Wollte mal von euch hören wie ihr die „Du-Perspektive“ findet. Was haltet ihr davon, aus dieser Sicht entweder abschnittsweise oder kapitelweise zu schreiben, bzw. zu lesen?
Hintergrund ist
Meine Near-Future Welt ist etwa 70 Jahre in der Zukunft angesiedelt. Keine echte SciFi, keine echte Dystopie in der die Menschheit ums Überleben kämpft, kein Weltuntergang.
Die Welt im Jahr 2090 ist natürlich eine etwas andere als die heutige. Die Meere sind gestiegen, Vegetationsgrenzen haben sich verschoben. Der Wüstengürtel hat sich verschoben. Sumpfgebiete haben sich ausgebreitet. Die Pole sind bewohnbar.
In dieser nahen Zukunft gibt’s nur noch wenige Kriege. Drei Machtblöcke haben sich etabliert, die einen Krieg „im Unsichtbaren“ führen. Künstliche Intelligenzen dominieren im Alltag, in der Wirtschaft und auch in der neuen Art der Kriegsführung.
Waffen gibt’s natürlich noch. Und Kriminalität.
Ein Buch, der erste Teil einer Serie, hat als zentrales Thema, als „Arbeitsbereich“ sozusagen, das menschliche soziale Miteinander.
Die Entwicklung ist bereits heute absehbar. Weniger reale soziale Kontakte. Das hat dann in der nahen Zukunft Auswirkungen auf das soziale Leben, auf das Verhalten im zwischenmenschlichen Bereich. Psychopathische und soziopathische Tendenzen nehmen zu. Empathie, Sympathie und Einfühlungsvermögen nehmen ab. Rational-logisches Denken ersetzt erkennbar gefühlsmotiviertes agieren.
In dieser nahen Zukunft ist meine geplante mehrteilige Thrillerserie angesiedelt.
Im Mittelpunkt steht ein privater Ermittler, der ein typischer Mensch dieser Welt ist. Gesetzestreu, ehrlich, intelligent … aber mit einem „Problem“ behaftet.
Folgender Text:
Ich sehe dich an diesem Morgen das Haus verlassen. Deine Frau bringt dich bis zur Gartentür und ihr küsst euch zum Abschied.
„Komm nicht wieder spät nach Hause!“, ruft sie dir hinterher, als du mit deinem E-Bike zur Arbeit fährst. Weiß sie eigentlich, dass du seit einem Monat keinen Job mehr hast? Vermutlich nicht, denn als du an der nächsten Kreuzung nicht mehr in ihrer Sichtachse bist, biegst du nicht Rechts, sondern Links ab. Ich begleite dich wie immer geräuschlos mit meinem Wagen. Ich muss mich nicht beeilen. Meine Fahrzeug-KI kann mühelos dem Tracker folgen. Ich weiß jederzeit wo du bist.
Für ein Kapitel oder eine Einleitung gut! Danach würde es mich eher abschrecken. Aber das ist wirklich subjektiv - bin aber SciFi Fan und das Setting klingt toll!
Tipp: falls Du noch nichts von Michio Kaku gelesen hast, schau mal bei ihm nach. Der betreibt „Zukunftsforschung“ und hat eine extrem gute Analytik von Entwicklungen. Ich hab Anfang der 1990er mal in einem kleinen Uni-Buchladen ein Buch namens „Zukunftsvisionen“ gekauft (weil das Cover cool war). Dort beschreibt er die Welt um 2010. Flat-screen, Internet, Smartphones,… alles abgeleitet aus Forschungstendenzen, die es damals gab. Lohnt sich. Die aktuelleren dürften was für Dich sein…
Also, ich bin ehrlich gesagt kein Freund der Du-Perspektive. Ich habe mal ein Manuskript gelesen, das komplett in dieser Perspektive geschrieben war, und ich fand es sehr gewöhnungsbedürftig bis anstrengend. Es schafft bei mir irgendwie eine Distanz zum Text. Für einzelne Kapitel könnte ich es mir vorstellen, wenn ich als Leser merke, dass die Perspektive an dieser Stelle wirklich Sinn ergibt und einen Mehrwert hat.
Ich mag diese Perspektive auch nicht. Mal als einleitender Absatz ist es ok, aber wenn es dann so weitergeht, lege ich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Buch wieder weg. Für immer.
Für mich ist es ein Stilmittel, das in den meisten Fällen zu plump und zu gewollt auftritt, keinen richtigen Lesefluss entstehen lässt - und einfach nur nervt. (ok, mich jedenfalls ).
Die Art von Du-Perspektive in deinem Beispiel mag ich eher nicht. Eine Ich-Erzähler-Person (die ich in dem kurzen Auszug nicht näher kennenlerne) spricht per Du über andere Person, die ich „um zwei Ecken herum“ kennenlerne, ich erfahre keine Namen außer „ich“, „du“ und „Frau“ und bin weit, weit weg in der Distanz.
Was ich ganz nett finde, ist eine völlig andere Art von Du-Perspektive, in der ein Erzähler, den ich näher kennenlerne, sozusagen mich als Leser direkt anspricht. Wie im Tagebuch der Anne Frank: „Heute morgen habe ich mich gefragt, ob du dir nicht vorkommst wie eine Kuh, die alle alten Neuigkeiten immer wiederkäuen muss und, von der einseitigen Ernährung gelangweilt, schließlich laut gähnt und sich im Stillen wünscht, dass Anne mal was Neues auftreibt. Leider, ich weiß, das Alte ist langweilig für dich, aber stell dir mal vor, wie gelangweilt ich von den alten, immer wieder aufgewärmten Geschichten werde.“
Einzelne Abschnitte wären durchaus interessant. Oder als erster Abschnitt, bevor das eigentliche Kapitel beginnt. Quasi aus der Erzahlstruktur heraus gelöst…
Die Herangehensweise finde ich interessant. Bleibt diese Erzählart nur dem einen Charakter vorbehalten, oder wendest du die Technik bei mehreren Charakteren an? Das wäre spannend.
Sozusagen die „Sichtachse“ aller Beteiligten.
Das kann kapitelweise durchaus funktionieren.
Dein Thema ist komplex. Die „psychopathischen und soziopathischen Tendenzen“ deiner Charaktere würden dadurch evtl. stärker wahrnehmbar. Ich würde da gerne leserisch eintauchen.
Ich bin auch kein Freund der „Du-Perspektive“. Ich habe einmal eine Geschichte in der Form gelesen und es war schon sehr anstrengend. Und es waren so endlos lange Sätze da drin… Ich bevorzuge die Form des Erzählens aus der Vergangenheitsperspektive.
Ja, das wird sehr komplex. Darum möchte ich daraus eine Serie machen, um die Leser nicht zu überfordern.
Die „Du-Variante“, ich nenne sie besser so, weil es hier die „Ich-Perspektive“ streng genommen ist, möchte ich kapitelweise anwenden.
Das Besondere an dieser „Ich-Du-Variante“ ist, dass ICH in dem Moment in einer Beobachtersituation stehe. Ich weiß nicht was DU denkst, kenne nicht DEINE Gründe, Motivation. ICH wirke dann als Antagonist, bin aber in Wahrheit in dieser „Du-Variante“ der berichtende Protagonist.
Das ist jedenfalls mein Plan in diesem Projekt.
Total verdreht und absolut irre wird’s, wenn ICH mich als Beobachter im Spiegel beobachte und in einer Art Rückkopplungsschleife mich selbst beschreibe.
Ach … wirre Gedanken am Morgen … Vielleicht später mal als Idee einer SF-Fantasy Spiegelwelt.
Naja … man kann auch mit der Du-Form in der Vergangenheit erzählen.
Interessant finde ich, dass viele diese Form komplett ablehnen. Denn es ginge ja auch von einem Beobachter aus der Außenperspektive, der nur das widergibt was er sieht, beobachtet. Und vielleicht seine eigenen Gedanken und Mutmaßungen dazu berichtet.
Es muss ja nicht zwingend der Beobachter sein, der alles mit deinen Sinnen wahrnimmt und berichtet.
Interessant allemal, dass diese Form auf Widerspruch stößt.
Wie kann ich mir das erklären? Ein Psycho-Ding? Im Sinne von „Ich lasse nicht in meinem Kopf herumexperimentieren oder manipulieren“?
Oder lag es einfach „den langen Sätzen“?
So als „Übung“ könnte man einen Text in der Ich-Form schreiben oder irgendwo „klauen“. Diesen dann in die Du-Form als Übung/Test/Experiment übertragen. Was würde dann passieren?
Eine andere wäre das dann in die „Sie-Form“, also „Sie gehen also dann Blablabla und plötzlich denken Sie: Halt Stopp! Wer ist da in meinem Kopf? Aber das wird Ihnen nichts nützen. Ich bin immer in Ihrem Kopf!
Meine These ist, dass sich viele Leser manipuliert fühlen und vielleicht auch, dass ihm jemand zu nahe kommt.
Meine These ist, dass es vielen Lesern schlichtweg nicht gefällt. Ich persönlich mag es z. B. auch überhaupt nicht, wenn in einem Film aus dem Off erzählt wird. Da ist nichts mit Psychologie - bei mir zumindest nicht. Ich finde es einfach doof.
Also ich für meinen Teil fände das in sehr dosiertem Maße durchaus interessant.
Auf jeden Fall ist es catchy. Ob man das Buch dann deshalb weiterliest oder weglegt ist aber eine andere Frage
Ich stelle mir vor, dass man mit der „Du“-Sicht fremdelt, weil sie eher selten ist. Das könnte sich dann im Laufe der Geschichte ändern, weil man sich daran gewöhnt. Die Plot-Idee finde ich großartig, so dass ich unabhängig von der Perspektive gern weiterlese!
Für einen Schreibwettbewerb hatte ich eine Kurzgeschichte (2500 Zeichen) in der Du-Form eingereicht. Die Erzählung handelte von einem Paar, das in ein vermeintliches Attentat verwickelt wird (Gegenwart).
Drei von vier Testlesern lehnten diesen Erzählstil ab. Auf meine Nachfrage konnten sie es nicht genauer begründen. Als ich die Unterhaltung auf Geschäftsbriefe (Sie) oder Blogs (häufig Du) lenkte, einhielt ich von einem Testleser die Antwort: Da geht ja auch um mich!
Gleichzeitig ließ ich die Geschlechter, wer mit wen spricht, offen. Für alle vier Testleser war das eigene Geschlecht die Erzählstimme und das Geschlecht der Person mit der gesprochen wurde das des Partners, und zwar egal ob in zwei- oder gleichgeschlechtlicher Beziehung lebend.
Möglich dass die Du-Form eine zu intime Nähe auslöst, die den Leser zu persönlich in die Ereignisse involviert.
Auf Nfx läuft die Serie - You – in der der Protagonist (Stalker) zumindest zeitweise mit der Angebeteten in der Du-Form »gedanklich« spricht. Ich fand den Wechsel in den Erzählstimmen interessant. Das Thema ist extrem gruselig, trifft aber einen Teil deines Projekts - Stichwort psychopathische und soziopathische Tendenzen.
Ich für meinen Teil kann nur sagen weder ein Wechsel der Erzählformen (ich, du, er/sie) würde ich lesen oder schreiben, noch die Du-Form.
Beides reist mich aus dem Lesefluss bzw. lässt erst gar keinen aufkommen. Ich möchte beim Lesen in die Gesichte eintauchen, aber ich will weder im Kopf des Protagonisten stecken noch vom Erzähler oder Protagonisten angesprochen werden. Beides ist für mich ein Grund ein Buch sofort wegzulegen und nie wieder anzufassen.