Arundathi Roy - Das Ministerium des äußersten Glücks

Originaltitel: The Ministry of Utmost Happiness
Autorin: Arundathi Roy
Umfang: 560 Seiten
Verlag: S. FISCHER
Sprache**:** Deutsch

Der zweite Roman von Arundhati Roy ist ein einziger wütender Aufschrei. Er richtet sich gegen alles, was in Indien zum Himmel stinkt. Gegen das unmenschliche Kastensystem, gegen den allgegenwärtigen religiösen Terror, gegen den mörderischen Kashmirkonflikt, der zugleich ein zentrales Thema dieses Buches ist und natürlich gegen die himmelschreiende Armut und das schreckliche Elend auf Indiens Straßen. Gegen die allgegenwärtige Korruption, die sich bis in die höchsten politischen Ämter erstreckt, gegen brutalste Polizeiwillkür, gegen rücksichtlose Umweltzerstörung und die damit verbundene Enteignung von Millionen Kleinbauern, die den kapitalistischen Interessen meist westlicher Konzerne weichen müssen und dann oft völlig mittellos in den Slums der Großstädte enden.
An Hand vier unterschiedlicher menschlicher Schicksale, die unterschiedlicher nicht sein können und dennoch eng miteinander verknüpft sind, führt Roy den Leser durch die Handlung dieser Geschichte, die phasenweise aufgrund vieler detaillierter Beschreibungen der politisch/kulturellen Lage Indiens etwas sachbuchartig wirkt, aber dennoch nie langweilig zu werden droht.
Zur Sprache Roys muss man nicht viel sagen. Sie ist eine Meisterin der Schreibkunst, zugleich unnachahmliche Stilistin. Erzählt wird abwechselnd aus der Perspektive aller vier Hauptfiguren, die unterschiedlichste Positionen innerhalb der indischen Gesellschaft besetzen. Von einer intersexuellen Hijra bis zum mächtigen Geheimdienstmitarbeiter reicht die Palette. Alle Figuren wirken plastisch und lebensecht, nahmen vor meinem geistigen Auge Gestalt an, es fiel mir leicht, mit ihnen zu fühlen.
Der Roman trieft vor Brutalität, aber auch von Liebe, Verständnis und menschlicher Wärme wird erzählt. Es gibt Hoffnung, wenn auch wenig, aber nie verliert Roy sie aus den literarischen Augen. Abseits von Räucherstäbchen-Kitsch und Ohm-Gedöns zeigt sie die harte Realität der indischen Gesellschaft auf, nimmt sich dabei kein Blatt vor den Mund. Nicht ohne Grund wurde sie nach Erscheinen der Lektüre öffentlich angefeindet und sogar mit dem Tod bedroht.
Trotz häufiger, monatelanger Aufenthalte in diesem Land hinterließ mich Roys Werk letztlich fassungslos. Ich brauchte ein paar Tage, um es vollständig zu verdauen. Mag sein, dass es hilfreich ist, Indien etwas zu kennen, bevor man sich diesem Roman widmet, jedenfalls wird kein Weltenbummler, der das Buch gelesen hat, ebenso unbefangen mit seinem Rucksack durch den Subkontinent tuckeln als ohne diese Lektüre.

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