Wenn deine Figur heftige Gefühle durchmacht, weil sie ihre Heimat für immer verlässt …
Du kannst es ihr ansehen, im Gesicht, am Körper, an Bewegung und Haltung.
Du kannst beobachten, was sie tut, wie sie sich verhält.
Du kennst ihre Gedanken, weißt, was ihr durch den Kopf geht.
Du weißt, was sie empfindet, wie sich ihr Leid anfühlt.
Du erzählst, was ihre Sinne wahrnehmen, was sie sieht, hört, schmeckt, auf der Haut fühlt.
Du stellst dir vor, wie es ist und ziehst Vergleiche (als ob, wie wenn).
Achtung! Das sind erzählerisch völlig verschiedene Erzählformen, ob man diesen legitimen Bereich benutzt und sich auf den neutralen, rein beobachtet habenden Erzähler beschränkt, oder aber …
… ob man den Bereich des allwissenden Erzählers, der in die Köpfe seiner Protagonisten hineinschauen kann, betritt, oder gar in der Ich-Form erzählt.
Das sind bewusst zu wählende, völlig verschiedene Erzählformen mit Vor- und Nachteilen.
so erst mal danke für die schnellen antworten
meine hauptperson flieht mit vater und cousin vor der polizei weil der stellvertreter des vater (selbst polizist) scheisse gebaut hat und es jetzt dem vater in die schuhe schiebt. aufgrund dessen das es sein stellvetreter war kann man jetzt anfangs nicht beurteilen obs der vater war oder stellvertreter (von vorgesetzten seite aus ) weil beide die zugangscodes haben um beweise zu fälschen oder zu installieren.
und die hauptperson soll in der ich form geschrieben werden.
In allen Fällen ist es glaube ich das beste, sich selbst in die Lage zu versetzen und dazu @Raya Mann s Liste benutzen. Das Ergebnis würde ich einfach einmal stur (ohne Ullis berechtigte Warnhinweise zu beachten) aufschreiben. Danach kannst du dann in Ruhe unter @Ulli s Aspekten filtern und das ganze in die richtige Erzählform bringen.
Mein Lernprozess hat mich immer wieder dazu geführt, dass eine sinnliche Erzählung die beste Wahl ist, wenn du dem Leser Charakternähe bringen möchtest, während eine Erzählung ohne die Miteinbeziehung der Sinne zumeist distanziert wirkt und den Leser nicht berührt.
Bei der sinnlichen Erzählung sollte man daher nicht nur auf den Seh-Sinn achten, sondern (wie Raya schon auflistete) auch die anderen Sinne beachten. Ich persönlich finde, das riechen, spüren oft die besten Ergebnisse liefern. Wenn der Protagonist mit dem Schiff wegfährt: der Meeresgeruch / wie der Wind die Haare umher wirft / das Geländer, um das sich die Finger versteift haben …
Und das Ziehen des Abschiedschmerzes, die leichte Melancholie, vielleicht sogar die Erinnerung an den Geschmack eines spezifischen Gerichts, das er wohl nie wieder essen wird …
Extreme Emotionen können schnell banal wirken, wenn man sie zu sehr auswalzt. Für die Vermittlung des Schrecklichen ist ein lakonischer Ton oft das mächtigere Mittel.
Hallo Fitzliputzli,
was du wohl damit meinst? Bevor ich mir den Kopf über deine Aussage zerbreche, frage ich dich lieber, wie du das meinst. Ist das auch nur ein nicht unterbliebener Kommentar von dir? So wie vor einer Woche:
»Sie stand am gähnenden Abgrund und schauderte, jede Faser ihres Körpers zog sich zusammen, ihre Beine drohten jeden Moment ihren Dienst versagen, würden zusammenknicken wie dürre Äste im wütenden Sturm. Hastig, panisch gar machte sie einen Schritt zurück - derselbe Schritt in Gegenrichtung wäre ihr Verderben gewesen, hätte ihr Leben von einem Augenblick zum nächsten für immer beendet. In freiem Fall wäre sie hilflos dem steinigen Boden dort unten entgegengestürzt, nichts hätte sie mehr retten können, nichts zurückrufen, der Aufprall wäre das letzte Gefühl gewesen, dass sie jemals verspürt hätte, ein jäher, brüllender Schmerz vor der ewigen Nacht. Den Himmel über ihr, an dem sich die dunklen Wolken kräuselten, als hätten sie die Gefahr geahnt, in der sie sich befunden hatte, der sie fast zum Opfer wurde, hätte sie nie mehr erblickt, den Regen nicht mehr auf ihrer glühenden Haut gefühlt …«
Also dass man das evtl. lieber komprimierter sagen sollte. Etwa so:
»Huch«, dachte sie, als sie den Abgrund vor sich sah, »das war knapp.«
Ob dieser Kommentar die Welt reicher macht, weiß ich nicht.
Und ob ich es mit anderen Worten treffender sagen kann, weiß ich noch weniger. Ich versuche es mal:
Es gibt Bereiche des Unfassbaren. Extreme Emotionen, unerträgliches Grauen, Schmerz, Liebe - wenn wir solche Dinge direkt benennen, behaupten wir, sie ausloten zu können. Wir schreiben sie klein und berauben sie ihrer Dimensionen. Wir ignorieren die etymologische Bedeutung des Wortes “unsäglich” und quatschen das Unsägliche zu Tode.
Werden wir konkret. Da ist also jemand durch Widrigkeiten gezwungen, seine Heimat zu verlassen. Unter Umständen für immer. Wie wäre es, wenn wir hier mit Brüchen arbeiten? Mit doppelten Botschaften? So könnten wir den Protagonisten gegenüber einer anderen Person behaupten lassen, es sei im Grunde ein Glück, jetzt mal einen Anlass zu haben, in die Welt hinaus zu gehen. Die Vehemenz aber, mit der er das betont, lässt beim Leser Zweifel aufkommen. Der Leser ahnt, dass es den Protagonisten offenbar extrem belastet, ohne dass dies im Text steht. Der Monolog behauptet das Gegenteil, zeigt dennoch indirekt, wie es wirklich im Protagonisten aussieht. Wichtig ist hierbei, dass nicht etwa eine Erzählstimme deutende Hilfestellung gibt. Der Leser muss den Schluss selber ziehen.
Andere Möglichkeit: Während der Fahrt (Flug? Flucht?) lächelt der Protagonist still vor sich hin. Seine Stadt schrumpft im Rückspiegel. Eine Fliege ist im Fahrzeug und knallt ständig gegen das Fenster. Sein Begleiter plaudert ununterbrochen, aber der Protagonist konzentriert sich nicht auf dessen Worte. Er lächelt nur. Im Rückspiegel ist die Stadt jetzt nicht mehr sichtbar. Wir haben es geschafft, sagt sein Begleiter. Der Protagonist lächelt. Er krallt seine Hand in den Türgriff. Seine Fingernägel bohren sich in den Kunststoff, bis es schmerzt. Ein Fingernagel bricht. Ja, sagt er. Wir haben es geschafft.
Wie auch immer man das lösen will, es gibt tausend Möglichkeiten. Alles ist besser, als platt zu sagen: “Er litt unsäglich”.
Oh, hab das gepostet, bevor ich dein rotes Plakat gesehen habe, Nina. Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Ich werde es ausdrucken und mir an die Wand pinnen.
Da bin ich ja froh, dass ich mit dem Kopfzerbrechen gewartet habe! Das Wort “unsäglich” kommt in keinem meiner Romane vor, “unsagbar” übrigens auch nicht …
“It’s our fiftieth, table for one.”
“Strangers. Friends. Best friends. Lovers. Strangers”
“Brought roses home. Keys didn’t fit.”
“The smallest coffins are the heaviest.”
“Goodbye mission control. Thanks for trying.”
“Voyager still transmitted, but Earth didn’t”
“One bullet is a lifetime supply.”
“Mom taught me how to shave.”
“Introduced myself to mother again today.”
“An only son, a folded flag.”
“I just saw my reflection blink.”
“Passengers, this isn’t your captain speaking.”
“I met my soulmate. She didn’t”
“What’s your return policy on rings?”
“Just Married!” Read the shattered windshield.
“Siri, delete Mom from my contacts.”
“Jumped. Then I changed my mind.”
“He hit send, then the tree.”
“Ever seen chalk outlines that small?”
“Dad left; a flag came back.”
Insgesamt würde ich aber sagen, dass wir damit wieder zum allgemeinen Adjektiv-Thema kommen. Zuviel ist halt einfach zuviel.
Hm. Konkret auf das Beispiel bezogen: Wie würdest du dich fühlen? Ich würde mal sagen:
Angst vor dem Ungewissen. Bei einer Flucht weis man ja nie, wo sie endet.
Trauer, weil man alles vertraute zurücklassen muss.
Ohnmächtige Wut über die Ungerechtigkeit (ganz wichtig!). Sie kann ja nix dafür, sie wird also wütend sein, warum sie jetzt wegen dem Typ alles verlassen muss. Auch kann die Wut unfair und ungerichtet sein, z.B. auf den Vater, weil er ihr das indirekt auch “eingebrockt” hat. War ja sein Stellvertreter. Aber den hat sie nicht zur Hand, um auf ihn wütend zu sein, also richtet sich Frust und Wut gegen das nähere Ziel: “Er war dein Stellvertreter! Hättest du nichts bemerken müssen? Habt ihr den nicht überprüft?”
Zur Darstellung von Emotionen: Show, don´t tell, das ist ja klar. Ohnmächtige Wut sucht sich z.B. gerne als Übersprungshandlung einen Auslass. Sie nimmt irgendwas, was vor ihr auf dem Tisch steht und schleudert es gegen die Wand. Oder sie tritt gegen einen Tisch. Schmeisst eine Tür zu. Auf der Flucht kann sie ein Geruch an etwas erinnern, was sie jetzt zurücklässt. Das Aftershave vom Vater, das sie als Kind immer im Bad gerochen hat. Gerüche sind die besten Trigger für Erinnerungen. Tränen der Wut, Tränen der Angst, etc.etc.
Auch wenn ich spät dran bin, das Dilemma hat man ja doch immer mal wieder. Deswegen gebe ich auch mal meinen Senf dazu.
Nachdem ich alles zurücklassen müsste, was ich mir aufgebaut habe, würde ich mich vielleicht fühlen, als ob ein Teil von mir dort geblieben wäre und ich mich mit dem Ort verbunden fühle. Das ist wie ein Band, das mich mit “dort” verbindet und das nun gestreckt wird, je weiter ich mich entferne. Wie ein Muskel, der überdehnt wird. Schmerzhaft ziehend. Je weiter desto mehr.
So ging es mir, als meine Tochter zum ersten Mal auf Klassenfahrt gefahren ist. Je weiter sie sich entfernt hat, desto mehr hat es in mir gezogen. Es war schmerzhaft. Aber als die Zeit des Abholens immer näher rückte, nahm auch der Schmerz ab. Als ich den Bus ankommen sah, fühlte ich zwar immer noch die Nachwirkungen des Überstreckens, aber mehr als alles überwog die Freude.
Wenn die Person diese Verbindung nicht hat, könnten aber dennoch Erinnerungen an geliebte Orte und Tätigkeiten, die sie nun nie wieder besuchen bzw. tun kann/wird, vor dem Inneren Auge erscheinen. Das charakterisiert die Figur und beschreibt ihren Seelenzustand. Der Leser denkt vielleicht an eigene Orte und Tätigkeiten, die er nicht mehr besuchen bzw. tun könnte. Meine Oma z. B. hat immer das Grab ihrer ELtern gepflegt. Sie hätte sich nicht vorstellen können, das Grab für immer verlassen zu müssen. Wer sollte sich dann darum kümmern?
Ich bin ebenfalls spät dran, mag meine Gedanken dazu dennoch beschreiben.
Mein erster Gedanke bestand in der Beziehung der Hauptfigur zum Vater. Es kommt zur Flucht dreier Figuren, die in einer familiären Bindung zueinander stehen. Vater - Tochter - Neffe, Tochter - Vater - Cousin.
Die Schwere des Verdachts veranlasst die Familie zur Flucht. Anfangs ist die Schuldfrage für die Vorgesetzten nicht eindeutig geklärt.
Wie steht die Tochter zu ihrem Vater? Wie stark ist diese Bindung und somit das Vertrauen in dessen Unschuld? Wie geht die Tochter mit den Vorwürfen um? Wie alt ist die Tochter? Wie stark vertraut sie darauf, das alles gut wird? Die Flucht für immer setzt voraus, das der Vater entweder kein zuverlässig vertrauenswürdiger Partner ist und im Vorfeld viele solcher Situationen einher gingen oder die Schwere der Vorwürfe für eine Schuld oder Mitschuld spricht.
Ich tendiere hier eher auf eine Flucht mit Hoffnung auf eine Wiederkehr. Dabei liegen die Schwerpunkte der Emotionen der Tochter eher in Richtung Tochter als Kind in Sorge um den Vater. Kinder sind ihren Eltern gegenüber stets loyal, abgesehen von schwerwiegenden Gründen. Als Kind, kann die Tochter die Ausmaße der Flucht nicht wahrnehmen. Sie verlässt sich ganz und gar auf ihre Bindungspersonen. Wenn die Tochter sehr jung ist und der Vater sagt, wir müssen für immer fliehen, dann lässt das Raum für viel Phantasie. Handelt es sich um ein Kind, steht der Fokus im Befinden des Vaters und den Reaktionen des Cousins, den unmittelbaren Eindrücken. Sind die beiden aufgeregt? Worüber reden die beiden? Denkt sie an die Mutter? Die ihr stets Sicherheit gab? Ist ihr kalt? Was fehlt ihr gerade während der Flucht? Bei Kindern zählt der Augenblick und das unmittelbare Bedürfnis.
Ist sie bereits erwachsen, dann verfügt sie über ganz andere soziale und emotionale Kompetenzen. Was veranlasst sie zur Flucht? Wenn sie an ihren Vater glaubt, was hat sie überzeugt? Ihr drohen keine Strafen. Kann sie mit der Flucht eine Wendung herbeiführen? Oder ist sie mit belastet?