Liebe Schreibkollegen",
ich schreibe derzeit an einer Art „Überbrückungskapitel“.
Zuvor starb die beste Freundin meiner Protagonistin. Sie fährt heim zu ihren Eltern. (Beide junge Frauen stammen aus demselben kleinen Dorf). Denn in ihrer Wohnung (in der die Freundin unter ungeklärten Umständen starb) fühlt sie sich nicht mehr wohl.
Das aktuelle Kapitel handelt davon, dass Julia (die Protagonistin) die Zeit bis zur Beisetzung bei ihren Eltern im Heimatdorf verbringt.
Mein Problem: Ich habe genügend Ideen für die Handlung, die Julias emotionalen Zustand zeigen, eine sich zuspitzende Bedrohung (Die Freundin war nicht das eigentliche Ziel der Tat und ihr Tod auch kein Unfall), ihr familiäres Umfeld usw.
ABER ich hatte in den Kapiteln davor viel Tempo und ich würde es gern hochhalten.
Das steht im Wiederspruch zu warten, trauern, schleichende Bedrohung … jedenfalls fühlt es sich für mich so an.
Ich sehe zwei Optionen: entweder bleibe ich dabei die 5 Tage zu beschreiben ODER ich handle sie in 2,3 Sätzen ab und fahre direkt mit der Beisetzung fort. (Die bedrohlichen Ereignisse könnte sie ja ihrem Freund später kurz erzählen.)
Ich hänge fest und weiß nicht, wofür/wogegen ich mich entscheiden soll.
Vielleicht hat jemand einen Rat oder Erfahrung mit einer ähnlichen Situation?
Ohne Kenntnis des Gesamten, ist keine pauschale Antwort möglich. Generell sollten durchaus auch ruhige Passagen eingeplant werden, damit sich neue Spannungs- oder Konfliktwellen aufbauen können und sie so mehr Kraft, mehr Energie haben. Wie lange diese idealerweise sind, tja, ich bin sicher, dass dein Bauchgefühl den richtigen Rhythmus finden wird.
Wenn sich in der Zeit vor der Beisetzung nichts ereignet, muss sie vielleicht nicht über alle Maßen gedehnt werden. Den richtigen Takt zu finden, um Leser immer wieder neugierig zu machen, aber nicht zu langweilen, ist genauso schwierig, wie einen guten Plot aufzubauen, finde ich.
Jeder ist schon in solchen Situationen gewesen. Und niemand wird dir etwas dazu sagen können, der deinen Text nicht kennt.
Ich gehe bei solchen Problemen gern mal in den Wald. Wenn man da mal 2 Stunden allein ist, kommen häufig neue Ideen. Manchmal muss man auf Ideen auch mal warten können. Die kommen nicht auf Zuruf.
Als Mann bin ich für so ein gefühlvolles Zeug vielleicht nicht ganz so empfänglich und brauche nun nicht unbedingt den emotionalen Zustand im Detail vorgetragen bekommen. Aber wenn es nun mal die beste Freundin war und du bisher Tempo hattest - vielleicht lässt sich die Bedrohung während der 5 Tage zwischen die Trauer einfügen. Quasi so ein Zusammenspiel zwischen Trauer und Angst.
Ich weiß ja nicht, wie deine Bedrohung aussieht. Ich stell mir jetzt mal so einen Serienmörder vor: Eben noch starb die beste Freundin. Nun steht etwas in der Zeitung, dass jemand verfolgt wurde und gerade noch entfliehen konnte. Dann fühlt sich deine Julia plötzlich verfolgt. Irgendjemand ist vor der Tür (Who can it be now von Men at Work). Vielleicht verliert deine Julia neben der Trauer ein wenig den Verstand, dreht am Rad, hat sich nicht im Griff - sucht Hilfe. Vielleicht schreibt ihr der Böse einen Brief, dass er sie auch noch holen wird - oder jemand aus dem Umfeld schreibt sowas (vielleicht eine eifersüchtige Bekannte).
Auf diese Weise könntest du das Zwischenkapitel zu mehr als nur einem Übergang machen. Im Vordergrund stände dann nicht mehr die Trauer, sondern der erneute Schock und die Erwartung von noch Schlimmerem. Das wäre für mich als Mann, der jetzt nicht so gerne heult, eine eher aussichtsreiche Handlung
Liebe Antje6,
natürlich ist es nicht möglich, Dir zu sagen, wie DEINE Lösung für dieses Kapitel sein soll. Hier aber ein paar Überlegungen (ich glaube, eigentlich deutetest in Deinem Post an, dass Du darüber nachdenkst): Du willst das Tempo hochhalten. Das scheint mir eher für die Kurzvariante zu sprechen. Aber Du solltest die Bedrohung eher zeigen, als jemanden etwas erzählen lassen.
Wenn Du Dein Problem systematisch angehen willst (ich weiss nicht was für einen Arbeitstyp du bevorzugst), kannst Du klären, was das Ergebnis Deines Kapitels im Bezug auf den Fortschritt Deiner Geschichte ist, die notwendigen Versatzstücke schreiben und dann sehen, ob es ein Kapitel braucht bzw. hergibt, oder ob es Deiner Geschichte eher nützt, den Plan zu ändern. Mir hilft es manchmal, wenn ich mir sage, dass das, was ich gerade mache, noch einige Male geändert werden wird.
Hat vielleicht keinen riesengroßen Einfluss auf die Entscheidung, aber in welcher Perspektive schreibst du? Ich-Perspektive, personal, auktorial? Je näher du an deiner Protagonistin dran bist, desto mehr könntest du ihre Gefühle beschreiben.
Ich glaub, ich würd die Entscheidung davon abhängig machen, an welcher Stelle du in deinem Roman bist: Bist du kurz vor dem Höhepunkt (dann macht es Sinn, das Tempo aufrecht zu erhalten), eher in der Mitte oder sogar noch am Anfang?
Manchmal kann für Leser ein dauerhaft hohes Tempo auch erschöpfend sein. Wenn bei mir Ereignisse nicht so zentral waren (d.h., die Handlung nicht vorangebracht haben oder für Leser keinen Unterhaltungswert), habe ich sie lieber nacherzählt. Und es hängt auch davon ab, was du willst: Sollen die Leser die Trauer der Protagonistin spüren (dann tauche darin ein) oder nicht, z.B., weil du einen Krimi schreibst und es nicht darum geht, die Leser zum Weinen zu bringen, sondern den Fall zu lösen.
Dann die Variante mit kurzer erzählter Zeit. Fünf Tage in zwei Absätzen oder so.
Oder direkt zur Beerdigung springen und erwähnen, wie die letzten Tage waren.
Eine kurze Zäsur mit langsamerem Tempo mag ich als Leser aber auch sehr gerne. Gerade, wenn man mehr emotionale Bindung zu dem Prota aufbauen kann.
@tomP
War gerade im Wald spazieren und es hat sich gelohnt. Denn ich kam auf die Idee, zuerst bei Julia zu bleiben und später zu ihrem Freund zu wechseln, der neue Infos mitbringt und damit die Handlung vorantreibt und im Dialog zwischen beiden lässt sich au h die Gefühlebene zeigen.
@deepbluesea70
Auktorial. Im ersten Akt. ( von 3)
Ich hätte schon gern, dass die Leser an Julia Anteil nehmen. Doch ich würde lieber in Richtung rätselhaft/ gefährlich gehen als in traurig und schmerzerfüllt. Daher möchte ich weniger in den Aspekt der Trauer eintauchen (was in Maßen trotzdem geschieht sie ist ja kein „Psycho“) und mehr in das, was drumherum geschieht und WARUM.
Hallo@HOMGrund,
Willkommen bei uns.
Das Kapitel dient als „Zeitbrücke“ aber nicht nur. Das „Ergebnis“ soll in der Hauptsache sein, dass die Protagonistin und der Bruder der Toten erkennen, dass die Bedrohung noch vorhanden ist und WOMIT sie zusammenhängt. Denn das ist das erste Puzzleteil, dass sie in den leeren Ramen einfügen können. Daher ist es schon wichtig. Ich habe mir aber inzwischen eine Lösung überlegt. Anstatt auf die einzelnen Tage einzugehen, werde ich 1,2 Dinge schildern und dann die Perspektive wechseln. (Zum Freund) Er bringt neue Infos mit, im Gespräch mit ihm, werden ihre Gedanken/ Gefühle offenbar. Dann folgt die Beerdigung und die Sache nimmt Tempo auf
Hallo@Antje6,
dann ist es also eher der zentrale Umschaltpunkt Deiner Geschichte. Wäre es vermessen, wenn ich Frage welche Rolle der Bruder der Toten in der Geschichte spielt? (Du musst nichts über Dein Projekt verraten was Du noch geheim halten willst)
@HOMGrund ,
Die Tote, ihr Bruder und Julia sind seit ihrer Kindheit befreundet. Ihre jeweiligen familiären Umstände (das Geschwisterpaar wurde von der Mutter bei den Großeltern gelassen, Julia ist adoptiert) haben sie zu einer festen Gemeinschaft verschworen. Jetzt ist ein Teil dieser Gemeinschaft tot. Julia und der Bruder (Marco) gehen verschieden damit um. Julia spürt, dass mehr dahinter steckt, Marco ist so sehr verletzt und traurig, dass er nur damit abschließen will. Dann überschlagen sich die Ereignisse und Marco muss sich entscheiden, ob er sich weiter raushalten will oder ob er Julia glaubt und sie unterdtützt/ beschützt.
Das klingt als hätte die Figur Entwicklungspotential Ich wünsche Dir viel Erfolg für Dein spannendes Projekt.
Ich hätte die Protagonistin auch in der Abgeschiedenheit des Heimatdorfes mit dieser drohenden Gefahr konfrontiert. Ob sie nun echt bedroht wird oder nur das Gefühl hat, verfolgt zu sein, ist nicht so wichtig. Hauptsache dieses Damoklesschwert schwebt hintergeündig mit.
@HoRo
Unbedingt. Und immer so, dass es auch eine „harmlose“ Erklärung gibt. Zumindest anfangs.