Action, Baby!

Liebe Freunde
Letztens war in einem anderen Thread hier das Thema „Beschreibung von Action-Szenen“. Da ich in meinem Roman gerade vor dieser Aufgabe stehe, hier ein Entwurf dazu, mit der Bitte um eure kompetente Kritik. (IÜ hatte ich Gelegenheit, die Bogenschießszene am Wochenende in Echtzeit selbst auszuprobieren. Kein Vergleich zu anderen Recherche-Formen!)

Der Verschlag, der ihnen als Schießstand diente, war gut dreissig Meter lang und fünf Meter breit. An seinem Ende hingen drei Zielscheiben, vorne stand ein grosser Tisch, auf dem zwei Pistolen lagen. Daran angelehnt der Sportbogen, mit dem Kessel am Donnerstag auf mich gezielt hatte. Und ein Köcher mit Pfeilen.
»Hast du schon mal mit einem echten Bogen geschossen, Gabi?«
Ich verneinte. Außer mit dem Spielzeug, das wir uns früher aus Weidenästen gebastelt hatten, war ich noch nie mit so etwas zugange.
Kessel nahm den Bogen, drückte ihn etwas durch und spannte die Sehne in die Kerbe. Dann zog er probeweise an und reichte ihn mir.
»Es ist ein Langbogen, ein Achtzehnpfünder«, erklärte er. »Das heißt, du ziehst neun Kilogramm, wenn du ihn ganz durchspannst.«
Ich probierte es sofort. Es war nicht so schwer, wie ich befürchtet hatte. In der Mitte der Sehne befand sich ein glattes Drahtstück, mit einem winzigen Knoten. Ich nahm an, dass hier der Pfeil eingespannt wurde. Auf dem Bogenholz selbst befand sich eine Auskerbung, an der vermutlich der Schaft des Pfeiles liegen sollte. Und genau das erzählte mir nun Kessel auch. Dann nahm er einen Pfeil aus dem Köcher.
»Drei Federn«, erklärte er. Zwei gelbe und eine schwarze. Die Schwarze zeigt beim Auflegen von der Sehne weg, die Nocke klinkt in die Sehne ein«. Er machte es vor. »Beim Spannen berühren deine Finger den Pfeil nicht mehr, nur die Sehne. Zwei Finger darunter, einer darüber.« Wieder zeigte er es vor. »Halte den Bogen etwas schräg, damit der Pfeil auf der Furche liegt, dann ziehst du die Sehne zurück bis zu deinem Mundwinkel und nimmst dein Ziel ins Visier und lässt du los.
Der Pfeil, den Kessel aufgelegt hatte, schwirrte ab und traf die Zielscheibe am äußersten Ring. Er sah mich an und lächelte. »Willst du ein Bier?« Ich nickte.
Während er das Bier holte, fiel mein Blick auf den Tisch mit den Pistolen. Unter einer der Waffen lag ein Blatt Papier. Es war das gleiche, dass ich am Vortag auf dem Küchentisch bei Wotawa gesehen hatte: Die Termine der Wahlkampftour!
Kessel kam mit dem Bier zurück und ich legte einen Pfeil auf die Sehne, spannte, ließ los und traf nicht mal die Scheibe.
»Du stehst nicht richtig«, bemerkte er und hielt mir das Bier hin. Ich nahm es, er stieß mit seiner Flasche dagegen und trank. Ich tat es ihm nach.
»Stell dich im rechten Winkel zur Flugbahn«. Er griff nach meinen Schultern, zog sie zurück und streckte meinen linken Arm aus. »Dein Oberarm bildet mit deinem Schultergürtel eine Gerade. Es ist die verlängerte Flugbahn des Pfeils.« Mit seinem Finger zog er eine Linie von meiner Ellenbeuge über die linke Schulter und das Brustbein bis zur rechten Schulter. Ein Schauer lief mir über den Nacken. Silvia hatte mich gestern genau so gestreichelt und meine Brustwarzen hatten sich aufgestellt. Hoffentlich passierte das jetzt nicht auch!
»Dein linkes Auge visiert. Achte auf die Waagrechte des Pfeils.« Er hob meinen Bogenarm etwas an. Ich ließ den Pfeil los und schrie unwillkürlich auf. Die Sehne hatte brutal gegen meinen Unterarm geschlagen. Es brannte wie Feuer. Kessel prustete los.
»Was gibt es da zu lachen?«, fuhr ich ihn an.
»Entschuldige«, sagte er, noch immer lachend. »Mein Fehler!«
Dann hielt er mir eine Art fingerlosen ledernen Handschuh hin, der ganz ähnlich aussah wie jener, den Doktor Thiel Christoph für seine Wunde gegeben hatte. Bloß, dass er bis knapp vor den Ellbogen reichte. Ich zog ihn an und schoss erneut einen Pfeil ab. Die Sehne knallte wieder gegen den Schaft des Handschuhs, aber diesmal spürte ich nichts. Und der Pfeil steckte im äußeren Ring der Zielscheibe.
»Super!«, rief Kessel aus. »Und gleich nochmal. Aber jetzt verlagerst du dein Gewicht ganz auf das rechte Bein.«
Ich machte auch das. Der Schnitt in meinen Schenkel schickte einen ziehenden Schmerz bis in die Hüfte, der Pfeil landete im zweiten der fünf Ringe.
Irgendjemand klatschte hinter mir Applaus. Ich drehte mich ruckartig um. Der Alte, in den ich vor Doktor Thiels Praxis gerannt war, stand hinter mir.
»Grossartig«, rief er aus, »ganz großartig!« Dann sah er mir lange in die Augen und ich dachte: ›So sieht dich ein Dämon an, kurz bevor er dich zerreißt.‹
»Das ist also die kleine Schildmaid, von der unser Friedl berichtet hat. Wahrlich, eine gelehrige Kämpferin!«
Grinsend heilt er mir die Hand hin. Ich stellte den Bogen ab und gab ihm die meine, aber er ließ sie nicht los. Im Gegenteil, er tätschelte sie so, wie er mich schon mal getätschelt hatte. Sein Grinsen zeigte schadhafte Zähne, sein Atem roch sauer. Mir drehte sich der Magen um.
»Würdest du mir einen Gefallen tun, Mädchen?«, sagte er und ich wusste, dass es jetzt besser war, nicht nein zu sagen.
»Wenn es nichts kostet«, gab ich zur Antwort. Er lachte meckernd.
»Nein, es kostet nichts«, sagte er, »Meine Bedürfnisse sind sehr bescheiden.«
Dann wandte er sich an Kessel. »Bitte klär unsere neue Freundin auf, Friedl!« In dessen Blick lag eine seltsame Mischung aus Widerwillen und Angst. Er nickte dem alten SS-Mann zu, dann sagte er zu mir: »Komm mit.«
Ich folgte ihm nach draußen. Er hielt auf den Lieferwagen zu, öffnete ihn und entnahm ihm einen Kleiderbügel, an dem ein kurzes weisses Kleidchen hing, das er mir hinhielt, noch immer diesen seltsamen Blick im Gesicht.
»Zieh das an«, sagte er tonlos.
»Was? Ich glaube ihr spinnt wohl!«
»Mach es einfach, Gabi. Er will dich damit nur schießen sehen.«
»In dem Kleid hier?«
»Ja. Bitte.«
»Das ist doch pervers!«
»Zieh das Kleid an, schieß damit ein oder zweimal und es ist vorbei. Er wird dir nichts tun.«
»Das ist pervers!«, wiederholte ich, »Wie komm ich dazu den alten Knacker aufzugeilen?«
»Die Frage ist nicht, wie du dazu kommst, sondern wie du von hier wegkommst. Und das tust du nur, in dem du ihm den kleinen Gefallen tust!«
Kessels Ansage war klar. Entweder ich parierte oder irgendwas passierte. Ich wollte nicht mal daran denken, was genau. Ich riss ihm das Kleid aus der Hand und hoffte, dass er die Wahrheit sagte.
»Dreh dich um«, zischte ich ihn an. Er tat es und ich stieg aus meiner Jean, zog das Hemd aus und schlüpfte in das Kleid. Es war aus Baumwolle und fiel in Falten bis knapp vor die Knie. Eine Schulter ließ es frei, an der anderen war es verknotet, um die Hüfte ging eine dicke, weinrote Kordel. Wo hatte ich sowas schon gesehen?
»Fertig?«, fragte Kessel, den Rücken immer noch zu mir gewandt. Ich bejahte. »Zieh die Schuhe auch aus.« Ich tat auch das. Dann trabte ich ihm nach, zurück zum Schießstand, wo er mir wieder den Bogen hinhielt.
Mein Blick fiel auf ihn und, zorniger noch, auf den Alten, der sich etwas zur Seite gestellt hatte, sich aber nichts anmerken ließ. Auch der Typ mit den Narben war da und sah zu. Und noch einer, den ich nur aus den Augenwinkeln wahrnahm.
Ich nahm einen Pfeil, legte ihn auf die Sehne, spannte den Bogen, visierte und ließ los. Der dritte Ring von fünf. Ein Blick zu Kessel, der nickte mir wieder zu und ich schoss auf die zweite Zielscheibe. In den vierten Ring.
»Großartig«, hörte ich den Alten hinter mir, »Einfach großartig. Wie eine germanische Artemis.«
War jetzt dieser dämliche Spuk endlich vorbei? Ja, beschloss ich und wollte eben den Bogen abstellen und mich vom Acker machen. Ich hatte endgültig die Schnauze voll von dem Schwachsinn hier.
»Du bist noch nicht fertig!«, kam es aus der anderen Richtung der Schießhalle. Das Narbengesicht hatte sich vor einer der Zielscheiben zu schaffen gemacht und ein grosses Foto daran befestigt. Es zeigte den Bundeskanzler.
»Und jetzt auf den Juden!«, rief er mir zu. Mir wurde schlecht.
»Nein, sowas mache ich nicht«, sagte ich tonlos und schüttelte den Kopf.
»Es ist doch nur ein Bild«, meinte Kessel.
»Scheiss drauf, ich mach das nicht!«, zischte ich. Sein Gesicht versteinerte sich. Kurz ging mir durch den Kopf, es doch zu tun. Den Bogen zu nehmen, einen Pfeil aufzulegen und wenigstens einen dieser Irren ein Loch in den Kopf zu schießen.
»Genug!«, sagte der Alte, »Es reicht. Wir wollen es nicht übertreiben.« Und zu mir: »Du kannst jetzt gehen, Kleine.« Ich ließ es mir kein zweites Mal sagen.
Draußen schlüpfte ich aus dem Chiton – ich wusste jetzt wieder, woher ich dieses Kleid kannte: Aus dem Geschichtsbuch, Abschnitt Klassisches Griechenland. Ich warf es auf die Zementsäcke vor dem Haus, wo auch meine Jean und das Hemd lagen. Als ich mir gerade die Schuhe anzog, stand das Narbengesicht vor mir.
»Wer bist du«, herrschte er mich an, »und was willst du hier?«
»Fick deine Mutter!«, schrie ich zurück, weil mir nichts Besseres einfiel. Dann traf mich seine Hand ins Gesicht und ich fiel hart auf den Schotterboden. Breitbeinig stand er über mir, stemmte seine Hände in die Hüften und brüllte mich noch mal an. »Was du hier willst, habe ich dich gefragt, du rothaariges Hurenkind!«
Ich trat sofort zu. Genau zwischen seine Beine. Wie Robert damals den Trainer auf dem Fußballplatz. Und genauso wie der damals Robert, sah mich jetzt auch der Nazi vollkommen erstaunt an, seufzte und ging in die Knie. Ich sprang auf und lief zur Landstraße. Aber noch im Laufen wusste, ich, dass ich keine Chance hatte, denn die anderen, einschließlich Kessel, waren bereits hinter mir her. Und so, wie die trainiert waren, würden sie mich noch vor der Straße erwischen.
Aber dann kam dieses schwarze Motorrad mit einem Höllentempo auf mich zu und fuhr um Haaresbreite an mir vorbei, direkt auf die Nazis zu. Ich drehte mich um und sah, wie das Motorrad kurz vor den Männern abbremste und dabei eine harte Kurve vor ihnen einschlug. Schotter und Split sprühte wie eine Fontäne gegen die Bande, die sich die Arme vor die Gesichter hielten und in Deckung gingen, als hätte jemand eine Salve Schrot auf sie abgefeuert. Dann kam das Motorrad wieder auf mich zu, verlangsamte seine Fahrt auf meiner Höhe und aus dem Helm schrie eine Stimme: »Schnell, spring auf!«
Ich tat es und klammerte mich an die Lederjacke vor mir. Der Fahrer schaltete einen Gang höher, das Vorderrad hob sich kurz an, dann hatten wir die Landstraße erreicht. Die Maschine legte sich hart in die Kurve und raste in einem Affentempo durch Krummaich. Ich umarmte meinen Retter von hinten und dachte noch: ›Spinne ich oder sind das Brüste in meinen Händen?‹. Dann fuhren wir in das Waldstück nach der Bahnüberführung und blieben stehen. Ich stieg ab und fiel dabei glatt auf den Arsch. Der Motorradfahrer nahm seinen Helm ab.
»Hallo Kätzchen!«, sagte Lili Toifl und grinste mich an.

Also zuerst einmal grundsätzlich: die gesamte Szene gefällt mir sehr gut. Der harmlose Anfang, mit dem Schwerpunkt auf dem Bogenschießen und dann merkt man als Leser erst langsam, um was es geht. Super.

Was mit auffiel:
Einen Sportbogen zu spannen ist nicht ganz trivial. Man fixiert ein Ende zwischen seinen Schienbeinen und biegt dann das andere Ende soweit, das man die Sehne einhängen kann. Wenn man es kann, sieht es leicht aus, macht man es zum ersten Mal, geht es üblicherweise gar nicht. Ich schätze, beim Langbogen ist es nicht anders. Nur einfach etwas biegen und die Sehne einhängen, wird nicht gehen. Auch mit 18 Pfund nicht (was kein hohes Zuggewicht ist). Allerdings habe ich selber nie einen Langbogen gespannt, denke aber der Unterschied zum Sportbogen ist nicht so groß.

Insgesamt ist es aber wichtiger, dass die Beschreibung der Bogentechnik die Szene so harmlos erscheinen lässt, bevor man langsam merkt, was das für Typen sind. Das erhöht die Spannung.

In Actionszenen versuche ich gerne, eher kurze Sätze zu verwenden. Das erhöht das Tempo. Vielleicht so:

Das Motorrad kam wieder auf mich zu. Es stoppte mit blockiertem Hinterrad direkt neben mir.
„Spring auf!“, rief der Fahrer.
Ich tat es.
Der Fahrer gab Gas. Das Hinterrad drehte durch, rutschte weg. Gleich würden wir auf dem Weg liegen.
Taten wir nicht.
Er zog das Motorrad wieder gerade, schaltete hoch. Das Vorderrad hob kurz ab.
Da war die Straße.
Driftend nahmen wir die Kurve.
Usw, usw.

Das ist jetzt nur schnell hingeschrieben, aber ich hoffe, es wird deutlich, was ich meine.

Insgesamt finde ich die Szene aber sehr gelungen.

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Ich tue mich etwas schwer mit der Szene. Auch mir gefällt der sanfte Einstieg, die Erklärungen zur Schießtechnik etc. Das ist schön beschrieben. Ich bin aber bereits gleich zu Anfang über eine Formulierung gestolpert, die mich herausgerissen hat.

Vielleicht bin ich zu pingelig. Ich weiß, was damit gemeint ist und trotzdem stört mich das „zugange“. Ich glaube, das ist zu umgangssprachlich. Alllerdings sind in dem Text mehrere umgangssprachliche Formulierungen und du schreibst bewusst so? Aber genau das riss mich immer wieder raus.

Über den fehlenden Armschoner musste ich schmunzeln. Ich kenne die Schmerzen, wenn eine Bogensehne an die Haut knallt.

Auch mir gefällt, wie die Szene sich zuspitzt und Tempo aufnimmt. Im Gegensatz zu @Don_Diego mag ich die total kurzen Sätze gar nicht so gern. Gerade diesen Teil mag ich in deiner Version lieber. Insgesamt gefällt mir die Szene gut und ich bin jetzt neugierig, was vovrher passierte (es wird so viel angedeutet) und wie es weitergeht.

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Für mich passt das, weil es für uns die Ich-Erzählerin über das Buch hinweg formen wird.

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Danke mal an @Don_Diego und @KayGee für euer tolles Feedback sowie die wichtigen und guten Tipps. Ich hab bezüglich „kurze vs lange Sätze“ jetzt beides ausprobiert und mich für eine (hoffentlich akzeptable) Mischung entschieden. Bei der Motorradszene treiben etwas kürzere Sätze die Lesegeschwindigkeit, analog zum Tempo der des Fahrzeuges wirklich gut an.
Zum Plot, der an dieser Stelle - (17. von 25 Kapiteln) schon recht komplex ist: Fünf Jugendliche aus der Unterschicht finden Mitte der 1970er Jahre zwei Kisten mit Raubgold der Nazis. Als sie das Gold verhökern wollen handeln sie sich natürlich eine Menge Probleme ein. Dann taucht auch noch ein Trupp Neonazis auf und sucht nach dem Plan eines Waffenlagers, dass die SS 30 Jahre zuvor in der Gegend angelegt hat und der sich ebenfalls in den Kisten befand. Als die vierzehnjährige Gabi (aus deren Perspektive die Story erzählt wird) merkt, dass einer der Neonazis (Kessel) auf sie steht, beschließt sie kurzerhand „den Maulwurf zu machen“ und entdeckt dabei, dass der Trupp einen Anschlag auf Politiker plant. Über das Grande Finale spoilere ich hier aber nicht.
Zum (Sprach)stil: Da eine vierzehnjährige Borderlinerin aus der sozialen Unterschicht erzählt, ist die Sprache bewusst sehr schnoddrig gehalten. Und ja, @KayGee, auch ihren (frühreifen und etwas „schwierigen“) Charakter sowie dessen Entwicklung wollte ich damit darstellen.
Danke euch allen und verzeiht mir meine langen Posts.

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Ist doch kein Problem. Haben wir was zu lesen. :wink: