-Erzähler. Oder aus der Sicht seines Sohnes, der in der Wüste Ausgrabungen macht. Das soll gar nicht in die Geschichte gehören, aber es hilft Dir, Deine Figuren besser kennenzulernen. Oder - das habe ich mit meinem Protagonisten und auch mit dem Antagonisten schon gemacht - schreib doch ein Interview zwischen Ben Becker und Wim. So zum Beispiel:
Becker: Herr Wim, ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben. Ich weiß, dass Sie viel zu tun haben, vor allem, seitdem die Jahresziele für Übersetzer im letzten Jahr heraufgesetzt wurden …
Wim (winkt bescheiden ab): Na ja, Sie sind mein Autor, da kann ich mir schon mal etwas Zeit nehmen …
Becker: Herr Wim, seit wann leben Sie schon dort unten in diesem Archiv, ohne Tageslicht und in den beengten Verhältnissen? Glauben Sie, dass es der richtige Ort ist, um ein Kind großzuziehen?
Wim: Sie rühren da an einen wunden Punkt. Ich hoffe schon seit ein paar Jahren, eines Tages in eine Wohnung über Tage ziehen zu können, denn die Luft dort unten ist wirklich nicht angenehm. Und die schlechten Lichtverhältnisse … (Er reibt sich die Augen.) Aber da ich die Zielvorgaben im letzten Jahr nicht erfüllt habe, werde ich wohl noch eine Weile im Keller bleiben müssen.
Becker: Was hält Sie davon ab, Ihr Soll zu erfüllen?
Wim: Ich bin eben ein Perfektionist. Meine Kollegen schaffen viel mehr Übersetzungen pro Tag, aber wenn ich ihre Arbeiten lese, sobald sie veröffentlicht werden, entdecke ich immer wieder Fehler … In der heutigen Zeit scheint es nicht so darauf anzukommen … Alle wollen sie nur schnelle, oberflächliche Leistungen sehen. Keiner nimmt sich mehr die Zeit, in die Tiefe zu gehen und gründlich zu arbeiten. Es ist ein Jammer.
Becker: Wie kommen Sie dazu, in Ihrem Alter immer noch freiwillig Ziehsöhne aufzunehmen?
Wim: Dafür werde ich von allen ausgelacht. Aber ich mag die kleinen Racker. Gut - sie machen Arbeit und sind auch manchmal Nervensägen. Aber dann haben sie auch wieder so etwas Fröhliches, Erfrischendes, das einen wieder jung werden lässt.
Becker: Das kann ich nachvollziehen. Was mir allerdings noch nicht so ganz klar ist: Warum vertraut man Ihnen Ziehsöhne an? Gut, Sie leben in einer angesehenen Familie, aber irgendwie Sind sie doch - verzeihen Sie mir - so etwas wie das schwarze Schaf, oder?
Wim: Bitte - nicht beleidigend werden. (Sein Fell leuchtet vor Erregung giftgrün auf.) Schwarz ist eine Farbe, die wir (Äh … was sind das eigentlich für Wesen?) gar nicht schätzen …
Becker: Entschuldigen Sie. Aber sie können den Brief der Obersten Mutter nicht vor mir leugnen. Ich bin Ihr Autor, ich weiß alles. Man droht Ihnen mit Herabstufung in der Hierarchie. Wieso bekommen Sie dann einen Sohn in Pflege?
(und so weiter)
Schreib ruhig eine Fortsetzung davon, wenn Du Lust hast. Es geht darum, mit seinen Geschichten zu spielen, die Figuren kennenzulernen und zu sehen, wohin sie einen führen …
Viel Spaß und
LG
Pamina