Adventskalender - 22.12.2024

Privatdetektiv Nevilles Siebenter Fall (von Jorge de Myers)

Ein hoher Besuch

Die Tage plätscherten dahin, ohne dass etwas Besonderes passierte. Es herrschte ein nasskaltes Wetter in Wien. Große Pfützen bildeten sich auf den Straßen und man musste aufpassen, wohin man trat. So richtig traute sich niemand aus dem Haus, nur diejenigen, die etwas Dringendes zu erledigen hatten oder andere, die in geheimer Mission unterwegs waren.

Etwas trübsinnig schaute ich aus dem Fenster. Alles grau in grau. Bah! Dieses Wetter konnte einem die Stimmung so richtig vermiesen.

Aus dem tristen Grau tauchte plötzlich eine Gestalt auf, die mir nicht ganz unbekannt war. Ich beobachtete, wie sie geschickt mal springend, mal ausholenden Schrittes die tiefen Pfützen umrundete und vor unserem Haus in der Spittelberggasse 11 stehen blieb. Die Türglocke schrillte. Kurz darauf hörte man schwere Schritte auf der Treppe. Dann klopfte es kurz und meine Bürotür sprang auf. Der Wiener Landeshauptmann füllte fast den ganzen Türrahmen aus. Hannes von Bergthal war von staatlicher, kräftiger Natur. Sein dunkler Mantel aus teurem Tuch war mit Regentropfen besprenkelt, die im Schein des Lichtes silbrig glänzten. Er nickte freundlich, als er mich auf dem Fenstersims entdeckte.

»Herr Neville! Hallo! Ich muss Sie mal wieder mit einer dringenden Angelegenheit belästigen.«

»Gerne! Immer hereinspaziert!« Ich bot ihm den Stuhl vor meinen Schreibtisch an und er kam gleich auf den Punkt.

»Tierische Langfinger auf dem Naschmarkt!«, sagte er. »Eine echte Plage!«

»Tierische Langfinger?«, wiederholte ich neugierig und setzte mich von Bergthal gegenüber.

»Ja! Schuftiges Gesindel! Sie klauen alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Und selbst das, ist vor ihnen nicht sicher.«

»Verstehe!« Nachdenklich zog ich an meiner Pfeife. Milder Tabakduft erfüllte den Raum. »Was genau ist passiert?«

»Zeugen berichten immer wieder von einer pechschwarzen Katze, die bei Dunkelheit über den Naschmarkt streunt.«

»Und diese Katze soll für die Diebereien verantwortlich sein?«

»Der Verdacht besteht!«

»Ich bitte Sie, das ist doch alles Humbug. Ein dummer Aberglaube, dass schwarze Katzen Pech bringen.« Ich grinste in mich hinein. Die Menschen und der Mythos der schwarzen Katze. Ich überlegte kurz, strich über meine Schnurrhaare, als in mir ein vager Verdacht aufkeimte.

»Nun, ich glaube, Ihr Verdacht ist nicht ganz unbegründet.«

»Glauben Sie?«

»Schon mal was von Shadow gehört?«

Von Bergthal schüttelte den Kopf.

»Ein cleverer Bursche. Bislang konnten wir ihm nichts nachweisen. Aber ich bin mir sicher, dass seine bislang weiße Weste so langsam dunkle Flecken bekommt. Und die Beschreibung passt. Außerdem kommt er dort aus der Gegend.«

»Ich kann also auf Ihre Unterstützung zählen?«

»Natürlich. Wir kümmern uns darum.«

Langfinger auf dem Naschmarkt

Zusammen mit meiner Kollegin Mia, einer Javanese – Katze, saß ich auf dem Dach eines mehrstöckigen Gebäudes mitten in Wien. Wild tanzten die Schneeflocken vor unseren Augen und legten sich leise auf unser Fell. Unter uns brodelte das Leben. Der Naschmarkt platzte an diesem Abend aus allen Nähten.

»Kannst Du etwas erkennen?« Ich sah zu Mia hinüber, die einen Feldstecher in den Pfoten hielt.

»Alles ruhig. Wo bleibt der heilige Nikolaus und dieser Kramperl nur? Bist du dir sicher, dass es heute Abend passieren wird?«

»Klar doch! Heute ist der Tag vor Nikolaus. Viel los da unten. Glühwein und Punsch vernebeln die Sinne.«

»Da! Da tut sich was!«

»Lass mich mal sehen.« Mia reichte mir das Fernglas. Deutlich erkannte ich den heiligen Nikolaus im roten Mantel. Drei gruselige Gestalten mit gehörnten, zähnefletschenden Masken auf dem Kopf folgten. Schwarz-weißes zotteliges Fell umhüllte ihre Körper. Im Schlepptau zogen sie einen mit Packtaschen beladenen Esel hinter sich her und gaben dabei undefinierbare Grunzlaute von sich. Auf dem Rücken des Esels thronte eine pechschwarze Katze.

»Ich habe Shadow entdeckt! Jetzt wird es spannend. Mal sehen, wie sie es anstellen.«

Die umstehenden Besucher des Marktes bildeten eine Gasse. Sie riefen, johlten und winkten, prosteten ihnen mit ihren Gläsern zu. Dann geschah alles blitzschnell: Shadow sprang mit einem Satz vom Esel und tauchte in der dichten Menschenmenge unter. Kurz darauf erschien er wieder, hangelte sich geschickt am Esel empor und ließ etwas Funkelndes in den Packtaschen verschwinden. Niemanden fiel etwas auf. Die Leute waren abgelenkt. Erneut verschwand er in der Menge.

»Gemeine Langfinger! Los, jetzt!«

Mia band kurzerhand das Ende des Seils an das Schneefanggitter, ließ es nach unten surren und wir glitten dem Erdboden entgegen.

Auf halber Höhe ruckte plötzlich das Seil. Mir stockte der Atem. Sollte sich der Knoten etwa gelöst haben? Ich schaute nach oben. Das Gesicht von Shadow grinste mir frech entgegen. In der einen Pfote hielt er ein blitzendes Messer und begann sogleich damit, das Seil zu kappen. »Mia, schnell, wir müssen uns beeilen!«

Shadow hatte das Messer zwischen seine Zähne geklemmt und umklammerte das durchtrennte Seil mit seinen Pfoten.

»Hey, Schnüffler, gute Reise!« Dann ließ er los. Mia und ich rauschten ungebremst dem Erdboden entgegen.

Schreiend wachte ich auf. Dicke Schneeflocken tanzten vor meinem Fenster. Die Lichter am Weihnachtsbaum funkelten in den buntesten Farben. Ich erkannte Mia, wie sie verträumt vor dem Baum saß, ganz verzaubert von der weihnachtlichen Stimmung.

12 „Gefällt mir“

Ich wünsche euch allen einen schönen Adventssonntag!

3 „Gefällt mir“

Weihnachtliche Stimmung ist viel besser als Katerstimmung! Schöne Story – vielen Dank @jorgedemyers und Frohe Festtage. Mau! :black_cat: :christmas_tree:

2 „Gefällt mir“

Schöne Geschichte :heart:

1 „Gefällt mir“

Lieber Jorge, Dich & Deine Texte hatte ich bislang noch nicht auf dem Schirm. Das ändert sich hoffentlich. Im übrigen erst die 2. Katzenkrimi-Dingens-Genre-Story, die ich lese. Toll! „Shadow“ & „weiße Weste“ finde ich ein schönes Gegensatzpaar. Hervorragend dialoglastig.
Danke schön! :octopus: (hab das Katzen-Emoji nicht gefunden - aber Oktopusse sind auch klasse.)

4 „Gefällt mir“

Eine schöne Geschichte. Sehr schöner Anfang, so stimmungsvoll und lebendig beschrieben.

Eich allen einen schönen 4. Advent.

1 „Gefällt mir“

So frech und herzig :heart::cat: zugleich. Eine sehr schöne Geschichte.

Euch auch einen schönen 4. Advent. :christmas_tree::sparkles:

1 „Gefällt mir“

Eine schöne Geschichte zum 4. Advent. Einen ebenso schönen wünsche ich euch auch. :blush:

1 „Gefällt mir“

@jorgedemyers
Etwas trübsinnig schaute ich aus dem Fenster. Alles grau in grau. Bah! Dieses Wetter konnte einem die Stimmung so richtig vermiesen.

Genau bei diesem Wetter hab ich deine Geschichte gelesen. Passt.
Zweimal hast du mich erwischt: aufgrund seines Pfützenballetts habe ich mir was kleines, zierliches vorgestellt. Den Landeshauptmann eher nicht :grin:
Und als er sich über die Schnurrhaare streicht. Oh! Katze?! Und da kam es mir irgendwie ganz dunkel bekannt vor. Kann es sein, dass du schonmal über Neville geschrieben hast?

Auf jeden Fall eine süße Geschichte, das Kino läuft. Eignet sich sicher gut für Fortsetzungen (aber bitte ohne Berger und Pfeiffer :face_with_diagonal_mouth:)

4 „Gefällt mir“

Ja! Neville und Mia gab es 2023 schon einmal. Das Thema lautete damals: Großstadttiere.
2025 ist ein Buch geplant. Ich arbeite bereits daran. Toll, dass Du Dich daran noch erinnern konntest! Danke! Schöne Weihnachten…

3 „Gefällt mir“

Toll, dass es das wirklich gab. Dann kann ich mich ja doch auf mein Hirn noch einigermaßen verlassen :rofl:
Siehste, deine Geschichten bleiben hängen^^

2 „Gefällt mir“

Das freut mich wirklich sehr…

2 „Gefällt mir“

Hallo @jorgedemyers
Auch von mir: Hat mir echt Spaß gemacht, deine Geschichte zu lesen. Thanks :fairy:

1 „Gefällt mir“