Rudolf (von CO2)
Rudolf ist weg.
„Das ist ein Albtraum“, murmelt Santa Klaus. „Eine Katastrophe! Rudolf! Warum?“
Eine Nachricht hat er dagelassen.
‚Sorry, Boss, ich brauche dringend Urlaub – Rudolf‘
Urlaub? Ausgerechnet jetzt? Zwei Wochen vor Weihnachten? Er, das Arbeitstier schlechthin? Irgendetwas stimmt da nicht.
„He, Boss“, sagt George hinter ihm und scharrt ungeduldig mit dem Huf. „Wann fangen die Bewerbungsgespräche an?“
Santa blinzelt. Dreht sich um. „Bitte was?“
„Na, ohne Leitrentier sind wir geliefert“, sagt George. „So können wir nicht arbeiten, der Schlitten wird nicht funktionieren. Ohne Schlitten kannst du keine Geschenke ausliefern. Ohne Geschenke kein Weihnachten. Ohne Weihnachten bist auch du geliefert, also …“
„Ja, ja“, unterbricht Santa unwillig. „Hab’s verstanden.“ Er streicht sich durch den Bart. Rudolf zu ersetzen, das kommt nicht in Frage. Doch Bewerbungsgespräche … eignen sich durchaus für eine Undercover-Ermittlung. Da kann er gleich mit allen reden, die von Rudolfs Verschwinden profitieren. Urlaub, daran glaubt er doch nie.
George ist direkt der erste Bewerber.
„Ich war für 57 Saisons Rudolfs Stellvertreter“, sagt er selbstbewusst. „Ich will nicht immer nur zweiter sein. Darum werde ich jetzt die Führung übernehmen.“
„Denkst du?“, fragt Santa zweifelnd.
„Ich habe Erfahrung“, sagt George. „Außerdem habe ich Initiative gezeigt, indem ich Rudolf von der Klippe gestoßen habe. Und schlau bin ich auch. Das mit der Abschiedsnotiz war doch clever, oder?“
Rudolf kann fliegen. Trotzdem läuft Santa ein Schauder über den Rücken.
Amalia steht kerzengerade vor Santa. „Ich bin Rudolfs Tochter. Es ist meine Aufgabe, seinen Platz einzunehmen.“
Santa runzelt die Stirn. „Wolltest du nicht Design studieren?“
„Ich wollte schon immer fliegen!“ Amalia schüttelt den Hals. „Anführen! Es liegt mir im Blut. Aber Dad hätte noch Jahrhunderte weitergemacht, deshalb habe ich etwas Verschwindekraut …“
Stark, ein junges Ren, kommt von der Seite anmarschiert.
„Frauen vor dem Schlitten?“, fragt er breitbeinig. „Das sähe nicht gut aus. Ihr habt ein viel zu kleines Geweih! Ich hingegen bin …“
„… ein Arsch?“, fragt Amalia und schnaubt pikiert.
„… stark und ehrgeizig!“, kontert Stark. „Ich habe Rudolf vergraben, während er schlief!“
Santa rollt mit den Augen. So ein Angeber.
„War das, bevor oder nachdem Amalia ihm das Verschwindekraut gegeben hat?“, fragt er.
Als Nächstes hat Santa vor sich … einen waschechten Drachen. Sein Atem stinkt nach Schwefel, während er zwischen seinen spitzen Zähnen herumstochert.
„Warum willst du eine Gruppe Rentiere anführen?“, fragt Santa tapfer.
„Hm“, macht der Drache und zuckt mit den Schultern. „Bin auf den Geschmack gekommen.“ Er grinst und rülpst.
Santa wird übel.
Santa starrt die handgroße Gestalt mit den Libellenflügeln an.
„Jetzt wirklich?“, fragt er. „Du bewirbst dich?“
„Was soll ich sagen?“, fragt die Zahnfee zurück. „Die Arbeitszeiten sind einfach mal sooo viel besser.“
„Ja, aber … Wie willst du denn … den Schlitten ziehen?“
„So, wie ich Zähne ziehe.“ Sie grient und wuchtet eine monströse Zange aus rostigem Stahl in die Höhe, von der rotes Rentierblut tropft …
„Uah!“ Santa schreckt aus dem Schlaf hoch und blickt Rudolf direkt ins Gesicht. Dessen Huf schwebt über seinem Hals und Santa japst gleich noch einmal auf.
„Jo, Boss“, sagt Rudolf gemächlich. „Wollte dich gerade wecken für das Vier-Uhr-morgens-Training, das du dir ausgedacht hast.“
Santa seufzt erleichtert. Das ist also alles nur ein Traum gewesen, dem Osterhasen sei Dank.
„Ich wusste doch, auf dich ist Verlass“, sagt er. „Danke, Rudi.“
„Ja, schon“, sagt Rudolf und nimmt endlich den Huf zurück. „Aber ich denke immer noch, dass 16 Stunden Training pro Tag übertrieben sind.“
„Ach was“, sagt Santa und schwingt sich aus dem Bett. „Immer weniger Menschen glauben an mich! Ich muss meinen Job besser machen und dafür brauche ich euch in Topform!“
Rudolf hinter ihm seufzt und murmelt: „Ich brauche dringend Urlaub …“